Einwanderung als bürgerliche Komödie

Von Jochanan Shelliem · 14.09.2007
Israels First Lady Aliza Olmert ist Bildhauerin, hat Dramen und Drehbücher verfasst, und ihr erster Roman erscheint jetzt auf Deutsch. "Ein Stück vom Meer" nennt die Ehefrau des amtierenden Ministerpräsidenten Ehud Olmert ihren mit Wehmut kolorierten Bericht von den tragikomischen Ereignissen bei Ankunft der Familie in Israel.
Im Zentrum von Jerusalem staut sich wie immer der Verkehr. Das Haus des Premierministers in West-Jerusalem ist durch mehrere Sperrgürtel abgeriegelt. Metalldetektoren und Leibesvisitationen folgen, es dauert gut eine halbe Stunde, bis das Gespräch mit Aliza Olmert beginnen kann.

"Ein Grundmotiv zieht sich durch meine Kindheit. Es ist der Blick auf einen schmalen Streifen Strand, den ich vom Badezimmerfenster aus zwischen den Nachbarhäusern erspähen konnte. Und meine Mutter sagte später stolz, 'Wer als Kind ein Stück vom Meer sehen kann, der hat eine glückliche Kindheit gehabt.'"

"Ein Stück vom Meer" nennt Israels First Lady ihren mit Wehmut kolorierten Bericht von den tragikomischen Ereignissen bei Ankunft der Familie in Israel. Ihre Mutter stammte aus Lodz, Russland war ihre Hoffnung, die Russen aber schickten auch sozialistisch orientierte Polinnen während des Zweiten Weltkrieges ins Lager nach Sibirien. Stancia Jaja hieß ihr Lager in Fernost, wo sie sich nach der Wärme sehnte. Später - im staubigen heißen Israel - wird sie sich nach dem großbürgerlichen Leben der polnischen Oberschicht sehnen.

"Mein Vater ist in Lettland geboren worden, in einer kleinen Stadt, die Ruwno hieß. In Wilna hat er Landwirtschaft studiert, weil er die Wüste fruchtbar machen wollte."

Den lettischen Antisemitismus, die knüppelnden Kollaborateure und den Zweiten Weltkrieg überlebt der jüdische Agronom als wandernder Berater in russischen Kolchosen. Als Alizas Mutter nach Kriegsende aus Sibirien in die Wärme flieht, treffen sich die Überlebenden am Schwarzen Meer. Es folgt ihre Odyssee durch den zertrümmerten Kontinent Ende der Vierziger.

"Jeder Jude", lächelt Aliza Olmert, bevor sie die Soldatin, die auf meinen Umgang mit der Kuchengabel achtet, fragt, ob sie auch einen Kaffee will, "jeder Jude, der aus dem zertrümmerten Europa geflohen ist, habe eine ähnlich verwirrende Geschichte zu erzählen."

"Meine Eltern sind dann zurück nach Lodz gegangen, dort lebte jedoch niemand mehr, alles war zerstört. Die Schwester meines Vaters hatte sich der zionistischen Jugendbewegung Hashomer Hazair angeschlossen, sie wollte einen Kibbuz gründen. Auf einem bombardierten Flugplatz im hessischen Eschwege bereitete sich die Gruppe dann auf das landwirtschaftliche Leben in Palästina vor. Meine Eltern schlossen sich den jüdischen Pionieren an und ich wurde das dritte Kind der Gruppe, das auf diesem Flugplatz geboren wurde. "

Im Buch beschreibt Aliza Omert die Einwanderung ihrer Familie nach Israel als bürgerliche Komödie. Der Vater, der im wirklichen Leben in München für ein Jahr Direktor des jüdischen Nationalfonds Keren Kajemet wurde, hortet im Roman Gürtelschnallen, Tausende von Wehrmachts-Schnallen aus dem Dritten Reich, während die Mutter nicht auf einen ihrer Seidenunterröcke aus Polen verzichten will. Keiner der Einwanderer will eigentlich nach Israel, alle träumen von der Alten Welt.

"Alles wurde mit den Verhältnissen vor dem Krieg verglichen, für meine Mutter galt nur die Zeit, in der sie in Polen erzogen worden war. Alles war falsch in Israel, alles war nicht so, wie es sein sollte."

Das Mädchen im Roman macht aus den Wehrmachtsschnallen schließlich Kettenhemden für jüdische Krieger, Kostüme beim Channukah-Schulfest. Die wirkliche Aliza begegnet einem jungen Mann. Von dem desorientierten jungen Studenten aber, der zum Ministerpräsidenten aufsteigen sollte, erzählt sie nichts in ihrem Buch.

"Ich habe einen Israeli geheiratet, der bereits hier geboren worden ist. Er war ein junger Student, Psychologie und Philosophie hatte er studiert, als ich ihn kennen lernte, und nun wusste er nicht, was er mit seinen Universitätsabschlüssen anfangen sollte."
Und dann erzählt sie von den zionistischen Träumen ihres Vaters, die in der Gewerkschaftskarriere ihres Mannes erfüllt zu werden schienen. Verblüffend die Naivität, die ihr Leben an der Spitze des Staates bestimmt.

"Meine Kinder kamen nach dem Sechstagekrieg von 1967 zur Welt. Das Westjordanland war zwar schon erobert, doch von Besatzung sprach man noch nicht. Uns ist nicht klar gewesen, wie sich der Sieg auswirken würde. Wir sahen die Beherrschung der Westbank eher als ein ethnisches Phänomen, wir waren neugierig auf unsere Nachbarn, gingen in den Ostteil von Jerusalem und hofften auf einen baldige Frieden durch Verhandlungen. Die negativen Auswirkungen unseres Sieges haben wir viel später erkannt."
Während Aliza Olmert von der Vergangenheit erzählt, sitzen in der staubigen Mittagshitze müde Friedensaktivisten. Unter Plastikplanen, die ein wenig Schatten bieten sollen, halten sie Mahnwache vor der Stichstraße zum Wohnsitz des Premiers, der sich im vergangenen Sommer zum Libanon-Feldzug verleiten ließ.

Derweil staut sich im Zentrum von Jerusalem der Berufsverkehr, eine Soldatin wartet mit Brotbeutel und Gewehr an der Haltestelle auf den Bus und Aliza Olmert steht im ersten Stock ihres Betonbaus und träumt von einem Stück vom Meer.