Eisenbahnfährhafen Mukran auf Rügen

China bringt neues Leben in den Sassnitzer Fährhafen

10:56 Minuten
Im Fährhafen Sassnitz Mukran auf der Insel Rügen kommt ein Zug aus China auf der Neuen Seidenstraße an. Der Warenstrom zwischen China und Westeuropa hat in den zurückliegenden Jahrzehnten erheblich Fahrt aufgenommen.
Im Fährhafen Sassnitz Mukran kommt ein Zug aus China an. Es ist der einzige Hafen in Mitteleuropa, in dem Normal- wie auch sowjetische Breitspurgleise verlegt sind. © imago/Norbert Fellechner
Von Silke Hasselmann · 19.12.2019
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Der Hafen von Mukran hat eine kurze und wechselhafte Geschichte: Prestigebau der DDR, Zweifel am Geschäftsmodell, Aufschwung dank Windenergie und Nord-Stream-Pipelines. Jetzt wächst die Hoffnung auf Neugeschäft, weil nun auch China den Hafen nutzt.
12. November 2019, der Eisenbahnterminal von Port Mukran ist festlich geschmückt. Schon nähert sich mit ohrenbetäubendem Hupen jener Zug, der am Kai von Mukran 41 Frachtcontainer aus China aufgeladen hat und damit nach Hamburg fahren soll.
Auf den Transparenten an der Lokomotive steht: "Testzug Mukran - Xiàn über Baltysk". Das erweckt den Eindruck, als sei dieser Zug die gesamte Strecke über gefahren, auch über die Ostsee per Eisenbahnfähre. Die Idee liegt nahe. Denn Mukran könnte Eisenbahnfähren bestens abwickeln, auch solche mit russischer Spurbreite. Dafür wurde der Hafen schließlich einst gebaut.

Von Xi nach Baltysk und weiter nach Mukran

Doch vorerst rollten die Container per Bahn vom chinesischen Xi´an zum russischen Ostseehafen Baltysk, wurden dort auf einen Frachter umgeladen und erst in Mukran wieder aufs Gleis gesetzt. Egal – es sei auch so eine enorme Zeitersparnis, sagt der Mann, der mit dem Testzug zum Stehen kommt und aus der Lokführerkabine winkt.
"Mein Name ist Junhui Zhang, Gesandter der chinesischen Botschaft in Berlin. Die Seidenstraße ist eine Initiative, wo alle Beteiligten gemeinsam planen, gemeinsam profitieren. Erst im August hat der Minister für Verkehr von Mecklenburg-Vorpommern mit unseren Vertretern dieses Projekts gesprochen, ob es möglich wäre, denn über diesen Seeweg ist die Transportzeit wesentlich kürzer als nur über die Zugstrecke. Dann hat es in zwei, drei Monaten geklappt. Das ist gut so. Profitabel für beide Seiten!"
Auch besagter Landesverkehrsminister hat es sich nicht nehmen lassen, den Umschlag der ersten "Seidenstraßen-Fracht" in Mukran auf Rügen mitzuerleben. Christian Pegel erklärt: "Der deutsch-chinesische Handel, der deutsch-russische Handel sind jahrhundertealte Handelszonen, und aus China kommen jeden Tag große Containerschiffe in Europa an. Aber ein Teil der Ladung wird seit einigen Jahren auf die Bahn verlagert. Das sind zum Teil hochwertige Güter und vor allem Güter aus dem Westen Chinas."

Ostseehafen als Knotenpunkt?

An diese Bahnverkehre wolle man "ran", ergänzt der SPD-Politiker. Zwar werde der weitaus größte Teil des chinesisch-westeuropäischen Frachtverkehrs direkt über die Weltmeere und die Nordsee verschifft. Nur ein sehr kleiner Teil rolle ausschließlich auf Schienen über deutlich längere Landverbindungen.
Doch genau dafür seien die Abkürzung über die Ostsee und Mecklenburg-Vorpommerns Ostseehäfen als Knotenpunkte ideal. "Dem Land bringt es vor allem in den Häfen Umschläge. Wir sind damit jetzt in einer langen Linie zwischen China, Russland und Deutschland einer der zentralen Punkte, über denen diese Umschläge stattfinden."
Pegel fährt fort und erläutert die Perspektiven. "Wir gehen davon aus, dass sich auf dieser Linie weitere Logistikentwicklungen ergeben und hoffen, dass das, was zwischen DDR und Sowjetunion sehr etabliert funktioniert hat, ein Stück weit sich wiederbeleben lässt – und am Ende dann nicht nur die Verkehre bis nach China und aus China, sondern auch die nach Russland und aus Russland wieder verstärkt auf dieser Linie bewegt werden."

Einmalig: Normal- und Breitspur

Zurück in die Zukunft also? Ein Blick in die Hafengeschichte. Im Oktober 2016 feiern Gäste aus Politik, Wirtschaft, Lokal- und Landespolitik den 30. Geburtstag des Mukraner Hafens. Neben dem Sassnitzer Shanty Chor sind auch Mitglieder des Traditionsklubs Mukran gekommen. Sie haben das Entstehen und Funktionieren des Eisenbahnfährhafens mitgestaltet, darunter Hans-Dieter Hoffmüller. "Das war ja, wie sich das nachher herausstellte, ein Prestigeobjekt der DDR. Es waren ja hier Bauleute aus allen Teilen der Republik zusammengezogen und auch nicht mit schlechter Technik, sondern das, was im Wesentlichen den technischen Höchststand im Bauwesen darstellte, wurde hier zum Einsatz gebracht."
Ab Frühjahr 1982 bis Herbst 1986 entsteht am Mukraner Strand zwischen Sassnitz und Binz-Prora ein Eisenbahnfährhafen samt 1,4 km langer Mole. Von hier aus sollen künftig die Gütertransporte zwischen der DDR und der Sowjetunion direkt abgewickelt werden – vorbei also an dem unzuverlässig und unwirtschaftlich gewordenen Transitland Polen.
Auf dem Mukraner Hafengelände werden zig Kilometer Schienen verlegt, teils von den riesigen Be- und Entladehallen bis zum Kai. Es sind Normalspur- wie auch sowjetische Breitspurgleise. Ein Spurwechsel also nicht nötig. Einmalig in Mitteleuropa!

Truppenabzug der sowjetischen Truppen

Nach nur vier Jahren Bauzeit fahren ab 1986 täglich fünf Eisenbahnfähren von Mukran nach Klaipeda im heutigen Litauen – mit Schüttgut, Maschinen, Medikamenten, Konsumgütern, auch mit Waffen.
Der damalige Fähren-Dispatcher Peter Klemm erinnert sich im NDR: "Zu DDR-Zeiten ging es ja etwas anders lang. Da gab es ja einen Plan. Auf diesem Plan stand: 'Auf dieses Schiff haben 102 Waggons zu gehen.' Jeden Morgen 7 Uhr mit einer Spezialleitung zwischen dem Fährhafen, also Mukran, und Berlin musste Rapport gegeben werden ans Ministerium. Und gnade uns Gott, es fehlte ein Waggon – dann war der Sozialismus in Gefahr, ne!"
Kurze Zeit später existiert die DDR nicht mehr. Bis 1994 wickelt Mukran einen letzten Großauftrag mit militärischem Hintergrund ab: den Abzug des größten Teils der sowjetischen Truppen. Die Bundesbahn hat derweil das Eisenbahnfährgeschäft übernommen. Doch wurden zu DDR-Zeiten rund 100.000 Waggons jährlich von Mukran aus verschifft, sind es nur noch ca. 7000, als Kapitän Harm Sievers als Geschäftsführer der Fährhafen Sassnitz-Mukran GmbH anheuert.

Geschäftsmodell unter Druck

Man schreibt das Jahr 2004 und die Dienstleistung einer Eisenbahnfähre ist immer seltener gefragt. In Mukran stellt sich die Frage, ob das Geschäftsmodell "rail port" – also Eisenbahnfährhafen – noch passt, erinnert sich Harm Sievers. "Das war sehr monothematisch, na klar. Wir haben dann 2005 das Umschlagterminal entwickelt mit der privaten Wirtschaft. Das war sozusagen das erste Novum, was wir eingeführt haben."
Harm Sievers schlendert auf der verglasten Aussichtsplattform des Passagier-Fährterminals entlang. Er weist auf die mittlerweile erweiterte Kai-Anlage, wo ein 235 Meter langes Schiff Getreide aufnimmt. Daneben dient Mukran seit einigen Jahren als Basislager für diverse Ostsee-Offshore-Windparks.
Von hier aus werden die Fundamente ebenso an ihren Bestimmungsort verschifft wie die eigentlichen riesigen Windmühlen. Im neuentwickelten Süden des Hafens stehen die beiden Servicestationen der Windparkbetreiber Eon und Iberdrola. "Das ist das grüne Gebäude, und das rote links daneben, so dass man sie auch farblich ein bisschen auseinanderhalten kann", sagt Sievers. "Sie können pro Station von 75 bis 80 Arbeitsplätzen ausgehen, die den Windpark von hier aus fahren, bedienen. Die Ausfälle aufnehmen – das ist ja alles elektronisch auf dem Bildschirm abzulesen – und dann die entsprechenden Reparaturen und Wartungen veranlassen."

Windparks und Ostsee-Pipelines

Auf die Frage, was denn der Hafen von der Anlage der Energiekonzerne habe, sagt Sievers: "Naja, das bringt einen Haufen Schifffahrt mit sich. Also die Transportschiffe, dann die Crew-Transferschiffe. Insofern ist das nicht nur ein Bürogebäude, sag ich mal, sondern das ist schon ein aktiver Hafenbetrieb."
So auch von 2008 bis 2011, als die Nord Stream AG die erste Ostsee-Gaspipeline von der russischen zur vorpommerschen Ostseeküste verlegt und den Hafen in Mukran zu einem wichtigen Lager- und Transportpunkt für zigtausende Röhren macht. Für den Hafen springen erkleckliche Lagergebühren, Pachteinnahmen, Kai-Entgelte heraus – so wie jetzt auch wieder durch Nord Stream 2.
Jetzt kommt also China mit seiner Neuen Seidenstraße. Dass deshalb der Eisenbahnfährverkehr von und nach Mukran rasch zu alter Blüte erwacht, glauben weder Hafenchef Sievers noch der Schweriner Verkehrsminister Christian Pegel. Doch es wäre schon viel gewonnen, wenn es nicht bei den beiden Testzügen für eine kombinierte Bahn-Schiff-Route von Xi´an über Baltysk bis Mukran und umgekehrt bliebe.
Bislang hat noch keine Spedition weitere Transporte auf dieser Seidenstraßenroute gebucht, dabei sollten dies unbedingt auch deutsche Unternehmen in Betracht ziehen, sagt der chinesische Botschaftsgesandte Junhui Zhang. China wolle die Seidenstraße nicht zur wirtschaftlichen Einbahnstraße für eigene Produkte machen, sondern sei interessiert daran, "dass immer deutsche Unternehmen Interesse finden und auch die Vorteile kennengelernt haben und ihre Produkte auf diesem Weg nach China transportieren lassen. Also, ein Geschäft kommt nur zustande, wenn beide Seiten zufrieden sind."

Keine Verkaufsabsicht

So sieht das auch Mecklenburg-Vorpommerns Verkehrs- und Hafenminister Christian Pegel und tritt zugleich Spekulationen entgegen, die sich um ein angebliches Interesse der Chinesen ranken, den Mukraner Tiefwasserhafen womöglich gleich ganz zu kaufen.
"Wir werden diesen Hafen nicht verkaufen. Wir werden auch den Rostocker Hafen nicht verkaufen. Also was ja oft die Kritik ist, dass die chinesische Seite sich große Infrastrukturprojekte erwirbt – in Deutschland kenne ich keine zurzeit keine Häfen, die zum Verkauf stehen. Unsere auf jeden Fall nicht. Sondern wir bieten die Häfen in der kommunalen und staatlichen Hand an, um Umschlag zu betreiben. Und genau das geschieht hier. Das ist zunächst ein reines Handelsprojekt, wo Umschlag stattfindet."
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