Eisbein und Trompeten

Im März 1965 tourte Louis Armstrong mit seiner „All Star Band“ vier Wochen lang durch Osteuropa. In der DDR spielte er 18 Konzerte in fünf Städten. Stephan Schulz hat Zeugnisse und Dokumente dieser ungewöhnlichen Tournee zusammengetragen.
„Eisbein köstlich“ – das war eines der wenigen Dinge, die Louis Armstrong auf Deutsch sagen konnte. Die deftige Hausmannskost nach getaner Arbeit gehörte zu den Dingen, die dem amerikanischen Startrompeter bei seinem Besuch im Osten Deutschlands besonders gut gefielen.

Der Mann aus New Orleans war ein sehr angenehmer Gast: Immer freundlich und zu Scherzen aufgelegt, unkompliziert im Umgang mit seinen Fans, und – was den Kulturfunktionären der DDR wichtig war – an Politik völlig desinteressiert.

Doch wie kam es überhaupt dazu, dass einer der größten Stars der US-amerikanischen Unterhaltungsindustrie mitten im Kalten Krieg für vier Wochen in Osteuropa gastierte? Hatte nicht Walter Ulbricht, der Staats- und Parteichef, noch wenige Jahre zuvor den Jazz als „Affenkultur des Imperialismus“ bezeichnet?

Stephan Schulz findet hier verschiedene Antworten: Zum einen hatten die DDR-Kulturfunktionäre vier Jahre nach dem Mauerbau offenbar eingesehen, dass es schlicht unmöglich war, die eigene Bevölkerung gegen Einflüsse aus dem Westen komplett zu immunisieren.

Zum anderen gab es auch von Seiten der USA ein großes Interesse an derartigen Kulturexporten, weil man auf einen Propaganda-Erfolg hoffte. Angeblich soll das US State Department der DDR die Armstrong-Konzerte sogar als Geschenk angeboten haben; dies wurde jedoch von Seiten Ost-Berlins empört abgelehnt.

Stephan Schulz beschäftigt sich aber nicht nur mit den Kulturfunktionären und den Strippenziehern im Hintergrund: Er lässt auch die ganz normalen Jazzfans zu Wort kommen, die sich monatelang auf den Besuch ihres Idols vorbereitet hatten: Wo immer Armstrong auch hinkam, egal ob Berlin, Leipzig, Magdeburg, Erfurt oder Schwerin, überall wurde er von lokalen Jazzbands empfangen, die ihm zu Ehren mehr schlecht als recht seine größten Hits intonierten.

Es sind die kleinen Geschichten am Rande, die „What a Wonderful World“ zu einem Lesevergnügen machen: Wie Armstrong bei einem Zwischenhalt im Kleinstädtchen Genthin einen Massenauflauf auslöste, wie der „King of Jazz“ ohne sein Wissen als Werbeikone für DDR-Produkte missbraucht wurde oder wie eine falsch übersetzte Frage auf einer Pressekonferenz zur Grundlage einer lebenslangen Brieffreundschaft wurde – Schulz erzählt all diese Anekdoten, als sei er selbst mit dabei gewesen.

Ergänzt wird das Buch durch Kurzporträts von Armstrongs Bandmitgliedern, durch eine ausführliche Diskografie aller in Osteuropa entstandenen Live-Aufnahmen und durch mehr als 50 zum Teil bislang unveröffentlichte Fotos. Ein wunderbares Zeitdokument – nicht nur für Jazzfans!

Besprochen von Carsten Beyer

Stephan Schulz: What a Wonderful World. Als Louis Armstrong durch den Osten tourte
Verlag Neues Leben, Berlin 2010
255 Seiten, 14,95 Euro