Einsteinturm in Potsdam

Ein Star unter den Wissenschaftsbauwerken

Einsteinturm in Potsdam
Der Einsteinturm, gebaut von Erich Mendelsohn, auf dem Telegrafenberg in Potsdam © imago/Schöning
Von Philipp Schnee · 25.11.2015
"Ein wenig willkürlich" – so kommentierte in den 1920er-Jahren das Preußische Hochbauamt die Baupläne für den Einsteinturm in Potsdam. Gebaut wurde das Sonnen-Observatorium vom Architekten Erich Mendelsohn - trotzdem. Und noch heute wirkt das Gebäude futuristisch.
"Mein erster Eindruck, als ich ihn zum ersten Mal live sah, war, dass er ein bisschen aussieht wie ein U-Boot, das man in einen Rennwagen umgebaut hat und mit dem Rudolf Carraciola über den Nürburgring fährt."
Der Eindruck eines Kulturhistorikers: Hans Wilderotter, der sich intensiv mit dem Turm für Einstein beschäftigt hat.
"Er hat ein bisschen was zooamorphes, man hat manchmal den Eindruck, es handelt sich um ein Urtier, was dort zur Ruhe gekommen ist und so ganz langsam ist das Fleisch von den Knochen gefallen und die bleichen jetzt weiß in der Sonne."
Carsten Denker, Sonnenphysiker am Leibniz-Institut für Astrophysik, ist heute der Herr des Turms.
"Es ist ein funktionales Gebäude, aber es sollte eben auch ein Gebäude sein, das diese neue Theorie verbildlicht."
Die allgemeine Relativitätstheorie. Am 25. November 1915 von Albert Einstein formuliert und vorgetragen, 1919zum ersten Mal durch englische Forscher in Teilen experimentell bestätigt.
"Einstein hat über Newton gesiegt."
Jubelte die deutsche Presse: Für patriotische Glücksgefühle musste so kurz nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg auch die Wissenschaft herhalten. Aber die Sache hatte einen Haken. Englische, nicht deutsche Forscher hatten Einsteins Theorie experimentell bestätigt.
Denker: "Und das war dann sozusagen der Auftakt dazu zu sagen: Wir müssen aufholen. Einstein hatte zu dieser Zeit in Berlin einen sehr großen Freundeskreis, auch in industrielle Kreise hinein, und es war ihm möglich, innerhalb kürzester Zeit 500.000 Reichsmark aufzutreiben. Man konnte dann Regierungskreise überzeugen, eine ähnlich hohe Summe dazuzugeben."
Der junge Astro-Physiker Erwin Finlay Freundlich hatte Einstein schon lange seine Hilfe bei experimentellen Beweisen seiner Theorie angeboten. Er holte den befreundeten Architekten Erich Mendelsohn mit ins Boot: Einen Turm zu bauen, die Relativitätstheorie zu bestätigen. Einstein, der Theoretiker, Freundlich, der Sonnenphysiker, Mendelsohn, der Architekt.
Denker: "Man kannte sich hier im Berliner Raum, man kam aus bürgerlichen Kreisen und hat teils zusammen musiziert und in diesen Gesprächen und auch in diesen Briefaustauschen hat man sich langsam dann dieser Form des Einsteinturms angenähert."
Doch wie sollte der Turm Einsteins Theorie beweisen? Carsten Denker, der Sonnenphysiker:
"Ja, die grundlegende Idee war, was passiert eigentlich, wenn Licht von der Sonne aus gesendet wird. Licht konnte man sich vorstellen als Photonen, als Lichtquanten, die dann durch Einsteins berühmte Formel e=mc², Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat, auch eine Masse haben sollten. Wenn ein Teilchen Masse hat, muss es Arbeit leisten, wenn es aus dem Schwerefeld der Sonne entkommen möchte. Das heißt, das Photon muss dann Energie verlieren. Und das äußert sich eben in einer Rotverschiebung seiner Spektrallinie. Und diese Rotverschiebung wollte man hier am Einsteinturm mit einem extrem leistungsfähigen Spektrografen nachweisen."
Ein futuristisch anmutendes Bauwerk
Für dieses Experiment sollte ein futuristisch anmutendes Bauwerk errichtet werden. Skepsis im preußischen Hochbauamt:
"Ungewohnt und ein wenig willkürlich"
Sei die äußere Gestaltung des Gebäudes, dennoch verzichtete das Amt großmütig darauf, Bedenken zu erheben.
Da es "an einer ein wenig abgelegenen Stelle zu stehen kommt".
Abseits der preußischen Schlösser und Gärten, inmitten des bewaldeten Telegrafenbergs, war es auch in der alten Residenzstadt Potsdam erlaubt, architektonisch zu experimentieren. Ganz oben auf der Kuppel im vierstöckigen Turm beginnt man zu begreifen, welche technischen Probleme beim Bau dieses Sonnen-Observatoriums, dieser Hülle für das Sonnenteleskop, zu lösen waren:
Denker: "Was wir hier haben, ist ein Turm im Turm, der hat sein eigenes Fundament, das, wenn wir hier durch das Gebäude laufen, kein Trittschall auf das Teleskop übertragen und auch, wenn es draußen windet, bewegt sich das Gebäude. Das ist nicht sehr viel, aber es wäre störend für die Sonnenbeobachtung. Deshalb nutzt man die Idee des Turms im Turm."
Das Herzstück des Baus ist der Raum mit dem Spektrografen, dem Instrument, das das Sonnenlicht auffächert für den Nachweis der Rotverschiebung.
"Und dieser Raum hat noch etwas Besonderes, er ist nämlich, genauso wie wir einen Turm im Turm hatten, ein Raum im Raum",
um Temperatur und Luftfeuchtigkeit konstant zu halten.
1922 war der Turm fertig, ein Jahr, nachdem Einstein den Nobelpreis für Physik bekommen hatte. Bis 1924 dauerte der Einbau der technischen Geräte. Nun konnten die Wissenschaftler in diesem Bauwerk der Moderne beginnen, Einsteins Theorie experimentell zu bestätigen. Zu messen, zu analysieren, die Rotverschiebung nachzuweisen.
"Das Messergebnis war also richtig, allerdings konnte man es zu dem Zeitpunkt noch nicht richtig interpretieren, …so saßen die Leuten vor ihren Ergebnissen und konnten an der Stelle erst Mal nicht weitermachen."
Der Nachweis der Relativitätstheorie: er gelang erst mal nicht. Seinen eigentlichen Zweck erfüllte der Turm also nicht, aber er war ein außergewöhnliches Bauwerk.
"Vielleicht wäre es besser gewesen, den Einsteinturm zehn Jahre später zu bauen, wo man dann die neuen Materialien beherrscht hätte."
Kommentiert Carsten Denker. Denn – auch beim Bau war der Gedanke schneller als der technische Fortschritt seiner Zeit. Geplant wurde er mit dem damals noch wenig erprobten Beton, nach einigen Schwierigkeiten wurde er jedoch mit einem Materialmix aus Beton, Ziegel, Holz und Metall zu Ende gebaut.
"Als Funktionsgebäude mit seinen wiederkehrenden Schäden ist es natürlich ein problematisches Gebäude."
1927, 1940, 1950, 1964, 1974-78, 1984 und so weiter – der Einsteinturm musste immer wieder repariert und saniert werden, aber:
"Als Stätte für wissenschaftliche Forschung und auch als ein Gebäude, das ein sehr gutes Instrument beherbergt, ist er sehr gelungen."
Rund 20 Jahre lang war der Einsteinturm der beste Ort zur wissenschaftlichen Beobachtung der Sonne – auch wenn er nicht den Zweck erfüllte, für den er gebaut war. Heute, nach seiner letzten und umfassendsten Sanierung Ende der 90er-Jahre, ist Mendelsohns Turm, der heute wirkt wie etwas Futuristisches aus vergangener Zeit, beliebt und bewundert, ein Star unter den Wissenschaftsbauwerken des 20. Jahrhunderts.
"In China hat man versucht, den Einsteinturm nachzubilden; wenn man die Bilder sieht, muss man sagen, das ist nicht ganz gelungen."
Ganz wie beim Original.
Mehr zum Thema