Einmal Opelaner, immer Opelaner

Ohne drastische Einschnitte wird der Autobauer Opel nicht überleben. Am Standort Bochum rechnet man mit dem Schlimmsten und zeigt sich dennoch optimistisch. Auch in Eisenach hoffen die Beschäftigten auf den Fortbestand des Werks, schließlich gilt die Fabrik als die modernste im Konzern.
Bochum
Von Frederike Schulz

Seit gestern läuft es wieder – das Bochumer Opelwerk. Nach mehr als einer Woche Kurzarbeit gehen die 5300 Mitarbeiter jetzt wieder durch das Tor am Bochumer Opelring.

Noch ist nicht klar, ob das Werk erhalten bleibt. Nach der Krisensitzung in Rüsselsheim Ende vergangener Woche hatte der Vorsitzende des Opel-Aufsichtsrats, Carl-Peter Forster, lediglich erklärt, es gebe zunächst keine Pläne zur Schließung von Werken. Doch fest steht: Der Konzern muss eine Milliarde Euro einsparen. Und dass dies nicht ohne Einschnitte für die Angestellten geht, weiß auch die Bochumer IG-Metall-Chefin Ulrike Kleinebrahm:

"Möglich ist alles. Dass es da natürlich um einen Verteilungskampf geht, liegt auf der Hand, und man muss versuchen, wie man solidarisch die Arbeit möglichst gerecht verteilen kann."

Für die Bochumer Opelaner heißt es jetzt: Abwarten, was die kommenden Wochen bringen. Die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten der Länder mit Opel-Standorten verlangen zunächst ein schlüssiges Rettungskonzept. Sie wollen sicherstellen, dass die Mittel aus möglichen Bürgschaften nicht in die Kassen des Mutterkonzerns General Motors in den USA fließen. Viel mehr als den Betroffenen in ihrer Stadt Mut machen, kann Bochums Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz daher nicht:

"Also, ich denke mal, die ganzen Familien, die jetzt hoffen und bangen und jetzt in diesem Zwiespalt sind und vor der Frage stehen: Sind die Arbeitsplätze gesichert oder nicht. Das ist schon eine furchtbare Zeit, die die durchstehen müssen. Ich bin sicher, dass die Stadt Bochum ihnen zur Seite stehen wird und helfen wird, wo immer es geht."

So können die Bochumer Opelaner nur hoffen, dass auch diesmal ihr Werk überlebt. Denn es ist nicht einmal fünf Jahre her, dass sie zuletzt um ihre Existenz bangen mussten.

Es war im Oktober 2004, als die verzweifelten Schweißer, Monteure und Lagerarbeiter spontan eine ganze Woche lang streikten. Auch damals war es der Mutterkonzern General Motors in den USA, der mit der Schließung des Standorts drohte. Der Streik war erfolgreich, der Preis für die Erhaltung des Werks in Bochum allerdings hoch. Von damals 9600 Kollegen musste knapp die Hälfte gehen. Sie bekamen Abfindungen, wurden in Beschäftigungsgesellschaften ausgegliedert. Eine Garantie für den Bestand des Werks wollte Carl-Peter Forster, damals stellvertretender Chef von GM für Europa, dennoch nicht geben.

"Das Einzige, was wir garantieren können, ist: Wenn dieses Werk wettbewerbsfähig ist, wenn es sich im internationalen Vergleichsmaßstab mit Werken in Belgien, in England messen kann, dann hat dieses Werk eine Zukunft."

Eine Zukunft, die jetzt wieder komplett in Frage gestellt ist. Dabei ist der letzte Schicksalsschlag für die Stadt im Revier gerade mal ein Jahr her.

"Ich will deutlich machen, dass ich nach wie vor kein Verständnis für das Verhalten der Geschäftsführung von Nokia habe! Ich frage mich schon die ganze Nacht, den ganzen Tag, ob diese Herren nicht verstanden haben, dass das Wichtigste in einem Betrieb nicht der Gewinn, sondern die Mitarbeiter sind!"

15.000 Demonstranten waren es, die im Januar 2008 Ministerpräsident Jürgen Rüttgers auf dem Bochumer Markplatz zujubelten. Sie protestierten gegen die Schließung des Nokia-Werks. Der finnische Handyhersteller hatte beschlossen, sein Werk in der Stadt zu schließen und die Produktion nach Rumänien zu verlagern.

"Ist egal, Sieben-Tage-Woche, länger arbeiten, Feiertage arbeiten, wir haben alles gemacht, um das Werk zu retten. Und uns jetzt so abzuservieren – man hat keine Worte dafür."
"Wir haben doch Nokia zu dem gemacht, was es heute ist, wir hier in Bochum. Und das ist jetzt der Dank dafür."
"Welcher Dank, die haben noch nicht mal Danke gesagt."

Immerhin einigte man sich mit dem Konzern auf einen Sozialplan in Höhe von 200 Millionen Euro – für die Abfindungen und die Finanzierung einer Beschäftigungsgesellschaft. 700 Kollegen, die meisten von ihnen Ingenieure, haben nach Auskunft von Nokia bereits eine neue Stelle gefunden, 1300 – meist Facharbeiter oder Ungelernte, sind derzeit bei der Personalentwicklungsagentur PEAG angestellt. Sie werden qualifiziert, bekommen Bewerbungstrainings. Auch ihre Chancen, wieder einen Job zu finden, stünden nach Einschätzung des PEAG-Geschäftsführers, Gerd Galonska, nicht schlecht, wenn derzeit die Konjunkturprognosen nicht so düster wären.

"Wir haben Aufträge für Vermittlungen, wo offene Stellen zu besetzen sind, die zurzeit nicht werthaltig sind, weil die Unternehmen sagen: Das können wir nicht absehen, wie die Entwicklung ist, deshalb schieben wir das nach hinten."

Für Vorhersagen, wie viele Ex-Nokianer bald wieder eine reguläre Stelle bekommen, ist es nach Einschätzung des Geschäftsführers noch zu früh. Dennoch: Gerd Galonska, der seit 30 Jahren in der Personalvermittlung in der Region arbeitet, gibt sich optimistisch: Selbst wenn nun auch noch bei Opel der schlimmste Fall einträte – für die krisenerprobte Stadt Bochum wäre selbst der Verlust von weiteren 5000 Arbeitsplätzen in der Produktion nicht das Aus:

"Also, die Frage, wenn Arbeitsplätze auch in großer Menge entfallen, ist das dann für so eine Stadt das Ende? Und da zeigt die Erfahrung, gerade im Ruhrgebiet mit dem extremen Strukturwandel im Vergleich zu ganz Deutschland, dass solche Regionen sich erholen. Das ist natürlich am Anfang eine Masse an Arbeitsplätzen, auch an indirekten Arbeitsplätzen, die betroffen sind, aber auch das lässt sich über die Zeit kompensieren."

Schließlich hat Bochum in den vergangenen Jahrzehnten schon andere Krisen überstanden.

"Glückauf, Glückauf, der Steiger kommt, und er hat sein helles Licht bei der Nacht, und er hat sein helles Licht bei der Nacht schon angezündt, schon angezündt."

Es war die Steinkohleförderung, die Bochum zur Großstadt gemacht hat. Bereits im Jahr 1735 gab es hier 25 "Kohlenpütts". Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten in den Bergwerken bereits mehr als 20.000 Menschen. Doch nach Ende des Zweiten Weltkriegs zeichnete sich bereits der Niedergang der Kohleindustrie ab – das "schwarze Gold" lag zu tief, die Förderung war zu aufwendig und zu teuer. Die letzte Zeche schloss Anfang der 70er-Jahre. 45.000 Kumpel und bald auch 15.000 Stahlarbeiter hatten ihre Jobs verloren. Doch da gab es schon das Opel-Werk, Zehntausende neue Stellen waren in der Automobilbranche entstanden. Doch mittlerweile sind von den 40.000 nur noch 5000 Stellen übrig – und auch denen droht das Aus. 1956 baute die Firma Graetz in Bochum eine Fabrik für Fernseher, in Spitzenzeiten arbeiteten dort 4500 Menschen. Graetz ging Pleite, die Landesregierung suchte und fand einen Nachfolger – Nokia. Fernseher hätten keine Zukunft, befand der finnische Konzern. Der deutsche Staat zahlte viele Millionen D-Mark an Subventionen für den Umbau zur Handy-Fabrik, das Ende ist bekannt. Tillmann Neinhaus seufzt. Als Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, der die Krisen der vergangenen Jahre miterlebt hat, kann ihn auch die neueste Schreckensnachricht von Opel nicht mehr schockieren.

"Bochum ist keinesfalls eine sterbende Stadt. Hier sind die Lichter nicht ausgegangen, sie werden auch nicht ausgehen. Inzwischen haben wir gelernt, und das ist, glaube ich, auch eine wichtige Erfahrung, mit Krisen umzugehen."

Was wie trotzige PR klingen mag, stimmt. Betrachtet man die Zahl der Arbeitsplätze, die seit Anfang der 70er Jahre verloren gegangen sind, scheint es fast ein Wunder, dass die Arbeitslosenquote in Bochum auch nach dem Weggang von Nokia im vergangenen Jahr bei unter zehn Prozent lag. Denn so sehr das Image der Stadt noch mit der industriellen Vergangenheit verbunden ist: Nur noch ein Drittel der Arbeitsplätze in der Stadt ist im produzierenden Gewerbe zu finden – der Hauptteil, 65 Prozent, ist im Dienstleistungsbereich angesiedelt. Opel ist nicht mehr der größte Arbeitgeber – die Universitäten und Fachhochschulen haben dem Konzern den Rang abgelaufen. Auch auf dem ehemaligen Nokia-Gelände, das an einen Investor verkauft wurde, haben sich bereits wieder neue Firmen angesiedelt. Aus Sicht von IHK-Geschäftsführer Neinhaus der größte Erfolg im vergangenen Jahr.

"Dort sind heute 150 Arbeitnehmer in einem Betrieb tätig, der Scanner zusammensetzt, aber auch ein ursprünglicher Nokia-Bereich, die Auto-Telefonie, ist mit 250 Beschäftigten erhalten geblieben. Den hat ein ehemaliger Nokia-Manager erworben, sodass wir heute auf dem Gelände etwa 400 Beschäftigte bereits haben. Die Zahl der beiden Betriebe soll wachsen auf etwa 600, und der Projektentwickler will weitere 1000 Arbeitsplätze schaffen."

Hinzu kommt, dass das kanadische Mobilfunkunternehmen RIM, der Hersteller des Internet-Handys "Blackberry", im vergangenen Jahr sein europäisches Forschungszentrum in Bochum angesiedelt hat. RIM übernahm von Nokia 100 Ingenieure, weitere 400 Stellen sind geplant. Hightech statt Fließband ist die Devise.

Auf dem Gelände des Bochumer Technologiequartiers fährt ein Bagger hin und her, ein Lkw transportiert Erde von der Baugrube ab. Die Firma Scienlab baut eine neue Fertigungshalle. Der Entwicklungsdienstleister für Mess- und Schaltungstechnik hat einen neuen Großauftrag bekommen und braucht mehr Platz. Seit zwei Jahren hat das Higtech-Unternehmen seinen Sitz im Technologiequartier, direkt neben dem Campus der Hochschule Bochum. Obwohl der Baugrund hier im Vergleich zu anderen Standorten relativ teuer sei, habe man sich bewusst für Bochum entschieden, sagt Geschäftsführer Michael Schugt:

"Wir haben uns für den Standort im Technologiequartier entschieden aufgrund der Nähe zu den Hochschulen. Wir haben hier die Hochschule Bochum in Fußnähe, fünf Minuten entfernt ist die Ruhr-Universität Bochum. Für uns ist das ein großes Potenzial, Studenten und Absolventen zu gewinnen. Das war sicher einer Hauptgründe, hierher zu gehen."

Von den mittlerweile 35 Mitarbeitern sind die Hälfte ehemalige Studenten. Ein Standortvorteil, den auch andere Firmen aus dem Hochtechnologiebereich erkannt haben – die Gewerbeflächen sind bis auf wenige Quadratmeter verkauft. Nun möchte die Stadt als Nächstes einen "Bio-Medizin-Park" ansiedeln, ebenfalls in Uni-Nähe. Außerdem hat sich Bochum um den "Gesundheits-Campus" beworben, den das Land NRW derzeit plant. Der Campus soll 500 Arbeitsplätze bieten und über ein Budget von 75 Millionen Euro verfügen. Stadtrat Paul Aschenbrenner, zuständig für die Wirtschaftsförderung, ist überzeugt: Bochum hat die Wende geschafft: von Stahl und Kohle über die Produktion von Autos und Handys hin zum Wissenschaftsstandort. Doch der finanzielle Rahmen für die Unterstützung der Firmen ist eng gesteckt: Über die Jahre hat Bochum einen Schuldenberg von 900 Millionen Euro angesammelt. Die Wirtschaftsförderung könne sicher einige Anreize für den Mittelstand schaffen, aber Standortentscheidungen eines Großkonzerns wie Opel ließen sich mit seinem Etat nicht beeinflussen, meint Paul Aschenbrenner:

"Die Stadt kann einen Beitrag mit der klassischen Wirtschaftsförderung leisten. Wir können Netzwerke bilden, wir können Unternehmen helfen, nicht mehr benötigte Betriebsgrundstücke zu vermarkten, und wir können auch versuchen, den Standort mit Innovationen aufzupeppen."

Und so bleibt den Mitarbeitern nur übrig zu hoffen, dass Bund und Land den Fortbestand sichern. Das bisherige Engagement des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten habe den Bochumern jedenfalls schon mal gezeigt, dass sie mit ihren Sorgen nicht allein gelassen würden, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Tillmann Neinhaus.

"Herr Rüttgers hat seine, wenn ich das mal so bezeichnen darf, Rolle in Amerika mit seinen deutlichen Ausführungen gegenüber der Führung von GM gut erfüllt. Er ist auch jemand, der sich bei einem Restrukturierungskonzept möglicherweise für eine Landesbürgschaft stark macht."

Denn: Auch wenn bei Opel längst nicht mehr 40.000 Mitarbeiter beschäftigt sind – eine Schließung des Werks wäre noch immer ein schwerer Schlag für die Stadt, schließlich hängen daran auch noch Tausende Jobs in der Zulieferindustrie. Und auch wenn Bochum alles für sein neues Image als High-Tech-Standort tut, werden in diesen Branchen nie so viele Arbeitsplätze auf einmal geschaffen wie in einer Autofabrik. Ganz zu schweigen von der psychologischen Bedeutung für die Ruhrgebietsstadt, die gerade erst dabei ist, die Folgen der Nokia-Krise zu bewältigen.

Eisenach
Von Ulrike Greim

Es weht ein kalter Wind in Eisenach. Menschen mit roten Nasen und hochgeklappten Kragen reiben sich die Hände an diesem Tag auf dem Marktplatz. Es ist Winter und die Stimmung gedrückt. Und doch kommen mehr als tausend Menschen zur Demo für Opel. Nicht nur die Opelaner mit ihren Transparenten "Yes, we can, without GM", sondern auch viele Beschäftigte aus den zahlreichen Zulieferfirmen, den kleinen mittelständischen Betrieben. Und viele Eisenacher. Ein älterer Herr mit Schirmmütze sagt, dass die Eisenacher ja seit 111 Jahren mit dem Automobilbau verbunden sind. In der Eisenacher Fahrzeugfabrik entstand der Dixie, später unter BMW, und andere Sportwagen, nach dem Krieg produzierte das Automobilwerk Eisenach den Wartburg. Hier schlage also das Herz der Region, sagt er.

"Das ist ne Sache, die im Prinzip alle angeht. Und wenn das jetzt für Opel eine ungünstige Lösung werden sollte - da hängt die ganze Region dran."

Deswegen findet die Demo auf dem Markt statt, nicht vor den Werkstoren. Deswegen stehen auf dem Demo-Wagen der Gewerkschaft Politikerinnen und Politiker der Stadt Eisenach, des Wartburgkreises, vor allem des Landes. Demonstrativ. Ihre Haltung ist klar: In der Krise stehen wir alle zusammen. Für Opel sowieso. Deswegen spricht auch der Oberbürgermeister, Matthias Doht. Er kommt aus der Branche, war selber Automobilwerker. Hat das Ende der Firma AWE hautnah miterlebt.

"Wir kennen nur zu gut noch die Bilder des letzten Wartburgs am 10. April 1991, einen zweiten 10. April 1991 werden wir nicht zulassen."

"Ganz traurig ist das."

Rückblick:

"Ich bin 36 Jahre in dem Betrieb, ..."

1991

"hab hier ... gearbeitet, und jetzt kommt das Aus."

Sagte damals ein Mitarbeiter. Einer von rund 10.000 Beschäftigten.

"Was nun mit den Menschen wird, das finde ich irgendwie nicht richtig. Weil: Wir wissen ja überhaupt nicht, wie es weitergeht, was in den nächsten Jahren wird."

Opel war schon im Boot, aber noch war die konkrete Produktion nicht in Sicht.

"Dann bleiben wir zuhause, und was dann kommt, wissen wir noch nicht."

Ein ganzer Industriestandort war damals auf der Kippe.

"Was sich dann bei Opel abspielt, ob wir dann die Möglichkeit noch haben, dass sie noch ein paar aus der früheren AWE nehmen, das ist fraglich."

Dabei hatte sogar Helmut Kohl einst im November 1990 schon Hoffnung gemacht, dass Opel die Automobilwerker retten könnte:

"Und meine Botschaft in diesen ganzen Monaten war immer wieder: Warum sollten die Leute in Eisenach weniger gut sein als die in Rüsselsheim? Ich bin sicher: Wenn dieses Unternehmen drei, vier, fünf Jahre voll aktiv ist, ist dieser Betrieb mindestens so gut wie der in Rüsselsheim."

Er wurde sogar besser. In Eisenach entstand auf der grünen Wiese vor den Toren der Stadt eines der modernsten Automobilwerke Europas. Zur Eröffnung war seinerzeit sogar US-Präsident Bill Clinton gekommen. Eisenach wurde Vorzeigestandort mit exzellent ausgebildeten Fachkräften, die zum Beispiel eines der effizientesten Kosten- und Produktmanagementsysteme ausgetüftelt haben, die es gibt.

Nun zeigen die Uhren von Rathaus und Georgenkirche den Demonstranten auf dem Eisenacher Markt fünf vor zwölf an, als die Organisatoren der IG Metall zum Sturm blasen. Wider die ungeliebte Mutter GM.

"Und es geht uns auch darum, die Werke eigenständig, eigenverantwortlich zu organisieren. So wie wir es für richtig halten. Kostengünstig und optimal, frei und nicht länger gehemmt durch unsinnige zentralistische Vorgaben aus den USA."

Harald Lieske, der zurückhaltende und besonnene Vorkämpfer der Eisenacher Opelaner, drischt keine plumpen Parolen. Er ist ihr Betriebsratschef und sucht Wege aus der Krise. Aber auch er ist zornig.

"Ich kann euch sagen aus eigener Erfahrung: Die volkseigenen Betriebe in der DDR besaßen gegenüber dem Zentralkomitee der SED mehr Unabhängigkeit als die Opelwerke gegenüber den Bürokraten von General Motors."

Für die Redner dieser Demo ist der Feind ausgemacht. Er heißt GM und sitzt in Detroit. Da ist die Einigkeit schnell hergestellt. Alle, wirklich alle, wollen nun Opel helfen. In seltener Einigkeit stehen an diesem Tag die Abgeordneten aller drei im Thüringer Landtag vertretenen Parteien, also CDU, Linkspartei und SPD, und sogar Grüne und FDP als außerparlamentarische Opposition, inhaltlich hinter der Dame im dicken schwarzen Mantel mit dem auffälligen rosa Schal. Birgit Diezel ist Thüringens amtierende Ministerpräsidentin, seit Dieter Althaus seinen Skiunfall hatte. Jede denkbare Hilfe sichert sie dem angeschlagenen Unternehmen zu. Alles, was Sinn macht. Auch Bürgschaften, notfalls auch eine Beteiligung. Nur die Rahmenbedingungen müssten stimmen.

"Die Thüringer steht zum Automobilstandort. Und wenn es andere Wege gibt, die zu beschreiten sind, werden wir dies tun. Das wird ein schwieriger Weg, das wird ein steiniger Weg. Aber ich kann ihnen versichern: Die Thüringer Landesregierung ist an Ihrer Seite. Und wir schaffen das gemeinsam. Vielen Dank!"

Am Ende der Demo scheinen alle zuversichtlich. Zumal es am Werk selber nicht scheitern wird, so sagt es ein Opelaner, der am Rande steht. Nach mehreren Phasen der Kurzarbeit rolle ja jetzt wieder der Betrieb an, dank Abwrackprämie, sogar mit Sonderschichten. Trotzdem ist er, obwohl von Stadt und Land so viel Sympathie entgegenkommt, skeptisch.

"Wir werden sehen, was sich jetzt hier heraus bildet, wer uns jetzt noch hilft. Aber ich denke mal: Wir werden sehr gute Chancen haben. Wir bauen sehr gute Autos, sehr gute Qualität. Aber wenn uns GM immer vor unserer Nase beeinflussen will, was wir zu machen haben, was wir zu tun haben, wo die Kohle hingeht, das ist alles nicht Sinn der Sache. So können wir auf keinen Fall überleben."

So unterstützen die Eisenacher den Kurs des Aufsichtsrates, ‚Opel-Europa’ langsam von der amerikanischen Mutter abzunabeln. Andere Lösungen, wie einen separaten Verkauf des Werkes Eisenach zum Beispiel an Daimler, sehen die Opelaner skeptisch. Selbst wenn manches dafür spräche. Zum Beispiel weil es vermutlich eine schnellere Lösung wäre und - wer weiß - eine saubere. Denn 'Opel-Europa' zu strukturieren, wäre ebenfalls eine hochkomplexe Aufgabe, bei der wieder transparente Strukturen auf der Strecke bleiben könnten.

"Gut, was am Ende dabei raus kommt, müssen wir abwarten. Das wissen wir noch nicht."
"Wollen wir ein bisschen positiv denken, dass es doch einen Erfolg gibt für Opel und den anderen Zulieferbetrieben, finde ich. Dass wir da eben vorwärts blicken. Nicht uns hängen lassen."