Einstein in Berlin

Von Markus Rimmele |
Mit wohl keiner Stadt ist die wissenschaftliche Karriere Albert Einsteins so eng verknüpft wie mit Berlin. Hier lebte er 18 Jahre lang. Als Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften und Direktor in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft wurde Einstein in Berlin zu dem "Star", der er bis heute geblieben ist. Doch es war auch Berlin, das ihn 1933 wegen seiner jüdischen Herkunft verstieß. Eine Suche nach den Spuren, die der große Physiker in der Stadt und ihrer Umgebung hinterlassen hat.
Die Reste der Nacht liegen noch überall herum, leere Flaschen, zerknülltes Papier, Isomatten - und Schüler. Ein paar Mädchen haben sich zur Abkühlung Wasser über den Kopf gegossen und dösen im Schatten, einige tanzen apathisch vor sich hin, andere räumen schleichend den Schulhof auf. Erschöpfung. Es ist der Morgen danach. Heute war Abi-Streich, alle haben durchgemacht, jetzt steht die Juni-Sonne hoch am Himmel - und die Schulzeit ist endgültig vorbei. Ihre Zeugnisse haben die Abiturienten schon, und noch etwas haben sie bekommen: die Kopien zweier 50 Jahre alter Briefe. Doch dazu später.

Von der Fassade blickt ein riesiger Kopf auf das müde Treiben herab. Wirres Haar, gütiger Blick - Albert Einstein. Wer auch immer sich auf die Suche nach den Spuren des Physikers in Berlin begibt, kommt früher oder später hierher ins Albert-Einstein-Gymnasium im Bezirk Neukölln. Es ist einer der ganz wenigen Orte in der Stadt, wo Einstein präsent ist.

Gebhardt: "Wenn ich an eine Schule komme, die Albert-Einstein-Gymnasium heißt, dann ist es für mich logisch, dass ich mich auch ein bisschen damit beschäftige, damit ich überhaupt, wenn mich meine Eltern fragen, auf welche Schule gehst du überhaupt, das ihnen erzählen kann. Und von daher ist ein Grundinteresse, ich glaube, bei jedem Schüler hier gegeben. Wobei unsere Schule dieses Jahr 50-jähriges Jubiläum hatte und wir dann eine große Feier hatten. Und im Rahmen dieser Feier haben sich alle Kurse in dieser Schule und die Klassen mit Einstein beschäftigt und Plakate erstellt, Vorträge gehalten, und da kam das dann schon noch mit vor. "

Andreas Gebhardt aus der 12. Klasse ist einer der Einstein-Experten unter den Schülern hier. Er hat Physik-Leistungskurs und zusätzlich einen Ergänzungskurs zur Einsteinschen Relativitätstheorie belegt.
Die Schule pflegt das Erbe ihres Patrons und fühlt sich ihm verbunden. Damit unterscheidet sie sich vom Rest Berlins. Albert Einstein wird nicht als historische Berliner Persönlichkeit wahrgenommen - und das, obwohl der Wissenschaftler fast 20 Jahre hier gewirkt hat, obwohl er in Berlin und durch Berlin zu der schillernden Persönlichkeit wurde, die heute jeder kennt.

Der Mann, der da im März 1914 im Zug Richtung Berlin sitzt, ist noch kein gefeiertes Genie, auch kein verwirrter grauhaariger Mann, der anderen die Zunge herausstreckt. Es ist einfach ein viel versprechender 35-jähriger Wissenschaftler, der auf dem Weg ist, seine neue Arbeitsstelle anzutreten. Ein junger Physiker, der zugegebenermaßen ein paar Besonderheiten aufweist. Da wäre zunächst seine verwirrende regionale Herkunft: geboren in Ulm, aufgewachsen in München, auch kurze Zeit in Italien. Nach vielen Jahren in Bern und Zürich ist er aber Schweizer Staatsbürger. Auffällig für einen Wissenschaftler ist auch sein Werdegang, der ihn unter anderem auf einen Posten im Berner Patentamt geführt hat. Ungewöhnlich auch, dass er in jungen Jahren bereits Dinge veröffentlicht hat, die bei der Physikerelite großes Aufsehen erregt haben. Schließlich ist der Mann im Zug noch jüdischer Herkunft, was ihm selbst allerdings wenig bedeutet, und er ist überzeugter Demokrat mit Hang zum Pazifismus, ohne aber politisch aktiv zu sein.
Eigentlich mag er Berlin nicht, die preußisch-deutsche Hauptstadt mit ihrem wilhelminischen Säbelgerassel und Hurra-Patriotismus. Und doch gibt es für den jungen Physiker Albert Einstein keinen besseren Ort als Berlin.

Hoffmann: "Hier in Berlin war eine ganz hohe Dichte exzellenter Wissenschaft, wo das geschah, was heute in Cambridge oder Stanford passiert. Also die wissenschaftlichen Standards und die aktuellen wissenschaftlichen Entwicklungen wurden dort betrieben. Und das zog eben Leute an wie Einstein. Also man traf sich in Kolloquien, wo eine unerhörte Dichte wissenschaftlicher Koryphäen zusammen saß, viele Nobelpreisträger. Berlin war in diesem Sinne wirklich Weltstadt. "

Dieter Hoffmann vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte forscht seit Jahrzehnten über Albert Einstein. Wenn er von der Menge und Qualität der wissenschaftlichen Institutionen in Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts spricht, gerät er ins Schwärmen. Im Jahr 1914 ist Berlin für einen Physiker eine Verheißung. Doch auch Albert Einstein ist eine Verheißung für die Berliner Wissenschaftswelt und in Fachkreisen längst kein Unbekannter mehr.

Hoffmann: "Insofern legten die Berliner Physiker schon Wert, diesen aufstrebenden Stern am Physikerhimmel auch für Berlin zu gewinnen. Einstein war ja durch seine Lichtquantenhypothese, also eine jener großen Arbeiten des Jahres 1905, zu einem Pionier der Quantenphysik geworden. Und das waren auch Themen, die Berliner Physiker interessierten: Warburg, Nernst, Planck arbeiteten unter anderem auf diesem Gebiet. Und man hoffte auch, hier in dem Grenzbereich zwischen Physik und Chemie, mit Hilfe Einsteins zu neuen Erkenntnissen vordringen zu können, so zu sagen eine weitere Vereinheitlichung der Wissenschaft. "

Das Angebot, das Max Planck, Fritz Haber und Walter Nernst dem Züricher Kollegen machen, ist ganz außerordentlich: Einstein wird hauptamtliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften, wo er sich ohne Verpflichtungen ganz auf seine Forschung konzentrieren kann. Gleichzeitig ist er Honorarprofessor an der Berliner Universität, wiederum ohne Lehrverpflichtung, und soll Direktor eines neu zu gründenden Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik werden. Das Ganze zum Höchstgehalt eines deutschen Universitätsprofessors von 12.000 Mark. An seinen Freund Jakob Laub schreibt Einstein im Herbst 1913 mit seinem ihm eigenen Humor:

" Im Sommer gehe ich nämlich nach Berlin als Akademie-Mensch ohne irgendwelche Verpflichtung, quasi als lebendige Mumie. Ich freue mich auf diesen schwierigen Beruf. "

Einstein kommt am 29. März 1914 in Berlin an, kurz darauf folgt ihm seine Frau Mileva mit den beiden Söhnen nach. Die Familie zieht in eine Wohnung in Dahlem. Albert Einstein hat bereits seit längerem eine Liebesaffäre mit seiner Berliner Kusine Elsa, der er nun auch räumlich nahe sein kann. Seine Ehe zerbricht, schon im Juli kehrt Mileva mit den Kindern in die Schweiz zurück, Einstein zieht in die Wittelsbacher Straße in Wilmersdorf und schließlich zu Elsa in die Haberlandstraße im bürgerlichen Bayerischen Viertel in Schöneberg. Anfang August bricht der I. Weltkrieg aus. Für Albert Einstein hat ein neuer Lebensabschnitt begonnen, beruflich, privat und politisch.

Stadtführung: "Guten Tag, ich möchte Sie ganz herzlich begrüßen zur Stadtführung Einstein. Mein Name ist Barbara Müller. Diese Tour fängt hier an am Kronprinzenpalais und endet an der Oranienburger Straße an der Großen Synagoge…"

Rund zehn Personen haben sich Unter den Linden zur Stadtführung versammelt. Sie suchen Einsteins Berliner Spuren. Private Spuren sind kaum mehr vorhanden, seine Schöneberger Wohnung mit dem berühmten Arbeitszimmer im Turm wurde im Krieg zerstört. An der Stelle des eleganten Jahrhundertwendehauses befindet sich heute ein einfacher Nachkriegsbau. Als Gebäude erhalten oder wieder aufgebaut sind aber seine beruflichen Wirkungsstätten im Berliner Stadtzentrum: die Preußische Akademie der Wissenschaften im Gebäude der Staatsbibliothek Unter den Linden und daneben die heutige Humboldt-Universität.
Hier gerät Einstein schon bald nach seiner Ankunft in Konflikt mit seinen Professoren-Kollegen, von denen viele die grassierende nationalistische Kriegsbegeisterung teilen und dies auch öffentlich kundtun. Albert Einstein lässt sich davon nicht mitreißen. An einen Freund schreibt er:

" In solcher Zeit sieht man, welch trauriger Viehgattung man angehört. Ich empfinde nur eine Mischung aus Mitleid und Abscheu. "

Die Kriegsjahre sind für Einstein beruflich sehr fruchtbare Jahre. 1915 vollendet er in Berlin die Allgemeine Relativitätstheorie. Gleichzeitig fängt er an, sich politisch zu engagieren, tritt dem pazifistischen "Bund Neues Vaterland" bei, erwägt in einem Essay eine zukünftige europäische Staatengemeinschaft. In der Berliner Kriegszeit wird der politische Einstein geboren, der später zu einer Symbolfigur des Pazifismus wird und sich öffentlich zu Wort meldet. Zum Beispiel in seinem so genannten "Glaubensbekenntnis" von 1932:

Einstein: "Ich achte stets das Individuum und hege eine unüberwindliche Abneigung gegen Gewalt und gegen Vereinsmeierei. Aus allen diesen Motiven bin ich leidenschaftlicher Pazifist und Antimilitarist, lehne jeden Nationalismus ab, auch wenn er sich nur als Patriotismus gebärdet. Ich bekenne mich zum Ideal der Demokratie, trotzdem mir die Nachteile demokratischer Staatsform wohlbekannt sind. Sozialer Ausgleich und wirtschaftlicher Schutz des Individuums erschienen mir stets als wichtige Ziele der staatlichen Gemeinschaft. "

Gewicht bekommt Einsteins politisches Engagement, als er berühmt wird, und das geschieht schlagartig im Herbst 1919. Die Messungen einer britischen Sonnenfinsternisexpedition bestätigen erstmals die in der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagte Lichtablenkung im Schwerefeld der Sonne.

Stadtführung: "…und mit einem Schlag: Albert Einstein sagte: Ich wurde eines Morgens im November wach und war berühmt. Also, er ist auf einmal wahnsinnig berühmt geworden. Jeder wollte ihn hören und wollte auch in Berlin sozusagen ein lebendes Wahrzeichen, eine lebende Touristenattraktion sehen…"

Albert Einstein wird zum ersten Wissenschafts-Star des Medienzeitalters, zur internationalen Kultfigur. Die Presse von Europa bis Amerika berichtet über den Berliner Professor und seine weltstürzende Theorie. Einsteins Leben ändert sich abrupt, er ist plötzlich eine öffentliche Person. Die Stadtführerin zitiert einen Augenzeugen der Einsteinschen Vorlesungen in der Berliner Universität:

Stadtführung: "…Man sah reiche amerikanische und englische Damen in kostbaren Pelzen in seinen Vorlesungen, die ihn sich mit einem Opernglas genau ansahen und oft einen großen Teil des Saales füllten. Gelegentlich sagte Einstein: ‚Nun will ich eine kleine Pause machen, damit sich alle entfernen können, die sich nicht weiter interessieren.' Dann blieben oft nur acht bis zehn Studenten zurück. "

Der Einsteinkult entwickelt sich zum Massenphänomen, obwohl nur ganz wenige wirklich verstehen, worin das wissenschaftliche Verdienst des Physikers liegt. Eine Ursache dafür, vermutet Dieter Hoffmann, sind die Zeitumstände nach dem Ersten Weltkrieg:

Hoffmann: "Dass die Theorie eines in Deutschland geborenen Juden mit Schweizer Pass von einer englischen Sonnenfinsternisexpedition bestätigt wurde: Das war ein Zeichen der Hoffnung, wo Krieg und Nachkriegszeit doch sehr stark von Nationalismen und nationalen Konflikten geprägt waren, dass es hier etwas gibt, das über diese Zeit hinaus Bestand hat. Und das lud Einsteins Theorien mit Kontexten auf, die mit Wissenschaft im Grunde nichts zu tun haben. "

In die Zeit des beginnenden Ruhms fallen auch wichtige private Ereignisse. Albert Einstein heiratet nach der Scheidung von Mileva seine Kusine Elsa, und im Februar 1920 stirbt seine Mutter bei ihm in Berlin.
Einstein beginnt viel zu reisen, das internationale Interesse an seiner Person ist immens. Für das Jahr 1921 erhält er den Nobelpreis. Er hält Vorträge in ganz Europa, reist nach Japan und Südamerika und ab 1930 jährlich in die Vereinigten Staaten. Aus wissenschaftlichen und politischen Gründen ist er so viel unterwegs, doch keineswegs nur deshalb. Er will auch dem gereizten Berliner Klima entfliehen. Einstein ist ins Schussfeld der deutschen Antisemiten geraten. Rechte Studenten stören seine Vorlesungen. Teile der Presse betreiben eine Anti-Einstein-Kampagne. Physikerkollegen lehnen seine Relativitätstheorie als "jüdische Wissenschaft" ab. Er überlegt für eine kurze Zeit, Berlin den Rücken zu kehren. Angebote aus anderen Ländern gibt es genug. Doch er bleibt. Mit Berlin fühlt er sich verwachsen wie mit keiner anderen Stadt, schreibt er, der wissenschaftlichen und menschlichen Kontakte wegen.

Einschüchtern lässt er sich nicht vom um sich greifenden Antisemitismus. Und doch hinterlässt dieser Spuren: Albert Einstein entdeckt sein Judentum, das ihm früher nie viel bedeutet hat. Christian Dirks ist Kurator der Einstein-Ausstellung "relativ jüdisch", die ab September im Berliner Centrum Judaicum zu sehen sein wird:

Dirks: "Es war dann insbesondere die grassierende Ostjuden-Debatte um 1919/20 herum, die hier in Berlin besonders erhitzt geführt wurde, auch in der publizistischen Öffentlichkeit. Und da ging es um die osteuropäischen jüdischen Flüchtlinge, die größtenteils in Berlin nur eine Zwischenstation gemacht hatten, um dann weiter zu reisen, meist in die USA und hier im Umfeld des Scheunenviertels lebten und diesem Viertel den Charakter eines osteuropäischen Schtetls durchaus gaben. Und Einstein schaltete sich in diese Debatte ein und ergriff vehement Partei für die unterprivilegierten und unterdrückten armen ostjüdischen Brüder, wie er es nannte. "

Einsteins Judentum basiert nicht auf dem Glauben. Lange ziert er sich deshalb, Mitglied der Berliner Jüdischen Gemeinde zu werden. Er fühlt sich der jüdischen Schicksalsgemeinschaft zugehörig, der jüdischen kulturellen und sozialen Tradition. Jüdisch im religiösen Sinne ist er nicht. Einstein selbst 1932 zur Frage der Religion:

Einstein: "Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder. Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren ein für unseren Geist Unerreichbares verborgen sei, dessen Schönheit und Erhabenheit uns nur mittelbar und in schwachem Widerschein erreicht, das ist Religiosität. In diesem Sinne bin ich religiös. "

Einsteins Einsatz für die armen jüdischen "Stammesbrüder", wie er sie nennt, ist unermüdlich. Er wird zu einem der prominentesten Kämpfer für den Zionismus. Christian Dirks:

Dirks: "Zionismus war für ihn nicht die Gründung eines Nationalstaats. In solchen Kategorien dachten die wenigsten Zionisten auch in den 20er Jahren. Für Einstein war Palästina, der Zionismus eher ein kulturelles, ein politisches Projekt. Palästina sollte eine Art Mustergesellschaft werden und vor allen Dingen auch Zufluchtsort für die osteuropäischen jüdischen Flüchtlinge. "

Einstein fährt nach Amerika, um Spenden für die Gründung der Hebräischen Universität in Jerusalem zu sammeln, schreibt Grußworte und hält Vorträge, so auch am 28. Oktober 1930 bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung zu Gunsten der Juden in Osteuropa im Londoner Savoy-Hotel - eine seltene, gerade erst veröffentlichte Originalaufnahme:

Einstein: "Die Situation unserer über die Erde verstreuten jüdischen Gemeinschaft ist zugleich ein Barometer des moralischen Standards in der politischen Welt. Denn was könnte für den Stand der politischen Moral und des Gerechtigkeitsgefühles charakteristischer sein als die Haltung der Nationen gegenüber einer wehrlosen Minderheit, deren Besonderheit in der Wahrung einer alten Kulturtradition besteht? "

Am 10. Dezember 1932 holt ein Freund die Einsteins in ihrem Sommerhaus in Caputh bei Potsdam ab und bringt sie zum Lehrter Bahnhof in Berlin. Ein Gastaufenthalt in Amerika steht an. Die Rückkehr ist für den März 1933 geplant.

Während sich der Zug in Bewegung setzt, ahnt Albert Einstein nicht, dass es ein Abschied für immer ist. Als er vor 19 Jahren in Berlin ankam, war er ein unbekannter und unpolitischer Physiker. Er verlässt die Stadt als internationale Berühmtheit, politischer Intellektueller und aktiver Jude. Berlin hat ihn geprägt.

Im kalifornischen Pasadena erfährt Einstein vom Machtantritt Hitlers. Im März kehrt er nach Europa zurück, hält sich in Belgien und England auf, prangert das deutsche Unrechtsregime öffentlich an und erklärt, dass er nicht mehr nach Deutschland zurückkehren werde. Die Nazis konfiszieren sein Vermögen und wollen ihn aus der Akademie der Wissenschaften ausschließen:

Stadtführung: "…dem ist Albert Einstein zuvorgekommen und zwar schrieb er im März 33 an die Akademie der Wissenschaften zu Berlin: Die in Deutschland gegenwärtig herrschenden Zustände veranlassen mich, meine Stellung bei der Preußischen Akademie der Wissenschaften hiermit niederzulegen. Die Akademie hat mir 19 Jahre lang die Möglichkeit gegeben, mich frei von jeder beruflichen Verpflichtung wissenschaftlicher Arbeit zu widmen. Ungern scheide ich aus ihrem Kreise, auch der Anregungen und der schönen menschlichen Beziehungen wegen, die ich während dieser langen Zeit als ihr Mitglied genoss und stets hoch schätzte. "

Die Kollegen in der Berliner Akademie zeigen sich unsolidarisch, halten willfährig zu den neuen Machthabern. Für Einstein eine der schmerzlichsten Erfahrungen seines Lebens. Im Herbst 1933 verlässt er Europa für immer und siedelt sich im amerikanischen Princeton an. Deutschland bezeichnet er, der mehrere Verwandte im Holocaust verliert, später als "Land der Massenmörder". Nichts will er mehr mit seinem Geburtsland zu tun haben, weist alle Versuche von deutscher Seite, ihn nach dem Krieg zurückzuholen, brüsk zurück.
Nationalsozialismus und Krieg haben Einsteins Spuren in Berlin verwischt, konnten aber nicht alle beseitigen. Im Potsdamer Einsteinturm, einem Sonnenobservatorium von 1924, ist eine solche Spur erhalten.

Eine Einstein-Porträtbüste empfängt die Besucher am Eingang. Sie stammt von 1925 und wurde zu Einsteins 50. Geburtstag 1929 im Gebäude aufgestellt. Herbert Borchert führt heute Touristen durch den Turm. Er begann 1944, hier als Feinmechaniker zu arbeiten:

Borchert: "Sie sehen hier die Büste Einsteins, geschaffen von dem dänischen Künstler Isenstein. Diese Büste sollte 1933 bei den Nazis eingeschmolzen werden, weil Einstein jüdischer Abstammung war. Ein Mitarbeiter des Hauses hat diese Büste im Haus versteckt und 1945 nach dem Krieg wieder hervorgeholt und so ist sie uns erhalten geblieben. Ich weiß, dass derjenige, der die Büste versteckt hat, mein Lehrmeister war. Er hat aber nicht gesagt, wo er sie versteckt hat im Hause. Das Geheimnis hat er mit ins Grab genommen. "

Eine Büste, ein Sommerhaus, drei Berliner Straßennamen. Viel mehr erinnert in Berlin nicht an Albert Einstein. Und die Berliner erinnern sich kaum an ihn. Der Bruch der Nazizeit ist nachhaltig. Der einst so gefeierte Berliner Professor verschwand aus dem Bewusstsein, beim Namen Einstein denken auch die Berliner heute eher an die Pop-Ikone, den Wirrkopf mit der Zunge.
War's das? Nicht ganz. Der Schulleiter des Albert-Einstein-Gymnasiums in Neukölln, Klaus Lehnert, bewahrt einen kleinen Schatz auf, einen Brief Albert Einsteins vom 13. Mai 1954. Darin gibt der Physiker in Princeton der Schule die Erlaubnis, sich Albert-Einstein-Gymnasium zu nennen.

Lehnert: "Sehr geehrter Herr Bürgermeister, gemeint ist der Bezirksbürgermeister Exner vom Bezirk Neukölln, ich gebe gern meine Zustimmung dazu, dass die von Ihnen in ihrem Briefe vom 7. Mai genannte Schule nach mir benannt wird. Ich füge den frommen Wunsch bei, dass nicht abermals solche Verhältnisse eintreten mögen, die zu einer Umbenennungsepidemie Veranlassung geben könnten. Mit ausgezeichneter Hochachtung. Albert Einstein. "

Und noch einen Brief erhielt die Schule von Einstein, geschrieben am 2. April 1955 - zwei Wochen vor seinem Tod. Es ist damit wohl das letzte Einsteinsche Zeugnis in Berlin - ein Dankesschreiben an die Schüler, die ihm offenbar ein Päckchen mit Aufsätzen und selbst gebastelten Geschenken über den Atlantik geschickt hatten. Einstein bedankt sich mit sehr freundlichen, ja fast zärtlichen Worten. Den Deutschen und der Stadt Berlin, die ihn verjagt hatten, konnte er nie verzeihen. Doch der Geste der jungen Neuköllner Schüler vermochte er nicht zu widerstehen.

Auch die Abiturienten des Jahrgangs 2005 nehmen beide Briefe in Kopie mit nach Hause. Das ist Tradition am Albert-Einstein-Gymnasium.


Literatur zum Thema:
Hubert Goenner
"Einstein in Berlin"
Beck Verlag, München, 2005