"Einfache Gestaltung ist schwieriger"

Klaus Klemp im Gespräch mit Dieter Kassel · 31.01.2012
Japaner hätten schon immer alles besser machen wollen, sagt der Kunsthistoriker Klaus Klemp. Das Design des Apple-iPads sei jedoch so gut, dass es Samsung mit seinem Nachahmer-Produkt nur um eine "Rufausbeutung" gegangen sein könne. Apple habe den Rechtsstreit daher zurecht gewonnen.
Dieter Kassel: Vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf – übrigens ausgerechnet da, weil sich die Deutschland-Niederlassung von Samsung in Nordrhein-Westfalen befindet – hat der Konzern Apple gegen den südkoreanischen Konkurrenten Samsung geklagt, und er hat gewonnen.

Heute hat das Düsseldorfer Gericht festgestellt, dass zwei verschiedene Modelle des sogenannten Galaxy Tabs, eines Tablet-Computers, den Samsung herstellt, in Deutschland nicht verkauft werden dürfen, und zwar deshalb nicht, weil sie dem iPad der Firma Apple zu ähnlich sind.

Es ist im Grunde nicht ungewöhnlich, dass Konkurrenten sich auch vor Gericht bekämpfen. Aber wenn sie sich Diebstahl geistigen Eigentums vorwerfen, da ging es in der Vergangenheit eigentlich eher um technische Merkmale, um elektronische Erfindungen. Diesmal ging es ums Design, und deshalb wollen wir darüber jetzt mit Klaus Klemp reden, er ist Design- und Kunsthistoriker, und er ist Ausstellungsleiter am Museum für angewandte Kunst in Frankfurt. Schönen guten Tag, Herr Klemp!

Klaus Klemp: Guten Tag, Herr Kassel!

Kassel: Wenn sich nun wirklich – da steckt ja viel Geld dahinter – zwei vor Gericht darüber streiten, ob der Eine beim Anderen das Design geklaut hat, ist das nicht irgendwo grundsätzlich auch eine Aufwertung des Designs?

Klemp: Sicher ist es das. Ich denke, dass Gestaltung heute eine sehr große Rolle spielt, sowohl was die Benutzbarkeit von Geräten als auch was, sagen wir mal, ihre Unterscheidbarkeit angeht. Und von daher ist dieses Urteil durchaus sehr bemerkenswert.

Kassel: Nun macht das die Sache aber gerade für die Juristen nicht einfacher. Denn worum es nun ging, war das genaue Aussehen eines sogenannten Tablet-Computers, und da muss man ja sagen, gewisse Dinge, die Apple da auch durchaus angeführt hat als Argumente, sind ja absolut unvermeidbar, nämlich zum Beispiel, dass das Ding viereckig ist, ziemlich flach, und einen Bildschirm hat.

Klemp: Also grundsätzlich ist es so, dass einfache Gestaltung schwieriger ist als eine opulente Gestaltung. Man denkt immer, die Dinge, die ganz einfach und selbstverständlich aussehen, die könnte man auch sehr einfach entwerfen. Das ist ein Irrtum, es ist genau das Gegenteil. Man muss sehr lange sehr konzentriert daran arbeiten, um solche selbstverständlichen Formen auch zu finden.

Kassel: Wo liegt dann aber die Grenze, wenn jetzt jemand sagt, das Apple iPad gefällt mir und ich sehe ein, so muss ein iPad eigentlich aussehen, wo liegt dann die Grenze zwischen sich inspirieren lassen und einfach klauen?

Klemp: Das ist eine sehr schwierige Frage. Wenn wir uns die Designgeschichte ansehen, dann sind selten wirklich ganz, ganz neue Dinge entstanden, sondern oft hat man sich auf Vorgängerprodukte bezogen, aus denen sich wieder neues entwickelt hat. Lassen Sie mich ein historisches Beispiel nennen: Wir kennen alle den Thonet-Stuhl, den Bugholz-Stuhl oder auch Kaffeehaus-Stuhl, der ist Mitte des 19. Jahrhunderts von Michael Thonet entworfen, sehr erfolgreich produziert worden, und der war was wirklich Neues, weil das zum ersten Mal ein sehr leichter, ein sehr preiswerter Stuhl war, den sich jeder erlauben konnte und der keine historischen Vorbilder hatte.

Und was passierte: In relativ kurzer Zeit hat sozusagen der Nachbar, die Firma Jakob & Josef Kohn diesen Stuhl plagiiert, nachgebaut. Thonet hat dann relativ schnell auf seine Privilegien, wie das damals hieß, verzichtet, weil es ihm viel zu aufwändig war, dagegen zu klagen – interessant vielleicht im Gegensatz zu heute. Kohn hat aus dieser Grundidee dieses leichten Stuhles dann aber mit Architekten wieder neue Dinge weiterentwickelt. Also man sieht, dass innerhalb der Designgeschichte es immer so eine Art Transformationsprozess auch gegeben hat, dass jemand etwas aufgegriffen hat und dann kreativ weiterentwickelt hat. Dann würde ich auch nicht von Plagiat sprechen. Plagiat ist, wenn ich einen Gegenstand schlicht und ergreifend kopiere.

Kassel: Nun ist aber die Frage, ab wann ist eine Idee so sehr meine Idee, dass ich da ein Urheberrecht haben kann? Nehmen wir Ihr Beispiel von einem Stuhl, das ist ja sehr gut: Wenn jetzt jemand sagen würde, ich möchte mir die Idee schützen lassen, dass ein Stuhl vier Beine hat – das würde natürlich nicht gehen, weil das hat er nun mal, das hat er, seit es Stühle gibt. Und ein bisschen ist das ja bei Apple so, weil die haben – und in dem Punkt haben sie übrigens verloren vor Gericht in Düsseldorf – versucht, sich die Tatsache schützen zu lassen, dass dieser Tablet-Computer viereckig ist, einen Bildschirm und nur wenige Knöpfe hat.

Klemp: Es gab auch mal einen Stuhl mit zwei Beinen.

Kassel: Es gab auch welche mit dreien!

Klemp: Mit dreien.

Kassel: Mit fünfen würde es theoretisch ja gehen.

Klemp: Auch fünfe gibt es.

Kassel: Ja.

Klemp: Aber der sogenannte Freischwinger, den Mart Stam in den 20er-Jahren entwickelt hat, der hat in der Tat sogar ein künstlerisches Urheberrecht bekommen oder vor Gericht erstritten, was heißt, dass es noch bis 70 Jahre nach dem Tod des Entwerfers entsprechende Nutzungsrechte auch abwirft. Das passiert ganz selten in der Designgeschichte. Es gibt vielleicht gerade eine Handvoll von Produkten, die dieses künstlerische Urheberrecht haben, weil sie eben, sagen wir mal, so eine Gestaltungshöhe, wie die Juristen das sagen, haben. Meistens sind es ja Geschmacksmuster, die bis zu 25 Jahren eingetragen werden könnten.

Aber noch einmal, die Einfachheit oder die einfache Form sagt nichts darüber aus, wie schwierig es gewesen ist, solch eine Form auch zu entwickeln, und dieses eben auf wenige Knöpfe zu reduzieren. Das Problem der Mobiltelefone in den 2000er-Jahren war doch, dass sie alle viel zu viele Knöpfe hatten. Wir hatten doch den Funktionsgau. Keiner konnte mehr so ein Handy wirklich bedienen, weil jeder Knopf siebenfach belegt gewesen ist, und dann ist Apple eben gekommen und hat es hinbekommen, alles auf sehr wenige Elemente zu reduzieren, das darf man nicht unterschätzen.

Kassel: Ich unterschätze das auch nicht, aber die Frage, die sich natürlich stellt, und viele Kritiker – diese Prozesslawine, die da weltweit losgerollt ist zwischen diesen beiden Elektronikkonzernen –, die Kritiker sagen ja auch: Es kann ja nicht sein, dass jemand etwas relativ Einfaches erfindet – so schwer das war, das stellt niemand in Abrede – und dann über Jahre, Jahrzehnte dem Rest der Welt verbieten kann, diese Idee auch zu nutzen.

Klemp: Vielleicht sollte der Rest der Welt sich einfach auch motiviert fühlen, aus dieser Idee heraus weitere neue kreative Ideen zu entwickeln. Es ging ja bei den Prozess um Rufausbeutung. Das heißt, es wurde ja – Sie haben es eingangs gesagt – nicht das Geschmacksmuster grundsätzlich geschützt, sondern man sagt schon, man kann da ähnliche Dinge machen, aber man sagt, Apple hat sich dadurch eben einen Ruf erarbeitet, an dem jetzt andere versuchen wollen zu partizipieren. Ich denke nicht, dass dieses Urteil, sagen wir mal, die weitere Entwicklung von elektronischen Geräten dieser Kategorie wirklich blockieren wird, aber es ist auch eine Herausforderung für andere Firmen, jetzt drüber nachzudenken, was kann man daraus weiterentwickeln?

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur heute Nachmittag mit dem Designhistoriker Klaus Klemp. Wir nehmen den von Apple gewonnenen Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf gegen den Konkurrenten Samsung zum Anlass, um darüber zu reden, inwieweit man sich Design schützen lassen kann und wo diese schwer zu definierende Grenze ist, zwischen sich von etwas inspirieren lassen und etwas einfach klauen.

Herr Klemp, es passt natürlich, was da gerade vor Gericht passiert, in einem Punkt zu einem klassischen Klischee: Da ist auf der einen Seite der US-amerikanische Konzern mit seiner Kreativität, mit seinen kreativen Menschen, die man zum Teil ja auch kennt – an Steve Jobs denkt man, aber auch an seine Designer –, und da ist auf der anderen Seite ein asiatischer Konzern, der kommt nun aus Korea, aber man hat ja vorher schon den Japanern bei den Autos, bei HiFi-Geräten immer vorgeworfen: Na ja, die haben eine andere Kultur, für die ist das ganz normal, andere Sachen einfach nur nachzumachen. Ist das ein reines Vorurteil?

Klemp: Nein, das ist kein Vorurteil, sondern das ist in der Tat sehr begründet. Wir haben in Europa eine andere Auffassung von Urheberschaft als dies traditionell in Asien passiert ist. Und auch das ist bei uns gerade mal 500 Jahre alt. Dieser Gedankte einer Urheberschaft, eines geistigen Eigentums ist erst im 15. Jahrhundert, also mit der Renaissance, mit dem Humanismus entstanden. Auch das deutsche Wort Urheber entsteht zu dieser Zeit.

Das heißt, vorher haben wir auch hier in Europa, sagen wir mal, Dinge übernehmen können: Die Mönche haben sich Bibeln vom Nachbarkloster ausgeliehen, sie kopiert und wieder zurückgegeben, das war da überhaupt keine Frage, wer da irgendein Urheberrecht hat. Durch diese Lockerung – ich sage es mal etwas salopp – der göttlichen Ordnung in der Renaissance, dass der Mensch also aufgestiegen ist als Schöpfer, als Kreator – Michelangelo el Divino, also Michelangelo der Göttliche, der sozusagen dazu in der Lage ist, die Welt zu schaffen, das ist ein völlig neues Modell gewesen. Da ist auf einmal ein Individuum als Genius erschienen, der Dinge völlig neu erfinden kann. Und aus dieser Urheberrechtshaltung heraus hat sich bei uns, sagen wir mal, auch die Einstellung natürlich zu anderen Dingen, zu Patenten, zu Design entwickelt und in der Industrialisierung hat das Ganze dann natürlich eine sehr große Rolle gespielt.

Die asiatische Mentalität, speziell die japanische, ist eine völlig andere. Für Japaner war es nie so wichtig, Dinge neu zu erfinden, sondern Dinge zu perfektionieren.

Nehmen Sie die japanische Schrift, die kommt aus China. Man hat sich die chinesischen Schriftzeichen angesehen und hat gesagt, wir machen die besser, hat sie besser gemacht und damit waren die japanisch. Auch in der Keramik oder in anderen Bereichen – für Asiaten spielte dieses Perfektionieren von Vorhandenem immer eine viel größere Rolle als das Erfinden von Neuem. Das haben die Japaner natürlich nach dem Zweiten Weltkrieg dann mit Autos und anderen Dingen auch weitergemacht und nicht so wirklich verstanden, warum wir Europäer ihnen da immer Vorwürfe gemacht haben.

Nun ist natürlich diese Urheberrechtshaltung eine ganz wichtige Voraussetzung, dass Wirtschaftsprozesse überhaupt funktionieren, denn derjenige, der etwas entwirft, der möchte natürlich auch den finanziellen Gewinn davon haben, sonst ist er gar nicht dazu in der Lage, wieder Neues zu entwickeln. Das ist auch heute in Asien so. Also sie werden auch einen Issey Miyake nicht einfach nachmachen können, oder einen Naoto Fukasawa, weil man weiß, wie wichtig diese Urheberrechte sind.

Aber wie gesagt, zwei verschiedene Haltungen, und was ich ganz interessant finde: Man kann Apple sogar ein bisschen Einfluss auf diese asiatische Haltung zugestehen, denn was die Apple-Leute gemacht haben, sind oft Verbesserungen gewesen, gar nicht so sehr Neuerfindungen, sondern wirklich Verbesserungen. Der MP3-Player ist vorher schon produziert worden, aber der MP3-Player von Apple war dann eben ein sehr perfektioniertes Gerät.

Kassel: In Düsseldorf ist heute ein Urteil gefällt worden im Prozess Apple gegen Samsung – nicht das erste seiner Art und mit Sicherheit nicht das letzte. Deshalb haben wir gerade mit dem Kunst- und Designhistoriker Klaus Klemp darüber gesprochen, inwieweit sich Design überhaupt schützen lässt und was solche Prozesse auch aussagen über die Bedeutung von Design in unserer heutigen Warenwelt. Herr Klemp, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!

Klemp: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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