Einfachste Formen, nüchterne Materialien

Von Ulrike Gondorf |
Eine umfangreiche Retrospektive zum Werk des 71-jährigen Bildhauers Reiner Ruthenbeck ist als Doppelausstellung im Duisburger Lehmbruck-Museum und der Düsseldorfer Kunsthalle zu sehen. Ruthenbeck zählt mit seinem auf Form, Farbe und Material reduzierten, hintergründig-humorvollem Werk zu den bekanntesten Bildhauern seiner Generation. Während in Duisburg das Frühwerk des Beuys-Schülers gezeigt wird, sind in Düsseldorf auf den Raum bezogene Arbeiten des zweifachen Documenta-Teilnehmers zu sehen.
Da liegen seine Zauberstäbe, drei nebeneinander in einer kleinen weißen Vitrine: Stahlrohre, präzise umkleidet mit purpurrotem Stoff. An den sauberen Schnittflächen erkennt man metallisch glänzend ihre Profile: Kreis, Quadrat und Dreieck.

In ihnen steckt die Quintessenz dessen, was Reiner Ruthenbeck in den letzten vier Jahrzehnten in ein bildhauerisches Werk umgesetzt hat, das seit seinen ersten Auftritten in den 70er Jahren in großen Museen und auf Ausstellungen wie der Biennale in Venedig oder der documenta seinen Themen auf beeindruckende Weise treu geblieben ist, ohne jemals vorhersehbar, starr oder eintönig zu werden.

Einfachste geometrische Formen, nüchterne Materialien wie Metall, Papier oder Holz, drei Farben: weiß, rot und schwarz - viel mehr braucht Reiner Ruthenbeck nicht, um immer neue Wahrnehmungsprozesse anzustoßen.

"Man kennt das Spiel mit den Polaritäten, die charakteristisch für seine Arbeit sind, man kennt die Thematik des Ver- und Enthüllens, es geht um Materialüberlagerung, um Sein und Schein. Ich glaube, worum es ihm beim Arbeitsprozess ging, die Abstraktion immer weiter voran zu treiben, ist wirklich die Konzentration auf die einfachen Dinge, auf dieses Pure, das in sich eine große Fülle birgt."

Dr. Marion Bornscheuer ist die Kuratorin der Ausstellung im Lehmbruck-Museum, die das Frühwerk aus den 60er und 70er Jahren präsentiert. Der gelernte Fotograf Reiner Ruthenbeck war schon über Dreißig, als er sein Bildhauerstudium in der Klasse von Joseph Beuys an der Düsseldorfer Kunstakademie abschloss.

Ein starkes Materialempfinden, einen geschärften Sinn für Kontraste wie hart gegen weich, durchscheinend gegen kompakt, amorph gegen strukturiert hat Ruthenbeck in dieser Schule ausgebildet - und natürlich einen Skulpturbegriff, der nichts wissen will vom behauenen Stein und vom geschnitzten Holz, sondern die Bildhauerei als raumgreifende Kunst versteht, als Installation.

Aber er hält sich weit entfernt vom Mystizismus und vom Pathos der Weltveränderung, die das Denken seines Lehrers bestimmten. Ruthenbecks Arbeiten heißen "Stahlrohre", "Aschehaufen" oder "Lamellenkasten"und genau das sind sie auch. Ihr Kunstcharakter entsteht in der Kommunikation mit dem Betrachter.

"Das Konzept ist ein zentraler Aspekt. Ob er sich selbst gern der Konzeptkunst zuordnen würde, weiß ich nicht. Er hat selber gesagt, er ist ein großer Freund der Konzeptkunst. Vielleicht ist es besser, man sagt, er arbeitet konzeptuell."

In äußerst reduzierten, präzise zugespitzten Versuchsanordnungen organisiert Reiner Ruthenbeck Wahrnehmung und Seherfahrung, öffnet durch verstörende Widersprüche Räume des Nachdenkens, die unsere abgestumpfte Alltagsroutine hinterfragen und alles plötzlich in neuem Licht erscheinen lassen.

Innen und außen, oben und unten, flüchtig und stabil, nichts ist so eindeutig, wie man dachte: Wohin führt die "Tür mit Sehschlitz", die da wie ein schwarzes Loch vor einer weißen Wand lehnt? In dem harmonisch austarierten, strahlend hellen Duisburger Ausstellungsraum schlägt Rationalität plötzlich um in Magie, Nüchternheit in Poesie. Auge und Hirn werden befreit zu ungeahnter Beweglichkeit.

"Das hat er über sich selber gesagt, dass er den Umgang mit Kunst als eine Art Spiel begreift. Es geht ihm nicht um eine starre Theorie, sondern wirklich um dieses Ausprobieren, dieses Entwickeln von Bezügen. Und durch dieses Spielerische entwickelt sich auch dieser feinsinnige Humor, den Sie sofort erkennen in dem Koffer mit Löchern:

Der Koffer ist ein Original aus den 60er Jahren. Wenn Sie Löcher im Koffer haben, können Sie natürlich nichts mehr transportieren, wobei es bei dem Werk um die Durchdringung von Raum und Körper geht. Aber natürlich geht es auch um dieses Spiel mit Gegenständen, die der Alltagswelt entnommen sind, die einem dann Spaß an diesen Überlegungen vermitteln und einem ein Lächeln ins Gesicht zaubern."

Das hält vor, bis man nach einer guten halben Stunde die Düsseldorfer Kunsthalle erreicht. Hier, wo vor genau 40 Jahren die erste wichtige Einzelausstellung von Reiner Ruthenbeck stattgefunden hat, sind die großen Installationen zu sehen, die vorwiegend in den 80er und 90er Jahren entstanden sind. Direktorin Dr. Ulrike Groos freut sich über eine Schau, in der das Haus und das Werk sich gegenseitig grandios in Szene setzen und in der Wirkung steigern.

"Nicht nur der Platz, auch die Höhe spielt eine Rolle. Wir haben sehr viele Aufhängungen, Durchkreuzungen in Ruthenbecks Werk, die wunderbar unter die Decke gehängt werden können. Und ich denke, es sind noch nie so viele von diesen raumgreifenden Arbeiten auf einmal in einer Ausstellung gezeigt worden."

Hier kann der Besucher sich mitten hinein begeben in Reiner Ruthenbecks Werk, zwischen den beiden Spiegelwänden hindurch schreiten und sich ins Unendliche katapultieren lassen, in der Landschaft aus umgestürzten Möbeln das Vertraute mit anderen Augen sehen, staunen, träumen und selbst ganz leicht werden vor dem Tisch auf Stahlstützen, der offensichtlich in der Luft schwebt. Denn die fadendünnen Metalldrähte, die aus seinen Beinen über den Boden fließen, können die Last seines Gewichts doch unmöglich tragen. Reiner Ruthenbeck kann zaubern, daran gibt es gar keinen Zweifel.

"Es ist eine große Ausstellung über Wahrnehmung. Es ist auch eine Ausstellung über Atmosphäre, was Kunst wirklich atmosphärisch erreichen kann. Es sind hier große Momente der Stille, aber auch der Leichtigkeit und des Humors. Und dass Kunstwerke das erreichen, finde ich ganz wichtig."