Einzigartiges Bild eines jüdischen Schicksals

03.07.2007
Man schreibt den November 1944, als der 18-jährige Ruben Jablonski, gerade erst von sowjetischen Soldaten aus dem Ghetto der Stadt Mogilev-Podolsk befreit, durch die Straßen von Bukarest schlendert. Die Zeitungen berichten über die Ermordung von sechs Millionen Juden, und Jablonski denkt über seinen künftigen Platz im Leben nach.
Er entschließt sich, nach Palästina zu gehen, doch erst einmal muß er, der sich kaum noch der erotischen Ausstrahlung von Schaufensterpuppen entziehen kann, unbedingt mit einer lebenden Frau schlafen und lässt sich kurz entschlossen in ein Bukarester Luxusbordell chauffieren.

Edgar Hilsenraths "Abenteuer des Ruben Jablonski", 1997 erstmals publiziert, sind nun als Band 8 der sorgfältig edierten und kommentierten Edgar-Hilsenrath-Werkausgabe erschienen, mit der der Dittrich Verlag diesen 1926 als Kind jüdischer Eltern in Leipzig geborenen großen Außenseiter der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gebührend würdigt.

Aus der Perspektive des Schelms, unerbittlich gegenüber der Welt und sich selbst lässt Hilsenrath in der Figur seines Helden und Ich-Erzählers Jablonski die eigene Jugend Revue passieren. So wie der Autor flüchtet dieser Jablonski 1938 aus Nazideutschland, gelangt zur Familie seiner Mutter nach Sereth, in die vormals habsburgische Bukowina, die zwischen den Weltkriegen zu Rumänien gehört.

Rumänien ist mit Deutschland verbündet, doch bei der Ermordung der Juden verzichtet es mitunter auf jene Gnadenlosigkeit, die Hitlers Schergen auszeichnet. Dank Korruption, Nachlässigkeit und Schwarzhandel können Ruben und seine Angehörigen in dem von Rumänien kontrollierten Ghetto überleben. Ruben Jablonski, der sich nach der Befreiung mit Almosen und Gelegenheitsarbeiten über Wasser hält und unentwegt nach Frauen Ausschau hält, gelangt noch kurz vor Kriegsende nach Palästina. Seine Erlebnisse dort gehören zu den spannendsten Passagen des Romans.

Jablonski arbeitet als Tellerwäscher in der Stadt und als Landarbeiter im Kibbuz. Schließlich übernimmt er den Job eines Leichträgers im Krankenhaus, während er in seiner freien Zeit versucht, sich seine Ghetto-Erfahrung von der Seele zu schreiben. Der politische Hintergrund, vor allem die bereits vor der Entstehung des Staates Israel wachsenden Konflikte zwischen Juden und Arabern, werden hier realistisch und mit Sinn fürs Absurde gezeichnet. Doch auch Palästina bleibt eine Episode.

1947 geht der angehende Schriftsteller nach Frankreich. Dort verfällt er, wenngleich wiedervereinigt mit seiner Familie, in eine Schreibkrise und in tiefe Depressionen. Mit der Auswanderung nach Amerika in den frühen fünfziger Jahren enden die "Abenteuer des Ruben Jablonski", die man trotz ihrer engen autobiographischen Bezüge stets als fiktionalen Text lesen sollte. Hilsenraths Roman fasziniert durch die Weltsicht seines Erzählers. Respektlos, lakonisch und grotesk balanciert er über die Abgründe der Wirklichkeit – und liefert so ein einzigartiges Bild von einem jüdischen Schicksal in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren.


Rezensiert von Martin Sander

Edgar Hilsenrath: Die Abenteuer des Ruben Jablonski. Ein autobiographischer Roman
Gesammelte Werke, herausgegeben von Helmut Braun, Band 8.
Dittrich Verlag, Berlin 2007, 307 Seiten, 22,80 Euro