Eisengießerei Torgelow

In Form gegossene Kundenwünsche

Ein Metallteil für eine Windkraftanlage wird in der Eisengießerei Torgelow (Mecklenburg-Vorpommern) gegossen.
Inzwischen computergestützt geregelt und überwacht: Produktion eines Metallteils für eine Windkraftanlage in Torgelow. © dpa / picture alliance / Jens Büttner
Von Silke Hasselmann · 24.01.2019
Seit über 250 Jahren gibt es die Eisengießerei in Torgelow. Zu den Kunden zählen unter anderem Erbauer von Windparks - denn die Torgelower können große Teile aus einem Guss liefern. Noch begehrter ist ein neues Produkt: gusseiserne Antiterrorsperren.
Wenn Peter Krumhoff in Torgelow "auf Arbeit" ist, findet man ihn am ehesten in dem modernen Verwaltungsgebäude der Eisengießerei. Schließlich arbeitet der studierte Betriebswirt als Geschäftsführer des Unternehmens, dessen Wurzeln in die Mitte des 18. Jahrhunderts zurückreichen.
Doch immer mal wieder setzt sich Krumhoff den Schutzhelm auf und begibt sich in eine völlig andere Geräusch- und Arbeitskulisse. Dorthin nämlich, wo Schmelzer und Gießer umsetzen, was er an Aufträgen hereinholt.
"Wir stellen große schwere Gusskomponenten aus Eisenguss her. Die finden im Wesentlichen Eingang im Maschinenbau, in der Schwerindustrie, im Bereich Öl- und Gasexploration und vor allen Dingen im Bereich Windenergie."
Karl Friedrich Kummert beim Gang durch die große Werkshalle, die in den 1950er Jahren für die Großgussabteilung errichtet worden war:
"Das ist der Bereich des alten Schmelzbetriebes. Hier standen die drei Mittelfrequenzöfen mit einem Fassungsvermögen von vier Tonnen."
Diese Halle ist der einzige noch immer aktiv genutzte Betriebsteil von damals, was man schon daran merkt, dass es hier drinnen auch im Winter heiß ist. Und belebt. Fast wie zu DDR-Zeiten also, als vor allem Teile für Schiffsdieselmotoren entstanden.
An schwere Handarbeit erinnert sich Kummert, der 1967 als Lehrling im damaligen Volkseigenen Betrieb Gießerei und Maschinenbau "Max Matern" begonnen hatte und später zum sogenannten "Ofen-Chef" aufstieg.
"Staub. Kräfte; es musste viel mit Druckluftwerkzeugen gearbeitet werden. Hitze. Und natürlich auch alles mit Hand. Das heißt, die vier Tonnen Eisen wurden mit der Hand reingeschmissen."

Ehemals wichtigster Industriebetrieb Ostvorpommerns

Ein Rückblick: Ende der 80er Jahre arbeiten zweitausend Menschen in dem wichtigsten Industriebetrieb der ostvorpommerschen Region. Nach der Wiedervereinigung 1990 brechen sehr rasch sehr viele Auftraggeber weg. Den Rest erledigt die neue Konkurrenz aus dem Westen mit ihren moderneren, effizienteren Produktionsanlagen.
1993 wird aus dem vormaligen VEB eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Als die Eisengießerei Torgelow GmbH durch die zweite Insolvenz geht, halten zeitweilig nur noch 60 Mitarbeiter die Stellung. Sie sehen ihre Überlebenschance in dem steigenden Bedarf der Windenergiebranche an tonnenschweren Gussteilen, erzählt Peter Krumhoff, der vor acht Jahren aus Hamburg nach Torgelow gekommen ist:
"Also wir stellen zum Beispiel Rotornaben und Maschinenträger für Windkrafträder her."
Windkraftbauteile in der Eisengießerei Torgelow.
Windkraftbauteile in der Eisengießerei Torgelow.© dpa / picture alliance / Jens Büttner
Längst stehen in der alten Halle neue Schmelzöfen und Gießanlagen - computergestützt geregelt und überwacht, denn das Eisen muss zunächst bei möglichst exakt 1350 Grad Celsius geschmolzen werden. Doch ohne körperliche Anstrengung geht es auch heute nicht, wenn Männer in schweren goldfarbenen Hitzeschutzmänteln das weißglühende flüssige Metall in die vorbereiteten Formen gießen.

Verkaufsschlager: Mobile gusseiserne Antiterrorsperren

Insgesamt finden hier derzeit rund 400 Leute gutbezahlte Arbeit. Darunter die Konstrukteure um Stephan Briel, die sogar eigene Erfindungen zum Patent anmelden konnten. Hinter dem markenrechtlich geschützten Namen "CitySafe" zum Beispiel stecken mobile gusseiserne Antiterrorsperren - in Torgelow entwickelt nach dem todbringenden LKW-Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt 2016.
"Uns hat der Anschlag in Berlin doch stark mitgenommen und wir dachten, da könnte man vielleicht mit unserem Werkstoff was gegen tun. Wir wollten natürlich etwas haben, was uns nicht einengt. sondern wir wollten etwas entwerfen, was ´ne offene Gesellschaft ermöglicht. Die Leute sollen durchgehen können, sollen es eigentlich gar nicht merken, dass sie von den LKWs getrennt werden."
Eine mobile Antiterrorsperre besteht aus drei hüfthohen, weiß-rot gestrichene Pollern - jeweils komplett aus Gusseisen und rund 800 Kilogramm schwer. Sie kommen schlank daher - ganz im Gegensatz zu den massiven Betonsperren, die zur Sicherung von Großveranstaltungen üblich geworden sind.
Videoaufnahmen von den Crash-Tests zeigen, dass die Torgelower Poller das ultimative Stoppzeichen für fahrende Lastkraftwagen sind. Die Bayrische Landespolizei setzte sie erstmals 2017 auf den Weihnachtsmärkten in München, Nürnberg und Augsburg ein. Seitdem arbeiten die Torgelower zahlreiche weitere Bestellungen aus dem In- und Ausland ab, so Geschäftsführer Peter Krumhoff:
"Das ist ein Produkt, was wir selbst erfunden haben. Das ist sehr untypisch für Gießereien. Das Gros unserer Produktion ist nach wie vor Kundenguss. Das heißt: viel für die Windenergie."

Eiserne Alternativen für teurere Stahlkonstruktionen

Auf der Internetseite kann man die Firmenphilosophie der Eisengießerei Torgelow kennenlernen. Sie lautet getreu dem Motto von US-Präsident John F. Kennedy: "Einen Vorsprung im Leben hat, wer da anpackt, wo die anderen erst einmal reden." Übersetzt für die Vorpommern heißt das: Sie verdienen ihr Geld mit eisernen Alternativen für teurere Stahlkonstruktionen - und zwar auch in den USA.
"Alles, was Windenergie angeht, geht im Moment noch relativ stark in den zentralamerikanischen Markt, in den sogenannten 'wind belt'. Andere Sachen wie Turbinengehäuse gehen im Wesentlichen an die Ostküste. Und in Zukunft sind wir jetzt bei der Erschließung von Märkten, die sich stark auf den Süden konzentrieren, speziell weil dort am meisten Öl und Gas gefördert wird. Das heißt, wir suchen Substitutionen von Stahlkonstruktionen und Stahlguss durch Eisenguss, weil wir damit unser Geld verdienen."
Nun hat die Eisengießerei Torgelow den mit 37 Millionen Euro größten Auftrag ihrer Geschichte an Land gezogen. Der für erneuerbare Energien zuständige SIEMENS-Bereich Gamesa Renewable Energy darf in den nächsten zwei Jahren in den USA einen neuen Windpark bauen und bestellt die dafür nötigen Gusseisenteile in Torgelow – vor allem die Rotornaben, an denen die Windmühlenflügel – oder besser: die Rotorblätter - hängen.
Vorigen April konnten die Eisengießer weltweit erstmalig einen rund 100 Tonnen schweren Prototypen der neuen Naben-Generation formen - und zwar aus einem Guss. Allein dafür nötig: 500 Tonnen Formsand. Und, so Stephan Briel:
"Die Dimensionen der Außenabmessungen - das ist für uns jetzt wirklich Neuland. Wir sind im Bereich von sieben Metern Länge und fünf Metern Durchmesser. Das ist wirklich neu."

Handelsstreit hilft gegen chinesische Konkurrenz

Und hilfreich im internationalen Wettbewerb etwa mit chinesischen Eisengießereien. Denn nur die wären ebenfalls in der Lage, den SIEMENS Gamesa-Auftrag "in dieser Form und diesem Umfang" zu erfüllen, ist sich Geschäftsführer Krumhoff sicher.
Dass die Chinesen diesmal als Zulieferer nicht zum Zuge kommen, könnte mit dem Handelsstreit zwischen den USA und China zu tun haben. Noch jedenfalls belegen die Amerikaner auch aus China eingeführte Gussteile mit erklecklichen Strafzöllen, was den Einkauf für Industriegroßprojekte in den USA verteuert.
Der Staatssekretär für Vorpommern in der Schweriner Landesregierung, Patrick Dahlemann (SPD), ließ verlauten, dass der aktuelle Großauftrag für die Torgelower Eisengießerei auch damit zu tun habe. Auf unsere Nachfrage erklärte Siemens Gamesa schriftlich, man kommentiere Angelegenheiten von Wettbewerbern nicht. Nur so viel: Mit den Torgelowern habe man bereits gute Erfahrungen gemacht.
Die wiederum sind seit sechs Jahren auf dem US-Markt aktiv. Das ist mutig, weil es auch zwischen der EU und den USA immer noch staatlich gewollte Handelsbeschwernisse gibt. Das geplante Freihandelsabkommen wäre ein Fortschritt vor allem für mittelständische Unternehmen gewesen, meint Peter Krumhoff und bedauert das jähe Ende von TTIP. Doch für jetzt anstehende Lieferungen in die USA sei die Eisengießerei Torgelow GmbH gerüstet, denn:
"Wir sind gewohnt, amerikanische Zulassungsprobleme zu lösen. Wir sind gewohnt, Visa- und andere Einreiseprobleme zu lösen. Das wird an der täglichen Arbeit nicht viel ändern."
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