Eingesargte Heilsbringer

Derzeit haben sie eine erfreulich schlechte Konjunktur: Diktatoren. Aber was geschieht in den Ländern, die sich ihrer Gewaltherrscher entledigt haben? Ein Sammelband untersucht den Fall von 15 Diktatoren.
Das Schönste an diesem Buch ist seine Inhaltsangabe. Der Untergang von nicht weniger als 15 Diktatoren wird hier beschrieben. Weg sind sie!
Wie sie untergingen und verschwanden, ist das Thema des Bandes "Der Tod des Diktators", den Thomas Großbölting und Rüdiger Schmidt herausgegeben haben; beide arbeiten als Historiker an der Münsteraner Universität.

Wir treffen auf Napoleon, der ans Ende der europäischen Welt deportiert wurde, aber nach seinem Tod noch ein langes Leben in Frankreich führte. Rüdiger Schmidt zitiert in seiner detailreichen Darstellung der postmortalen Vita Napoleons Heinrich Heine, der bei den Trauerfeiern zugegen war und wahrscheinlich genau erfasste, was die Menschen bewegte:

...es war eine ganz neue Generation, die dem Leichenbegängnisse zuschaute und wenn nicht mit brennendem Zorn, doch gewiss mit der Wehmuth der Pietät sah sie auf diesen goldenen Katafalk, worin gleichsam alle Freuden, Leiden, glorreichen Irrthümer und gebrochenen Hoffnungen ihrer Väter, die eigentliche Seele ihrer Väter eingesargt lag.

Damit ist nur ein Momentaufnahme beschrieben. Schmidt folgt dann durch die Jahrhunderte den immer neuen Ausdeutungen Napoleons im französischen Nationalmythos, welche immer noch einen Rest dessen beinhalten, was Heine entdeckt hatte.

Wir treffen auf Lenin, der im Bett starb, und auf Benito Mussolini und dessen Geliebte, die beide erschossen wurden. Auf Ho Chi Minh, den legendären vietnamesischen Kriegsherrn gegen die USA, auf Rumäniens Ceausescu, Ugandas Idi Amin und – als dem letzen in der Reihe – Saddam Hussein.

Wir lesen eine weitere Darstellung von Hitlers Untergang im Führerbunker, leider ohne viel Neuigkeitswert. Mehr hätte man gern erfahren über Hitlers Nachleben nach 1945 – etwa anhand der Illustrierten der 50er-Jahre, in denen die Erinnerungen von Leuten gedruckt wurden, die den Nazi-Größen nahe standen.

Das Problem bei der Bewältigung von Diktaturen besteht ja zumeist darin, dass die Herrscher zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht unwillkommen waren. Großbölting schreibt:

Die Machtbasis der Diktatoren beruhte nicht selten in hohem Maße auf charismatischen und plebiszitären Elementen. ...Von außen werden Erwartungen an den Herrscher herangetragen, die ihn zu einem "Übermenschen" stilisieren.

Womit das vielleicht entscheidende psychologische Problem bei der körperlichen und geistigen Entsorgung von Alleinherrschern benannt ist. Zumeist waren die späteren Volksverächter auf einer breiten Woge der Zustimmung an die Macht gekommen, weil sie in einer bestimmten, verzweifelten Lage Hoffnung auf Erlösung versprachen. Dass sie als säkulare Heilsbringer angesehen wurden, berücksichtigt auch Großbölting in seinem Aufsatz mit einer überraschenden Volte:

Wie stark Führer- und Diktatorenkulte die politische Kultur des 20. Jahrhunderts prägten, lässt sich vor allem an der Reaktion der Institutionen ablesen, die traditionell für die Verwaltung der Gnadengaben zuständig war -

- dann verweist der Autor auf die sprunghaft gestiegene Zahl der Selig- und Heiligsprechungen in der katholischen Kirche des 20. Jahrhunderts und fährt fort:

- eine Entwicklung, die wohl nicht zuletzt als Gegenreaktion auf das Aufkommen der vielen Ersatzheiligen zu sehen ist, die die totalitären Ideologien und politischen Religionen des 20. Jahrhunderts hervorbrachten.

Am Ende gibt es keinen gemeinsamen Nenner, wenn es darum geht, wie mit überwundenen Diktaturen, oder – um beim Titel des Bandes zu bleiben – mit "toten Diktatoren" umgegangen wird. Offenbar verschwindet jeder auf seine Weise im Müll der Geschichte.

Wenn es so etwas wie eine Quersumme aus diesen 15 Biografien gibt, dann ist es die Erkenntnis, dass Diktatoren zumeist in prekären politischen und wirtschaftlichen Situationen an die Macht kommen. Also gilt es – das wäre die Lehre aus diesem Geschichtsbuch –, solche Situationen zu vermeiden, in denen ein Volk sich nach einem Heilsbringer sehnt.

Besprochen von Paul Stänner

Der Tod des Diktators. Ereignis und Erinnerung im 20. Jahrhundert
Herausgegeben von Thomas Großbölting und Rüdiger Schmidt
Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012
317 Seiten, 29,95 Euro