Einsam gestorben und anonym entsorgt

Von Bettina von Clausewitz |
„Bestattung von Amts wegen“ – so heißt es im nüchternen Bürokratendeutsch, wenn jemand stirbt und kein Angehöriger sich um die Beerdigung kümmert. In solchen Fällen sorgt das Ordnungsamt für die Beisetzung auf einem anonymen Gräberfeld. Das ist völlig unakzeptabel, meint ein kirchlicher Arbeitskreis in Essen und ist jetzt aktiv geworden.
„Mir widerstrebt sehr, dass ein Mensch, der geboren ist, einen Namen bekommen hat, ’ne Familie hatte, mit Hoffnungen und mit Freuden groß gezogen geworden ist, irgendwann verschwindet. Und wenn wir da über unsere Anzeige schreiben: ‚Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein‘, ist meine theologische Überzeugung, dass keiner durch die Roste fällt beim lieben Gott.“

Ein Gottesdienst für die „Unbedachten der Stadt“, wie der Essener Krankenhausseelsorger Gerd Hohagen die Menschen nennt, die anonym und „von Amts wegen“ bestattet werden. In jeder deutschen Großstadt gibt es solche Bestattungen und zwar in wachsender Zahl. Rund 15 Prozent aller Todesfälle sind anonyme Bestattungen. Wie viele dieser Menschen einsam gestorben sind und vom Ordnungsamt kostengünstig „entsorgt“ werden, ist dagegen bundesweit nicht erfasst. Allein in Essen mit knapp 600.000 Einwohnern sind es jährlich rund 300, in der Millionenstadt Köln etwa 700, erzählt Pfarrer Hohagen.

„Das war einfach ein Schock, das kann doch nicht wahr sein, dass so viele Menschen einfach so sang- und klanglos verschwinden. Bestatter holen die vom Altenheim, vom Krankenhaus oder von Zuhause ab, dann werden die eingeäschert und dann wird – jede Woche gehen die Friedhofswärter und nehmen den Schwung Urnen mit und setzen den auf einem anonymen Gräberfeld bei. Die Stadt bezahlt also nur die Beisetzung auf einem anonymen Gräberfeld ...“

... und dann wächst buchstäblich Gras darüber. Deshalb hat in Essen jetzt ein evangelisch-katholischer Initiativkreis begonnen, dagegen zu steuern und die einsam Verstorbenen dem Vergessen zu entreißen. Auch wenn es zumeist gar nicht die typischen Randsiedler der Gesellschaft sind, wie Seelsorgerin Ruth-Hermi Moeller festgestellt hat:

„Wir waren sehr erstaunt als wir vom Ordnungsamt nicht nur die Namen bekamen, sondern auch das Alter, dass so viele Junge auch schon so eine soziale Isolation haben. Da ist jemand dabei, der ist 34 oder 41, und es sind nicht Leute, von denen man so denkt, sie werden anonym bestattet, Junkies oder Obdachlose, die haben ja meist irgendwo noch ihren Kreis, die Obdachlosen sind selten allein, aber diese Menschen haben das eben nicht! "

Seit Anfang 2008 gibt es in der evangelischen Citykirche in Essen deshalb einmal im Monat wochentags eine ökumenische Gedenkfeier, ab 2009 soll sie im katholischen Dom stattfinden. Kurz vor dem Termin werden die Namen der aktuell Verstorbenen in den Tageszeitungen kostenlos veröffentlicht, unterzeichnet vom Oberbürgermeister und zwei Kirchenvertretern. Eine Aktion, die offensichtlich den Puls der Zeit trifft, die kleine Citykirche war bisher jedes Mal voll. Die Motive sind vielfältig.

Frau: „Wir haben’s in der Zeitung gelesen und ich finde das wunderbar, also mir ging das gerade richtig an die Nieren. Also wenn ich mir vorstelle, dass jemand verscharrt wird und es keinen Gottesdienst gibt, das geht nicht!“

Mann: „Der Anlass war, dass wir einer Toten gedacht haben, die wir sehr gut gekannt haben, es war die Cousine meiner Frau, und die ist im Altenheim gestorben und wir konnten leider nichts für sie tun, weil wir erstens nicht zuständig waren und zweitens auch die Zeit nicht hatten.“

Frau: „Was mir nicht gefallen hat ist, dass von der Pastorin gesagt worden ist, dass Bekannte oder Freunde sich nicht gekümmert hätten. Ich glaube, dass es im individuellen Fall sehr kompliziert sein kann, wenn Kripo eingreift, wenn man nicht als Freund sich kümmern kann, dann kommt jemand in die Gerichtsmedizin und man erfährt es überhaupt gar nicht.“

Während die Namen der amtlich Bestatteten des letzten Monats feierlich verlesen werden, wird für jeden ein Licht auf dem Altar entzündet und die Totenglocken läuten. Anschließend wird die Namensliste in einer Vitrine öffentlich ausgelegt.
Auch Sachbereichsleiter Peter Lelleck vom Essener Ordnungsamt nutzt den Gottesdienst, um das anonyme Alltagsgeschäft besser zu ertragen. Denn Lelleck sitzt oft am Telefon und versucht Verwandte ausfindig zu machen:

„Sie können davon ausgehen, von 50 Fällen, dass zwei wirklich traurig sind, die anderen haben sich total auseinander gelebt. Die sozialen Kontakte sind abgebrochen beziehungsweise es sind noch teilweise Schicksale dabei, dass da Ehen kaputt gegangen sind, dass die Scheidungen schon gelaufen sind als die Kinder vielleicht im Säuglingsalter noch waren, der Vater sich nie drum gekümmert hat oder die Mutter, meistens die Väter, und dass die Familien dann ganz auseinander gelaufen sind.“

So versucht der ökumenische Arbeitskreis in Essen zweierlei, wie der katholische Theologe Gerhard Belker meint: den Verstorbenen ihre Würde wiederzugeben und bei den Lebenden das soziale Gewissen wachzurütteln.

„Wir hoffen, dass diese ökumenischen ‚Gedenkgottesdienste für die Unbedachten‘ in unserer Stadt auch vielen eine Hilfe sind, vorweg (!) einmal zu überlegen: Wie ist es denn mit meinen Nachbarn, in der Straße? Wir brauchen eine Kultur neuer Aufmerksamkeit und neuer Wegbegleitung untereinander.“