Eingewebt in die Vergangenheit

Die Tochter ist erwachsen geworden. Sie hat eine jüdische Mutter und einen nicht-jüdischen, magenkranken Vater gehabt, an dem das Wirtschaftswunder vorbeigezogen ist. Doch als er tot ist, entdeckt sie, dass ihr Vater Paul ein Held gewesen ist.
Mit ihrem ersten Roman gelang der Journalistin Viola Roggenkamp auf Anhieb ein Bestseller. "Familienleben" hieß er und erzählte vom Alltag einer deutsch-jüdischen Familie im Deutschland der sechziger Jahre. Ein entlarvendes Porträt der Gesellschaft der Nachkriegsjahre und eine witzig liebevolle Familienstudie.

Jetzt hat sie zwar keine Fortsetzung dieses Romans vorgelegt aber doch eine Anknüpfung. Die Tochter, die damals 13-jährig die Geschichte ihrer Familie erzählte, ist heute fast vierzig. Anwaltsgehilfin, weil sie ihr Studium geschmissen hat. Einzelkind. Die Schwester aus dem letzten Roman gibt es nicht mehr. Doch es gibt die Mutter und den nun sterbenden Vater, auf dessen Spurensuche sich die Tochter gleich nach seinem Tod begibt. Paul, dieser wunderbare Mann, der kein Jude war und im Gegensatz zu manch anderen damals - trotz nationalsozialistischer Rassegesetze - seine jüdische Geliebte nicht feige im Stich ließ. Paul, der Held, wie Mutter Alma und Großmutter Hedwig Glitzer ihn immer wieder nannten. Hat er sie doch beschützt und gerettet und ist selber ins Gefängnis gekommen dafür.
Nur, wie hat Paul ein Held sein können? Dieser magenkranke, schwache Mann, der sich im Leben der Wiederaufbaujahre eher als Versager entpuppt, und an dem das Wirtschaftswunder vorbeizieht. Ein Handelsvertreter für Brillengestelle. Der sich bei seinen Kundenbesuchen anhören muss, dass es den Juden schon wieder viel zu gut gehe.

Wer war dieser Paul? Und wer waren die "Kameraden", die er kurz vor seinem Tod erwähnt, als er die Tochter bittet, sie auf keinen Fall zu seiner Beerdigung einzuladen, weil das Alma kränken könnte. Was für eine Rolle hat er damals wirklich gespielt?

Die bis zum Ende namenlose Tochter macht sich auf die Suche. Sie liest seine Aufzeichnungen, fährt in die Lüneburger Heide zu einem dieser Kameraden, fährt nach Krakau, wo ihr Vater bei einer Handelsfirma arbeitete, die ausgerechnet dort - so nah bei Auschwitz - profitable Geschäfte machte.

War Krakau vielleicht sein Versuch gewesen, sich doch abzusetzen und Geliebte und Mutter ihrem Schicksal zu überlassen?

Doch dann brennt Hamburg. Und Paul kann nicht anders. Er liebt Alma, er muss Alma retten. Ja, er ist ein Held. Und ein Mensch - nicht ohne Anfechtungen, nicht ohne Angst und voller verzweifeltem, berstendem, listigem Mut. Ein Mann, der Stempel klaut, Papiere fälscht, Schleichhandel betreibt, sich einlässt mit Nazis.

Eingewebt in die Vergangenheit des Vaters und seiner tollkühnen Eskapaden, ist die Gegenwart der ruhelosen Tochter. Nicht angekommen in Deutschland, nicht angekommen in sich. Getrieben von einer inneren Unruhe, die Roggenkamp sprachlich wunderbar dringlich und drängend dem Leser vermittelt. Fahrig hastet man mit der Erzählerin durch ihre Tage.

Und doch bleibt deren Geschichte immer wieder blass. Und soll wohl in Schwung gebracht werden durch einen Autounfall mit Folgen. Eine ganz unnötige, eine künstliche Dramatisierung. Denn das Tochtersein dieses Vaters, das Jüdischsein in diesem Deutschland, die daraus erwachsenden Wirren und Nöte, liefern wahrlich genug Stoff und Spannung für diesen immer wieder berührenden Roman.

Besprochen von Gabriele von Arnim

Viola Roggenkamp: Tochter und Vater
Roman
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2011
270 Seiten, 18,95 Euro
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