Einführungen in die Glaubens- und Sittenlehre des Islam
Der neu gegründete "Verlag der Weltreligionen" bietet Primärtexte der Weltreligionen an. Unter ihnen, für den Islam, "Das Buch der Vierzig Hadithe" des syrischen Gelehrten al-Nawawi aus dem 13. Jahrhundert. Wer darin liest, kommt in Berührung mit einer fernen, häufig fremd anmutenden Gedankenwelt.
Hadithe sind Überlieferungen von Worten, Taten und Handlungen des Propheten Mohammad. Nach dem Koran, dem Wort Gottes, sind Hadithe, die Worte des Propheten, zweitwichtigste Quelle islamischer Rechtsfindung und Gelehrsamkeit. Sie geben Auskunft über theologische Fragen, über Moral, Ethik und individuelle Lebensführung.
"Ich hörte den Gottgesandten - Gott segne ihn und gebe ihm Heil! - sagen: Das Erlaubte ist eindeutig klar. Das Verbotene ist eindeutig klar. Zwischen beidem liegen zweifelhafte Dinge, über die viele Leute nicht Bescheid wissen. Wer sich also vor den Zweifelsfällen hütet, der hält seine Religion und seine Würde rein. Wer sich aber auf die Zweifelsfälle einlässt, der fällt dem Verbotenem anheim, so wie der Hirte, der seine Herde um einen bewachten Bereich weiden lässt, immer Gefahr läuft, dass sie auch in diesem Bereich weidet. Aber gewiss, hat nicht jeder König einen bewachten Bereich? Aber gewiss, sind nicht die Dinge, die Gott verboten hat, Gottes bewachter Bereich? Aber gewiss, gibt es im Körper nicht eine Masse, und wenn sie gesund ist, ist der ganze Körper gesund, wenn sie verdorben ist, ist der ganze Körper verdorben? Aber gewiß, ist diese nicht das Herz?"
So lautet der sechste der vierzig Hadithe in al-Nawawis Sammlung. Das Prinzip des Buches besteht darin, dass der Autor die überlieferten Prophetenworte zitiert, sie dann auslegt und diese Auslegung wiederum von einem weiteren Gelehrten kommentieren lässt. Yahya Ibn Sharaf al-Nawawi war schon zu Lebzeiten als religiöser Lehrer anerkannt. 1233 geboren, studierte er Medizin in Damaskus, wandte sich dann aber der Rechts- und Religionswissenschaft zu. Er verband äußere Gelehrsamkeit mit innerer Frömmigkeit, galt als integer und charakterstark. Ab 1267 leitete al-Nawawi einen namhaften "Madrasa".
Materieller Besitz und weltliche Vergnügungen bedeuteten ihm nichts. Besondere Achtung erwarb er sich auch durch Standhaftigkeit gegenüber weltlichen Autoritäten. Wiederholt verweigerte er dem Sultan ein Rechtsgutachten, das diesen ermächtigt hätte, Land zu beschlagnahmen und höhere Steuern zu verlangen. Konsequent folgte al-Nawawi der Botschaft von Hadith 34 in seinem Buch, in dem es heißt:
"Wer von euch etwas Verabscheutes sieht, der soll es mit seiner Hand ändern!"
Al-Nawawi selbst kommentierte diese Stelle folgendermaßen:
"Dies ist eine gewaltige Maxime: Alles steht und fällt damit! Wenn man nicht dem Treiben dessen, der Unrecht tut, entgegentritt, dann wird die Strafe Gottes bald über alle kommen!"
"Das Buch der Vierzig Hadithe" aus dem Jahr 1270 ist eine der bekanntesten Einführungen in die Glaubens- und Sittenlehre des Islam. Es bietet eine repräsentative Auswahl von Prophetenworten zu allgemeinen und konkreten Themen. Zu Brüderlichkeit und Gastfreundschaft, Barmherzigkeit, Zweifel, Zorn, gottgefälligem Handeln oder guter Wesensart.
Die vorliegende Ausgabe dieses "Katechismus’ des islamischen Glaubens" hat Marco Schöller, Privatdozent am Orientalischen Seminar der Universität Köln, herausgegeben und übersetzt. Insgesamt achthundert Seiten. Der Text Al-Nawawis samt Kommentar seines Zeitgenossen Ibn Daqiq al-Id, eines ägyptischen Gelehrten, erstreckt sich dabei gerade einmal über 260 Seiten. Die weiteren füllt der mit vielfältigen Informationen versehene Kommentar des Herausgebers Schöller, ein Glossar und diverse Register. Diese anspruchsvoll kommentierte Ausgabe des "Buch(es) der Vierzig Hadithe" verbindet in vortrefflicher Weise eines der bedeutenden Zeugnisse muslimischer Frömmigkeit mit Erläuterungen und Erklärungen für jene Leser, denen der Islam keineswegs vertraut ist.
Al-Nawawis vierzig Hadithe stellen eine Essenz von mehr als 30.000 überlieferten Prophetenworten dar. Die kleine Sammlung ist populär, weil sie Gläubigen eine knappe und überschaubare Orientierung bietet. Doch das ist nicht das einzige Motiv für das Sammeln von Prophetenworten. Die Suche nach Wissen, das Bemühen, es aufzuzeichnen, ist Pflicht jedes Gläubigen im Islam.
"Die Engel legen ihre Flügel um denjenigen, der nach Wissen strebt. Der Himmel, die Erde und der Wal im Meer bitten für ihn bei Gott, und der Vorrang des Wissenden vor dem Gottesanbeter ist gleich dem Vorrang des Mondes vor den restlichern Himmelskörpern in einer hellen Vollmondnacht."
So wird der Prophet in einer anderen 40er-Sammlung zitiert. Die Lektüre der Texte in diesem "Buch der Vierzig Hadithe" ist spannend und irritierend. Häufig werden feststehende Formeln wiederholt, einfache Sachverhalte ausgeschmückt, Inhalt mittels zahlreicher Metaphern transportiert, die Bedeutung einzelner Sätze bis ins Kleinste unterschieden.
Der nicht-muslimische Leser kann sich in diese Texte hineinfallen lassen, sich ihnen aussetzen. Einer fremden Melodie folgen, sich verlieren, sich verirren. Oder sich überraschen lassen, von Feinheit und Klarheit der formulierten Gedankengänge, ihrer rhetorischen Präsentation, die auf Wirkung hin angelegt ist, auf ein intensives Erleben desjenigen, der mit ihnen in Berührung kommt. Man kann aber auch mit dem Kommentar des Herausgebers beginnen. Sich langsam an den Quellentext heranlesen, die eigene Empfindsamkeit schärfen für das, was einem begegnen wird. "Das Buch der Vierzig Hadithe" hat viele Seiten.
Yahya Ibn Sharaf Al-Nawawi: Das Buch der Vierzig Hadithe Kitab Al-Arba’In
Aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Marco Schöller
Verlag der Weltreligionen, Frankfurt/M.-Leipzig 2007
805 Seiten, 32,00 Euro
"Ich hörte den Gottgesandten - Gott segne ihn und gebe ihm Heil! - sagen: Das Erlaubte ist eindeutig klar. Das Verbotene ist eindeutig klar. Zwischen beidem liegen zweifelhafte Dinge, über die viele Leute nicht Bescheid wissen. Wer sich also vor den Zweifelsfällen hütet, der hält seine Religion und seine Würde rein. Wer sich aber auf die Zweifelsfälle einlässt, der fällt dem Verbotenem anheim, so wie der Hirte, der seine Herde um einen bewachten Bereich weiden lässt, immer Gefahr läuft, dass sie auch in diesem Bereich weidet. Aber gewiss, hat nicht jeder König einen bewachten Bereich? Aber gewiss, sind nicht die Dinge, die Gott verboten hat, Gottes bewachter Bereich? Aber gewiss, gibt es im Körper nicht eine Masse, und wenn sie gesund ist, ist der ganze Körper gesund, wenn sie verdorben ist, ist der ganze Körper verdorben? Aber gewiß, ist diese nicht das Herz?"
So lautet der sechste der vierzig Hadithe in al-Nawawis Sammlung. Das Prinzip des Buches besteht darin, dass der Autor die überlieferten Prophetenworte zitiert, sie dann auslegt und diese Auslegung wiederum von einem weiteren Gelehrten kommentieren lässt. Yahya Ibn Sharaf al-Nawawi war schon zu Lebzeiten als religiöser Lehrer anerkannt. 1233 geboren, studierte er Medizin in Damaskus, wandte sich dann aber der Rechts- und Religionswissenschaft zu. Er verband äußere Gelehrsamkeit mit innerer Frömmigkeit, galt als integer und charakterstark. Ab 1267 leitete al-Nawawi einen namhaften "Madrasa".
Materieller Besitz und weltliche Vergnügungen bedeuteten ihm nichts. Besondere Achtung erwarb er sich auch durch Standhaftigkeit gegenüber weltlichen Autoritäten. Wiederholt verweigerte er dem Sultan ein Rechtsgutachten, das diesen ermächtigt hätte, Land zu beschlagnahmen und höhere Steuern zu verlangen. Konsequent folgte al-Nawawi der Botschaft von Hadith 34 in seinem Buch, in dem es heißt:
"Wer von euch etwas Verabscheutes sieht, der soll es mit seiner Hand ändern!"
Al-Nawawi selbst kommentierte diese Stelle folgendermaßen:
"Dies ist eine gewaltige Maxime: Alles steht und fällt damit! Wenn man nicht dem Treiben dessen, der Unrecht tut, entgegentritt, dann wird die Strafe Gottes bald über alle kommen!"
"Das Buch der Vierzig Hadithe" aus dem Jahr 1270 ist eine der bekanntesten Einführungen in die Glaubens- und Sittenlehre des Islam. Es bietet eine repräsentative Auswahl von Prophetenworten zu allgemeinen und konkreten Themen. Zu Brüderlichkeit und Gastfreundschaft, Barmherzigkeit, Zweifel, Zorn, gottgefälligem Handeln oder guter Wesensart.
Die vorliegende Ausgabe dieses "Katechismus’ des islamischen Glaubens" hat Marco Schöller, Privatdozent am Orientalischen Seminar der Universität Köln, herausgegeben und übersetzt. Insgesamt achthundert Seiten. Der Text Al-Nawawis samt Kommentar seines Zeitgenossen Ibn Daqiq al-Id, eines ägyptischen Gelehrten, erstreckt sich dabei gerade einmal über 260 Seiten. Die weiteren füllt der mit vielfältigen Informationen versehene Kommentar des Herausgebers Schöller, ein Glossar und diverse Register. Diese anspruchsvoll kommentierte Ausgabe des "Buch(es) der Vierzig Hadithe" verbindet in vortrefflicher Weise eines der bedeutenden Zeugnisse muslimischer Frömmigkeit mit Erläuterungen und Erklärungen für jene Leser, denen der Islam keineswegs vertraut ist.
Al-Nawawis vierzig Hadithe stellen eine Essenz von mehr als 30.000 überlieferten Prophetenworten dar. Die kleine Sammlung ist populär, weil sie Gläubigen eine knappe und überschaubare Orientierung bietet. Doch das ist nicht das einzige Motiv für das Sammeln von Prophetenworten. Die Suche nach Wissen, das Bemühen, es aufzuzeichnen, ist Pflicht jedes Gläubigen im Islam.
"Die Engel legen ihre Flügel um denjenigen, der nach Wissen strebt. Der Himmel, die Erde und der Wal im Meer bitten für ihn bei Gott, und der Vorrang des Wissenden vor dem Gottesanbeter ist gleich dem Vorrang des Mondes vor den restlichern Himmelskörpern in einer hellen Vollmondnacht."
So wird der Prophet in einer anderen 40er-Sammlung zitiert. Die Lektüre der Texte in diesem "Buch der Vierzig Hadithe" ist spannend und irritierend. Häufig werden feststehende Formeln wiederholt, einfache Sachverhalte ausgeschmückt, Inhalt mittels zahlreicher Metaphern transportiert, die Bedeutung einzelner Sätze bis ins Kleinste unterschieden.
Der nicht-muslimische Leser kann sich in diese Texte hineinfallen lassen, sich ihnen aussetzen. Einer fremden Melodie folgen, sich verlieren, sich verirren. Oder sich überraschen lassen, von Feinheit und Klarheit der formulierten Gedankengänge, ihrer rhetorischen Präsentation, die auf Wirkung hin angelegt ist, auf ein intensives Erleben desjenigen, der mit ihnen in Berührung kommt. Man kann aber auch mit dem Kommentar des Herausgebers beginnen. Sich langsam an den Quellentext heranlesen, die eigene Empfindsamkeit schärfen für das, was einem begegnen wird. "Das Buch der Vierzig Hadithe" hat viele Seiten.
Yahya Ibn Sharaf Al-Nawawi: Das Buch der Vierzig Hadithe Kitab Al-Arba’In
Aus dem Arabischen übersetzt und herausgegeben von Marco Schöller
Verlag der Weltreligionen, Frankfurt/M.-Leipzig 2007
805 Seiten, 32,00 Euro