Eingebung beim Friseurbesuch
Je älter er wird, umso mehr kokettiert Adolf Holl mit der Rolle des Heiligen Narren. Mit süffigen Provokationen ist zu rechnen, sobald der 79-Jährige zur Feder greift.
Buddha sei im Wald verschwunden, um die Wahrheit zu schauen, schreibt Holl zu Beginn seines neuen Buchs "Wie gründe ich eine Religion?", Jesus habe sich in die Wüste zurückgezogen, und Mohammed sei in eine Höhle gekrochen.
Er, Adolf Holl, hingegen habe seine Visionen direkt beim Friseur empfangen. Auf dem Drehstuhl von "Herrn Hannes", seinem Stammfriseur, sei ihm klar geworden, dass er eine neue Religion gründen müsse, erzählt Holl. In Anlehnung an Kant nennt der Wiener Religionsphilosoph die von ihm gegründete Gemeinschaft "die unsichtbare Kirche".
"In dem Moment, wo ich etwas baue, gründe, einrichte, mache ich es fest. Und alles, was fest ist, kann auch zerfallen. Wenn ich aber unsichtbar bleibe, dann steht’s schon 1:0 für mich."
Holls Buch ist keine RICHTIGE Handlungsanleitung zum Gründen von Religionen. Es handelt sich um eine Sammlung von Aphorismen, von kürzeren Betrachtungen zum Thema Glaube und Religion, sehr subjektiv, und wie immer bei Holl: sehr pointiert geschrieben. Wobei der Wiener Anarcho-Katholik keinen Zweifel daran lässt, dass seine "Unsichtbare Kirche" sich immer noch auf Jesus von Nazareth beruft.
"Ich hab das Gefühl, dass das wenige, was wir von ihm verbürgt wissen, dass das genügt hat, um eine mittlere Explosion in der Weltgeschichte auszulösen, das ist schon meine Auffassung. Diese explosiven Satzerl – ein paar gibt’s, nicht sehr viele, wahrscheinlich bleibt von den gesamten Evangelien, bibelkritisch betrachtet, eine halbe Stunde über, also O-Ton Jesus Christus, vorgelesen. Aber was dort noch immer drinsteht, ist reinstes Dynamit: gerichtet gegen Familie, Totensorge, hierarchische Strukturen – das wird dort in die Luft geschossen. Er ist ein heiliger Anarchist gewesen. Der Satz ist leider nicht von mir, sondern von Friedrich Nietzsche."
Religionssoziologen schätzen, dass es derzeit etwa 9900 religiöse Vereinigungen auf der Welt gibt. Tendenz: steigend. Auf eine mehr oder weniger kommt es da nicht an, meint Adolf Holl. Unter dem Dach seiner "Unsichtbaren Kirche" sollen sich frustrierte Katholiken, querschädelige Protestanten und ganz allgemein Suchende aller Couleurs versammeln. Und wie wird es diese "Unsichtbare Kirche" mit dem Sexus halten? Die erotischen Verklemmtheiten der christlichen Kirchen gehen in Holls Augen jedenfalls auf den heiligen Augustinus zurück. Holl schreibt:
"Die Abwertung des Liebesaktes durch Aurelius Augustinus hat sich als langer Schatten über das christliche Abendland gelegt. Wie die meisten Männer aus der Oberschicht seiner Zeit schämte sich der Kirchenvater über den Kontrollverlust seines Ego beim Geschlechtsverkehr, den er als Erniedrigung erlebte."
Aber nicht nur das Christentum tut sich schwer mit der Macht des Erotischen, diagnostiziert Adolf Holl, ihm sei keine einzige Religion bekannt, die ein entspanntes Verhältnis zu Sex und körperlicher Liebe hat.
"Natürlich, dann kommt irgendwer und sagt: Aber in Indien, da gibt’s diese wunderbaren Fresken mit den 195.000 Stellungen. Na gut, das waren ein paar gelangweilte Aristokraten, die sich das bestellt haben. Aber ansonsten: Indien – sehr, sehr, sehr vorsichtig in Bezug auf Sexualität. Dann gibt’s die Abrahamsreligionen: durch die Bank sexualitätskritisch. Islam: schrecklich. Also, das heißt: Es muss ein Problem geben. Und es gibt auch ganz sicher ein Problem, sonst wären nicht diese ganzen Wächtergestalten aus den Kulissen getreten wie in der 'Zauberflöte' und hätten gesagt: 'Zurück, zurück!' Dieser Zusammenhang ist evident und gleichzeitig rätselhaft."
Adolf Holl ist sich noch nicht im Klaren darüber, wieviel Platz dem Eros in seiner "Unsichtbaren Kirche" eingeräumt werden soll. Und wie steht’s mit dem Lachen? An sich wird in den christlichen Kirchen ja eher wenig gelacht:
"Also gut, muss ich halt einmal ein etwas gewählteres Zitat einflechten, von Elias Canetti: Der hat über das Christentum geschrieben, es sei eine 'Klagereligion'. Also, oben hängt das Kreuz, oben hängt der Tote, und die Gläubigen KLAGEN. Canetti hat recht. Das Christentum ist und bleibt eine SCHMERZENSRELIGION: Blut, Kreuz, Wunden, Himmel, Hölle, wobei der Himmel kaum vorkommt, da gehen bloß einige Dame gitarrespielend in einem paradiesischen Garten spazieren, in der christlichen Hölle dagegen spielt sich’s richtig ab: Da springen die Teufel herum, und die Frauen sind nackig – merkwürdigste Sachen. Also, die Christenheit starrt auf den toten Mann am Kreuz. Das ist ärgerlich, aber es hat sicher einen Grund: Denn das Leben auf dieser Erde ist nicht immer nur lustig. Und wenn ich jetzt hier im Radio verkünde, dass in meiner unsichtbaren Kirche gelacht werden darf, dann nehmen wir die Zukunftsform. Es wäre ja schön, wenn eine echte Weltreligion, wie sie Herrn Kant vorgeschwebt hat, entstehen könnte, und wenn dort auch nach Herzenlust gelacht werden dürfte. Vorläufig ist Lachen immer noch verboten, offiziell."
In Adolf Holls neuem Buch gibt’s durchaus was zu lachen, oder sagen wir besser: Man schmunzelt an der einen oder anderen Stelle. Die Geschichte abendländischer Religiosität wird nach dem Erscheinen des 140-Seiten-Werkleins nicht neu geschrieben werden müssen. Aber wie in früheren Büchern bietet Adolf Holl auch in diesem allerlei Amüsantes, Erhellendes und Pointiertes zu einem Thema, das die Menschheit auch in unseren angeblich so religionskritischen Zeiten noch eine Weile beschäftigen wird.
Er, Adolf Holl, hingegen habe seine Visionen direkt beim Friseur empfangen. Auf dem Drehstuhl von "Herrn Hannes", seinem Stammfriseur, sei ihm klar geworden, dass er eine neue Religion gründen müsse, erzählt Holl. In Anlehnung an Kant nennt der Wiener Religionsphilosoph die von ihm gegründete Gemeinschaft "die unsichtbare Kirche".
"In dem Moment, wo ich etwas baue, gründe, einrichte, mache ich es fest. Und alles, was fest ist, kann auch zerfallen. Wenn ich aber unsichtbar bleibe, dann steht’s schon 1:0 für mich."
Holls Buch ist keine RICHTIGE Handlungsanleitung zum Gründen von Religionen. Es handelt sich um eine Sammlung von Aphorismen, von kürzeren Betrachtungen zum Thema Glaube und Religion, sehr subjektiv, und wie immer bei Holl: sehr pointiert geschrieben. Wobei der Wiener Anarcho-Katholik keinen Zweifel daran lässt, dass seine "Unsichtbare Kirche" sich immer noch auf Jesus von Nazareth beruft.
"Ich hab das Gefühl, dass das wenige, was wir von ihm verbürgt wissen, dass das genügt hat, um eine mittlere Explosion in der Weltgeschichte auszulösen, das ist schon meine Auffassung. Diese explosiven Satzerl – ein paar gibt’s, nicht sehr viele, wahrscheinlich bleibt von den gesamten Evangelien, bibelkritisch betrachtet, eine halbe Stunde über, also O-Ton Jesus Christus, vorgelesen. Aber was dort noch immer drinsteht, ist reinstes Dynamit: gerichtet gegen Familie, Totensorge, hierarchische Strukturen – das wird dort in die Luft geschossen. Er ist ein heiliger Anarchist gewesen. Der Satz ist leider nicht von mir, sondern von Friedrich Nietzsche."
Religionssoziologen schätzen, dass es derzeit etwa 9900 religiöse Vereinigungen auf der Welt gibt. Tendenz: steigend. Auf eine mehr oder weniger kommt es da nicht an, meint Adolf Holl. Unter dem Dach seiner "Unsichtbaren Kirche" sollen sich frustrierte Katholiken, querschädelige Protestanten und ganz allgemein Suchende aller Couleurs versammeln. Und wie wird es diese "Unsichtbare Kirche" mit dem Sexus halten? Die erotischen Verklemmtheiten der christlichen Kirchen gehen in Holls Augen jedenfalls auf den heiligen Augustinus zurück. Holl schreibt:
"Die Abwertung des Liebesaktes durch Aurelius Augustinus hat sich als langer Schatten über das christliche Abendland gelegt. Wie die meisten Männer aus der Oberschicht seiner Zeit schämte sich der Kirchenvater über den Kontrollverlust seines Ego beim Geschlechtsverkehr, den er als Erniedrigung erlebte."
Aber nicht nur das Christentum tut sich schwer mit der Macht des Erotischen, diagnostiziert Adolf Holl, ihm sei keine einzige Religion bekannt, die ein entspanntes Verhältnis zu Sex und körperlicher Liebe hat.
"Natürlich, dann kommt irgendwer und sagt: Aber in Indien, da gibt’s diese wunderbaren Fresken mit den 195.000 Stellungen. Na gut, das waren ein paar gelangweilte Aristokraten, die sich das bestellt haben. Aber ansonsten: Indien – sehr, sehr, sehr vorsichtig in Bezug auf Sexualität. Dann gibt’s die Abrahamsreligionen: durch die Bank sexualitätskritisch. Islam: schrecklich. Also, das heißt: Es muss ein Problem geben. Und es gibt auch ganz sicher ein Problem, sonst wären nicht diese ganzen Wächtergestalten aus den Kulissen getreten wie in der 'Zauberflöte' und hätten gesagt: 'Zurück, zurück!' Dieser Zusammenhang ist evident und gleichzeitig rätselhaft."
Adolf Holl ist sich noch nicht im Klaren darüber, wieviel Platz dem Eros in seiner "Unsichtbaren Kirche" eingeräumt werden soll. Und wie steht’s mit dem Lachen? An sich wird in den christlichen Kirchen ja eher wenig gelacht:
"Also gut, muss ich halt einmal ein etwas gewählteres Zitat einflechten, von Elias Canetti: Der hat über das Christentum geschrieben, es sei eine 'Klagereligion'. Also, oben hängt das Kreuz, oben hängt der Tote, und die Gläubigen KLAGEN. Canetti hat recht. Das Christentum ist und bleibt eine SCHMERZENSRELIGION: Blut, Kreuz, Wunden, Himmel, Hölle, wobei der Himmel kaum vorkommt, da gehen bloß einige Dame gitarrespielend in einem paradiesischen Garten spazieren, in der christlichen Hölle dagegen spielt sich’s richtig ab: Da springen die Teufel herum, und die Frauen sind nackig – merkwürdigste Sachen. Also, die Christenheit starrt auf den toten Mann am Kreuz. Das ist ärgerlich, aber es hat sicher einen Grund: Denn das Leben auf dieser Erde ist nicht immer nur lustig. Und wenn ich jetzt hier im Radio verkünde, dass in meiner unsichtbaren Kirche gelacht werden darf, dann nehmen wir die Zukunftsform. Es wäre ja schön, wenn eine echte Weltreligion, wie sie Herrn Kant vorgeschwebt hat, entstehen könnte, und wenn dort auch nach Herzenlust gelacht werden dürfte. Vorläufig ist Lachen immer noch verboten, offiziell."
In Adolf Holls neuem Buch gibt’s durchaus was zu lachen, oder sagen wir besser: Man schmunzelt an der einen oder anderen Stelle. Die Geschichte abendländischer Religiosität wird nach dem Erscheinen des 140-Seiten-Werkleins nicht neu geschrieben werden müssen. Aber wie in früheren Büchern bietet Adolf Holl auch in diesem allerlei Amüsantes, Erhellendes und Pointiertes zu einem Thema, das die Menschheit auch in unseren angeblich so religionskritischen Zeiten noch eine Weile beschäftigen wird.