Einfach nur laut ist nicht gleich gut

Von Marko Pauli · 16.04.2008
Eines der wesentlichen Gestaltungsmittel von Musik ist die Dynamik, also die unterschiedliche Stärke, mit der Töne gespielt werden. In der heutigen Popmusik gibt es so gut wie keine Dynamik mehr, da mit digitaler Tontechnik leisere Stellen lauter gemacht werden. Leidtragende dieser Praxis ist eindeutig die Klangqualität. Das Schlagwort vom Loudness War, dem Lautheitskrieg macht die Runde.
Bei Klassik-CDs kann noch jeder hören was musikalische Dynamik bedeutet: Es gibt sehr laute Passagen, aber auch sehr leise und dazwischen viel Luft.

In der Popmusik versuchte man schon seit jeher, die Dynamik einzugrenzen, um einen druckvollen Sound zu erzeugen. Dafür werden elektronische Schaltungen als Kompressoren und Limiter eingesetzt, sie regeln die Lautstärkespitzen der einzelnen Instrumente runter. So entsteht nach oben hin neuer Platz, um die Gesamtlautstärke zu erhöhen. Wer dabei lauter ist als die Konkurrenz, wird eher gehört.

So ergab sich Jahr für Jahr eine Steigerung. Heute besitzen viele Popsongs fast gar keine Dynamik mehr, alle Passagen bewegen sich am obersten Limit. Willkommen beim Loudness War!

"Man kann sich die Top Ten ankucken, und 80 Prozent dieser Platten sind erbarmungslos zu laut. Es geht soweit, dass Leute anfangen, ihre Platten, ihre CDs in den Laden zurückzutragen, weil sie einen Defekt vermuten."

Tom Meyer betreibt in Hamburg ein Mastering-Studio. Hier werden der Gesamtsound der CD und auch die finale Lautheit, also die gefühlte Endlautstärke, bestimmt. Nur in den seltensten Fällen kann Tom Meyer jedoch selbst entscheiden, wie laut der Tonträger sein wird.

"Wenn ich diese Freiheit habe, dann sag ich, ich mach jetzt eine Platte, die wird zwei dB leiser sein als die Konkurrenz und die wird besser klingen. Das versuche ich dann erstmal abzugeben, dem Künstler, dem Produzenten, der Plattenfirma. Dann kommt aber oft die Aussage, dass die Lautheit nicht langt. Dann muss ich nochmal ran und noch mal einen drauf packen, über die Grenzen des Guten hinaus, über die Grenzen dessen hinaus, was mich veranlassen würde, die Platte selbst zu kaufen."

Beim heutigen Stand der Lautheit ist es unvermeidbar, dass die maximal zulässige Vollaussteuerung ab und an überschritten wird. Es entstehen Verzerrungen, hörbare Klick-Geräusche. Und der Musikgenuss wird zum Stress.

Doch es formiert sich eine Gegenbewegung: In den USA wurde vor kurzem die Organisation Turn Me Up gegründet. Diese will Künstlern helfen, wieder mehr Dynamik auf ihren Tonträgern zuzulassen. Der "Turn Me Up"-Sticker auf dem Cover soll die Käufer vorab informieren, dass es hier vielleicht etwas leiser, dafür aber dynamischer zugeht. Der Musikproduzent Charles Dye, er arbeitet u.a. für Aerosmith, Ricky Martin und Jennifer Lopez, ist einer der Gründer von Turn Me Up:

"Die Idee ist, dass der Hörer weiß, wenn er eine Platte mit dem Turn Me Up-Zertifikat in den Händen hält, dass deren Dynamiklevel genauso gewollt ist. Er braucht nur den Lautstärkeknopf aufzudrehen, und schön hört er genau die Kraft und Aggression, wie sie vom Künstler beabsichtigt war."

Wenn sich beim popkulturellen Vorbild USA etwas ändert, so die Hoffnung, dann wird Europa nachziehen und das Wettrennen um Lautheit kann ein Ende finden. Der Weg wäre dann wieder frei für ein ganz bestimmtes Dynamiklevel:

"Wir streben ein Dynamiklevel an, wie es um 1990 gängig war. Der war bei den Platten damals bei etwa -12 dB. Ich meine Platten wie Nirvanas 'Nevermind' oder Guns and Roses 'Appetite For Destruction' aus dieser Zeit.

Was diese Platten haben, lässt sich mit den heutigen aggressiven Brickwall-Limitern kaum erreichen - sie klingen offener, luftiger, es ist eine Räumlichkeit zu hören, die einen die dreidimensionalen Eigenschaften von Musik erleben lässt."

Bei vielen Künstlern besteht immer noch der Glaube, ihre Musik müsse so laut sein, damit sie sich im Radio durchsetzt. Dabei haben die Sender schon lange Signalprozessoren im Einsatz, die für eine durchgehend gleiche Lautheit sorgen.

Wenn es ein Argument für die Nicht-Dynamik gibt, dann liegt das beim immer dominanteren mobilen Musikkonsum, wie der Musikwissenschaftler Arne Ruschkowski erläutert:

"Wenn etwas viel Dynamik hat, also viele Stellen, die leise sind, wenn ich das auf der Straße höre, dann hör ich nichts, dann geht das unter. Und wenn ich da keine Dynamik drin hab, dann hab ich ein permanentes Hörgefühl. Es gibt keine leisen Stellen und es gibt nichts, was von den Umgebungsgeräuschen überdeckt wird."

Zuhause ist das allerdings etwas anderes. Wer dort eine Pop-CD von heute in den Player legt, der braucht den Lautstärkeknopf nur minimal aufzudrehen, schon springt ihm der gepresste Sound in die Ohren.

Ruschkowski: "Wenn man sich neue CDs anhört, dann ist da teilweise keine Ruhepause mehr. Das fängt an, dann ist Dauerton und dann hört es auf nach heutzutage meistens 74 Minuten. Wenn man leisere Stellen hat, kann man wieder runter kommen. Und was viele vergessen: Lautere Stellen wirken umso besser, wenn vorher 'ne leise Stelle war. Wenn alles laut ist, dann hab ich auch keine Überraschung mehr drin."