Eishockey nach dem Mauerfall

Der Blick nach vorne hilft dem inneren Frieden

07:28 Minuten
Der Eishockey-Trainer Thomas Popiesch während eines Spiels seiner Mannschaft Fischtown Pinguins Bremerhaven
Thomas Popiesch ist Trainer des Eishockey-Erstligisten Fischtown Pinguins Bremerhaven. © picture alliance / Eibner-Pressefoto
Thomas Popiesch im Gespräch mit Jörg Degenhardt  · 10.11.2019
Audio herunterladen
Der Eishockey-Trainer Thomas Popiesch floh zweimal aus der DDR und saß dort im Gefängnis. Trotz dieser Erfahrungen plädiert er für ein differenziertes Bild und bedauert verbreitetes Nichtwissen gerade unter jüngeren Leuten.
Jörg Degenhardt: Thomas Popiesch. Er hat Eishockey gespielt, angefangen beim SC Dynamo in Ost-Berlin. Aber schon mit 17 Jahren hat er seinen ersten Fluchtversuch unternommen, das war 1982. Er wurde gefasst, musste in den berüchtigten Knast in Berlin-Hohenschönhausen, dann drei Jahre Bautzen. Nach seiner Entlassung probierte er es ein zweites Mal aus der DDR rauszukommen 1989 über Ungarn, mit Erfolg. In der Bundesrepublik spielte er 16 Jahre als Profi für verschiedene Vereine. Heute betreut Thomas Popiesch die Bremerhaven Pinguins. 2018 wurde er Trainer des Jahres. Kennen eigentlich Ihre Spieler die Geschichte ihres Trainers?
Thomas Popiesch: Die meisten Spieler bei uns aus der Mannschaft kommen aus Nordamerika, sie sind mit der Geschichte nicht ganz so vertraut, aber meine History im Groben und Ganzen kennen die meisten Spieler eigentlich schon und finden das auch ganz spannend, mal darüber zu reden.
Porträt von Thomas Popiesch, der an einem Tisch sitzt.
1982 versuchte Eishockey-Spieler Thomas Popiesch erstmals aus der DDR zu fliehen - heute ist er erfolgreicher Trainer in der deutschen Eishockeyliga.© Jörg Degenhardt
Degenhardt: Ihre Karriere begann beim SC Dynamo Berlin, und mit 17 wussten Sie schon, dass Sie raus wollten aus dem Land, das sich ja gerne als Sportland sah. Woher kam dieser Wunsch in diesem Alter?
Popiesch: Sportland war es auf alle Fälle. Die Ausbildung, die Betreuung in der DDR für Sportler, für Leistungssportler war schon überragend, aber da war auch der kleine Haken dabei. Man musste von Anfang an eigentlich immer regelkonform, staatskonform laufen. Wenn man da nicht immer die gleiche Meinung hatte, wenn man da nicht immer auf einer Linie war mit den Funktionären, dann hatte man schon Schwierigkeiten von Anfang an. Das ist mir relativ früh bewusst geworden, und für mich stand immer im Vordergrund, ich wollte Eishockey spielen und habe dann für mich auch die bessere Lösung gesehen, dass ich das in der Bundesrepublik mache.

Wachsender innerer Druck

Degenhardt: Sie haben trotz Gefängnisstrafe einen zweiten Fluchtversuch gestartet, gewissermaßen aus lauter Verzweiflung?
Popiesch: Das war pure Verzweiflung. Nachdem man dann wieder in die DDR entlassen wurden, war eigentlich die Perspektivlosigkeit so groß gewesen, dass es vielleicht für ein, zwei Jahre gereicht hat, für mich noch zu sagen, ich hätte noch zu viel Angst, wieder ins Gefängnis zu gehen. Dann wurde dieser innerliche Druck immer größer, dass man dann wirklich dazu gekommen ist, zu sagen, man würde noch mal einen Versuch starten.
Aber auch natürlich mit dem Hintergrund, dass sehr viele Informationen damals schon aus der Bundesrepublik und aus Österreich kamen, dass in Ungarn das leichter geht, dass dort nicht mehr geschossen wird. Da kamen viele Sachen zusammen, sodass ich dann zu dem Entschluss kam, es noch ein zweites Mal zu versuchen.
Flure in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, die früher als Haftanstalt in der DDR diente.
Obwohl er im Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen einsaß, blickt Thomas Popiesch nicht mit ständigem Groll zurück. © picturedesk/dpa/picture-alliance
Degenhardt: Ich habe gelesen, Sie hätten Ihren Frieden gemacht mit dieser Geschichte. Wie macht man das, kann man das ad acta legen, Hohenschönhausen, Bautzen?
Popiesch: Ich hatte nie Krieg gehabt damit. Ich habe es vielleicht häufiger auch schon in der Vergangenheit gesagt, das war meine Entscheidung, die ich damals getroffen habe. Wenn man eine Entscheidung trifft, muss man mit Konsequenzen rechnen, das ist halt so im Leben. Das war jetzt keine schöne Zeit, das müssen wir auch nicht schönreden, trotzdem habe ich nie verbittert zurückgeschaut, sondern ich habe versucht, immer nach vorne zu schauen, den nächsten Schritt zu machen.
Ich glaube nicht, dass es hilft, da wirklich zurückzuschauen und dann vielleicht verbittert zu sein, sondern der innerliche Frieden kommt dann eigentlich in dem Moment, wo man sagt, man geht weiter und versucht aus der nächsten Situation das Beste zu machen. Und ich glaube, das ist mir eigentlich sehr, sehr gut gelungen.

Sport und Menschen getrennt

Degenhardt: Sie sind sogar im Januar 2016 in einem Traditionsspiel im Trikot der DDR-Nationalmannschaft aufgelaufen. Hatten Sie keine Hemmungen?
Popiesch: Da hatte ich keine Hemmungen. Ich habe eigentlich schon den Sport getrennt, und die Jungs, die da mit mir auf dem Eis waren, die kannte ich von früher, mit denen habe ich früher auch zusammengespielt, also das sind jetzt nicht die Sachen oder die Hemmungen, die ich habe. Genauso, wie ich jetzt jeden anderen, der auch früher in der DDR vielleicht ein Funktionär war, mit dem kann ich auch reden.
Wo ich Probleme hatte, waren halt wirklich die Leute, die nicht offen oben standen, sondern die wirklich versteckt hinten gearbeitet haben, die sich als Freunde ausgegeben haben. Da ist es schon schwieriger, nur weil Leute ihren persönlichen Vorteil daraus gezogen haben, dann wirklich offen und freundlich zu sein. Aber wenn einer von der DDR überzeugt war und das auch heute noch ist, dann habe ich damit kein Problem. Von daher ist es für mich nicht so schwierig, dann auch bei dem Spiel mitzumachen.
Thomas Popiesch beim Spiel Adler Mannheim gegen die Fischtown Pinguins Bremerhaven am 30.12.2018.
Thomas Popiesch (Mitte) beim Spiel Mannheim gegen Bremerhaven am 30.12.2018© Michael Bermel/picture alliance
Degenhardt: Wie war das damals, als Sie das erste Mal zurückkamen nach Ostberlin zu einem Spiel bei den Eisbären?
Popiesch: Das war schon ein bisschen ein komisches Gefühl, weil man hat da seine komplette Jugend verbracht, damals ja noch im Wellblechpalast. Das war schon ein bisschen eigenartig, aber es ging damals auch ums Eishockey, wir haben ein Spiel dort gehabt, deshalb ist dann auch schnell Normalität auf dem Eis eingekehrt.
Degenhardt: Gab es auch Kontakte zu früheren Spielern. Sie waren sehr jung, als Sie damals den ersten Fluchtversuch gestartet haben, aber Sie haben möglicherweise die Entwicklung im Osten verfolgt. Dieter Frenzel, haben Sie den mal getroffen?
Popiesch: Wir haben uns danach zwar nicht persönlich getroffen, aber Dieter Frenzel war so einer der Spieler, wo ich als sehr, sehr junger Spieler mal in der ersten Mannschaft mittrainieren konnte, den ich also schon kennenlernen durfte. Ich habe dann auch beobachtet, wie er damals in Ratingen seine ersten Schritte hier im Westen gemacht hat. Das war mehr die andere Spielergeneration, die mit mir lange Zeit zusammengespielt haben, damals ein Guido Höller oder Stefan Steinbock, der jetzige Mannschaftsarzt Jens Ziech, dann auch sein Bruder Steffen Ziech. Zu den Leuten hatte ich dann schon mehr Kontakt und auch später dann mehr Kontakt noch.

Viel Unwissenheit über die DDR

Degenhardt: Sie sind mittlerweile ein sehr erfolgreicher Trainer in der deutschen Eishockeyliga. Sie sind darüber hinaus auch ein Zeitzeuge. Wie groß ist eigentlich das Interesse der jungen Generation an dem, was da 1989 passiert ist. Was beobachten Sie da?
Popiesch: Ich glaube, dass es viel, viel weniger geworden ist. Jetzt, zu diesen Jahrestagen viel mehr, weil auch viel mehr in den Medien berichtet wird. Ich habe manchmal das Gefühl, es ist sehr viel Unwissenheit und die Zeit wird ein bisschen verfälscht. Es gibt diese Nostalgie, wo, auch wenn man in der DDR gelebt hat, die Leute jetzt nicht alles schlechtreden müssen. Aber man muss natürlich auch immer wieder auf den Punkt bringen, wie es damals wirklich war. Das ist immer sehr, sehr schwierig, dann auch jungen Menschen wirklich näherzubringen. Ich habe das selber bei meiner Tochter gemerkt, dass es für sie eigentlich nicht greifbar war, wenn man von der Zeit erzählt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema