Steinmeier warnt vor neuen Mauern

Hunderttausende besuchten das Bürgerfest zum Tag der Deutschen Einheit in Mainz – bei großen Sicherheitsvorkehrungen. Mit Spannung erwartet wurde die Premiere von Bundespräsident Steinmeier als Einheitsredner. Stimmen von der Straße und vom Festakt.
Die Bundestagswahl mit starkem Votum pro Protest und Rechtspopulismus hat viele nachdenklich gemacht. Doch zwischen Rheinpromenade und Mainzer Dom flanieren Hunderttausende unbeschwert, nur gelegentlich genervt vom Taschencheck und Abgetastet-Werden an den zahlreichen Sicherheitsschleusen, manchmal auch erstaunt, wie viele Betonpoller und Müllfahrzeuge das Festgelände als Sperren einrahmen. Wer meint, es gebe nichts zu feiern, bleibt die Ausnahme, wie dieser Sachse aus dem pfälzischen Pirmasens.
Pirmasenser Sachse: „Ich hab zwischenzeitlich fünf Jahre in Leipzig gewohnt, erst seit zwei Jahren wieder in Pirmasens. Das wächst ja nicht richtig zusammen. Das hat eigentlich schon Kohl versemmelt, damals. Im Osten ist ja eigentlich alles den Bach runter gegangen, die ganze Wirtschaft, die sind sauer drüben.“
Ludwigshafenerin: „Irgendwie haben wir gedacht, das würde sich alles so schnell integrieren, aber hat sich wohl doch nicht so bewahrheitet.“
Junger Mainzer: „Na gut, ich komm‘ jetzt hier aus Mainz. Da fühlt man sich so heimisch in Deutschland, also uns betrifft das nicht so arg. Klar, in Sachsen ist das ein Problem, aber ich sehe das mehr auf lokaler Ebene, dass man da mehr Gefühl von Beheimatung schaffen muss, irgendwie.“
Junger Mainzer: „Das ist Demokratie – und niemand hat gesagt, dass das einfach ist.“
Steinmeier: Bekenntnis zur deutschen Geschichte nicht verhandelbar
„Demokratie“ und „Heimat“, zwei Worte, die der Bundespräsident in seiner Rede zum Festakt aufgriff. Vor geladenen Gästen – das Bad in der Menge fiel wegen strikter Sicherheitsvorkehrungen aus, nur wenige Bürger hatten überhaupt Lust, sich mehrfach durchsuchen und abtasten zu lassen, um an den Rand der Hochsicherheitszone zwischen Dom und Rheingoldhalle zu gelangen. Besucherresonanz und Beifall für Politprominenz daher: spärlich. Erwartungen an Frank-Walter Steinmeier durchaus klar definiert, nämlich:
Frau: „Klare Stimme gegen Rechts eindeutig. Es sollte auch ein Signal ans Ausland sein, gerade nach dem Ausgang der Wahl!“
Mann: „Also, da wünscht man sich doch ein bisschen mehr den Gauck.“
Den Gauck möge er machen, eine Anspielung auf den Amtsvorgänger, der oft in deutlichen Worten mahnte. Steinmeier dagegen erscheint vielen äußerst oder gar zu zurückhaltend. Doch als Einheitsredner wurde der Neue ungewohnt deutlich. Nach versöhnlichen Worten über Heimat als gemeinsame Sehnsucht sprach er Klartext gegen aufkeimenden Nationalismus und die Leugnung historischer Schuld: „Die Verantwortung vor der deutschen Geschichte kenne keinen Schlussstrich“, so sein deutlicher Widerspruch gegen den rechten AfD-Flügel.
„Eines ist nicht verhandelbar in dieser deutschen Demokratie: das Bekenntnis zu unserer Geschichte, einer Geschichte die für nachwachsende Generationen zwar nicht persönliche Schuld, aber nach meiner festen Überzeugung bleibende Verantwortung bedeutet. Die Lehren zweier Weltkriege, die Lehren aus dem Holocaust, die Absage an jedes völkische Denken, an Rassismus und Antisemitismus, auch die Verantwortung für die Sicherheit Israels – all das gehört für mich zum Deutsch-Sein dazu.“
Unverzichtbar für Bundestagsabgeordnete, aber auch für Einwanderer. Wie seine Vorrednerin Malu Dreyer als scheidende Bundesratspräsidentin forderte auch Steinmeier Austausch und konstruktiven Dialog statt Empörung und Hass-Parolen. Das Geglückte an der Deutschen Einheit möge Kraft geben, ausstehende Probleme zu bewältigen, wünscht sich Kanzlerin Angela Merkel.