Einer polyphonen Sprachlust frönen
Einer der einflussreichsten Romane der Moderne ist zum zweiten Mal als Hörbuch erschienen. Mit 38 Stunden, gebrannt auf 31 CDs, kann "Ulysses" als Mammutprojekt bezeichnet werden - zumal 40 Sprecher "die literarische Bibel der Moderne" vortragen.
Lange Zeit gab es keine Hörbuch-Version des "Ulysses" von James Joyce, der literarischen Bibel der Moderne und einer der einflussreichsten Romane des 20. Jahrhunderts. Es lag an den Rechten und an sperrigen Erben. Nun haben sich die Voraussetzungen geändert und innerhalb von nur einem Jahr sind zwei "Ulysses"-Mammutprojekte auf den Hörbuchmarkt gekommen: Vor einem Jahr das 22stündige Hörspiel, vom SWR produziert; zum diesjährigen Bloomsday am 16. Juni nun erscheint die Komplettlesung, beim RBB entstanden, die es auf satte 38 Stunden bringt – für Joyce-Puristen und solche, die es werden wollen. Unter der Regie von Ralph Schäfer agiert ein Ensemble von 40 Sprechern, darunter Matthias Brandt, Peter Matic, Axel Milberg, Hanns Zischler, Ulrich Noethen, Sophie Rois und Imogen Kogge.
Das erste, was wir über Leopold Bloom erfahren, sind seine kulinarischen Vorlieben:
"Mr. Leopold Bloom aß mit Vorliebe die inneren Organe von Vieh und Geflügel. Er liebte dicke Gänsekleinsuppen, leckere Muskelmägen, gespicktes Bratherz, panierte, kross geröstete Leberschnitten, gerösteten Dorschrogen. Am allerliebsten hatte er gegrillte Hammelnieren, die seinem Gaumen einen feinen Beigeschmack schwachduftigen Urins vermittelten."
Der "Ulysses" hat wie kein anderer Roman der Moderne literarische Konventionen gesprengt. Zugleich aber ist er eine Pionierleistung des erweiterten Realismus. Ganze Bereiche des menschlichen Lebens – insbesondere der Körper und seine prosaischen Bedürfnisse – hatten es zuvor in der Literatur allenfalls zu grobianischer Komik gebracht.
Viele vorzügliche Sprecher teilen sich die Arbeit an diesem Hörbuch-Mammutprojekt. Die einstige Schaubühnen-Diva Edith Clever verleiht dem strömenden Monolog der Molly Bloom Witz und Nuancen, auch wenn sie nicht dem Typus des sinnlichen Vollweibs entspricht, sondern eher dem einer gern auch mal vulgären Dame, was die Rolle ja durchaus hergibt:
"Also ob ich wohl noch je noch wieder ein anständiges Dienstmädchen kriege … Eine richtige Plage ist das mit denen … Die alte Mrs. Fleming zum Beispiel bei der muss man ewig hinterherlaufen ihr alle Sachen direkt in die Hand geben und dann niest und furzt sie einem in einer Tour in die Töpfe … naja ein Glück ja bloß dass ich das verrottete alte stinkige Wischtuch gefunden habe was hinter die Anrichte gerutscht war …"
Der "Ulysses" wurde als irische Folklore vereinnahmt. Doch bei aller Fülle an Dubliner Lokalkolorit ist ein Grundmotiv ist gerade das Nichtzuhausesein. Der jüdische Annoncenakquisiteur Bloom und seine aus Gibraltar gebürtige Frau wirken wie Fremde am Ort. Bloom trinkt auch nicht den "Wein des Landes", worunter man ein Guinness zu verstehen hat, sondern lieber mal ein Glas Burgunder.
Sehr hörbuchtauglich sind die vielen Parodien und Sprachspiele, etwa wenn Anna Thalbach den Kitschromanstil des Kapitels "Nausikaa" liest, wo Bloom am Strand voyeuristische Höhepunkte mit Gerty MacDowell erlebt, während diese sich unter den erregten Blicken Blooms sentimentale Liebesillusionen macht:
"Hier war das, von dem sie so oft geträumt hatte. Er war es, auf den es ankam, und Freude erschien auf ihrem Gesicht, weil sie ihn wollte, weil sie instinktiv spürte, dass er ein Mann war wie kein anderer sonst… Das innerste Herz des Mädchenweibes öffnete sich ihm, ihrem Traumgemahl, denn sie wusste im Augenblick, dass er das war. Wenn er gelitten hatte, (…) ja sogar, wenn er selbst ein Sünder gewesen war, ein böser Mensch, es galt ihr nichts. (…) Es gab Wunden, die bedurften der Heilung mit Herzensbalsam."
Und wie schildert man zwei müde Männer, Bloom und Stephen Dedalus, die nach ausschweifenden Erlebnissen im Hafenviertel angetrunken nach Hause schwanken? Indem man auch die Sprache stolpern lässt und sie überfrachtet mit entkräfteten Floskeln, schiefen Metaphern, verhedderten Assoziationen. Eine "müde Ein-Uhr-nachts-Schreibe" hat Anthony Burgess das genannt.
"Nein, es war die Tochter der Mutter gewesen, die in der Waschküche, und sie war Milchschwester des herrschaftlichen Erben, oder, jedenfalls waren sie sonst irgendwie durch die Mutter damit verbunden, da beide Ereignisse zur nämlichen Zeit stattgefunden hatten, falls nicht die ganze Geschichte überhaupt von Anfang bis Ende erstunken und erlogen war, egal aber, jedenfalls saß er in der Patsche."
Höhepunkt ist das fünfstündige Kirke-Kapitel: ein phantasmagorisches Traumspiel im Bordellviertel, Dramen-Text mit absurd ausführlichen Regieanweisungen. Halbbewusste oder verheimlichte Wünsche, Ängste, Schuldgefühle werden nach außen gestülpt, und es kommt zu einem Tribunal gegen Leopold Bloom als stadtbekanntem Anarchisten, Bombenleger, Falschmünzer, Hahnrei, Bigamist etcetera.
"Kriminalrichter:"Skandalös!"
Er setzt das schwarze Barett auf.
Kriminalrichter: "Man führe ihn nun herunter, Sheriff, von der Anklagebank, auf der er steht, und halte ihn in Gewahrsam im Mountjoy-Gefängnis, so lange es seiner Majestät gefällt, und hänge ihn sodann dort am Halse auf, bis er tot ist …""
Bei Joyce ist man niemals am Ort der Tat. Sondern dort, wo darüber geredet wird. Nichts Genaues kann man wissen, die Mittelbarkeit unserer Weltkenntnis ist eine große Lektion des "Ulysses". Es ist ein herrliches Buch des Geredes – und dank seiner polyphonen Sprachlust ein Werk, das zum kulinarischen Hören wie geschaffen ist, am besten ungekürzt.
Besprochen von Wolfgang Schneider
Das erste, was wir über Leopold Bloom erfahren, sind seine kulinarischen Vorlieben:
"Mr. Leopold Bloom aß mit Vorliebe die inneren Organe von Vieh und Geflügel. Er liebte dicke Gänsekleinsuppen, leckere Muskelmägen, gespicktes Bratherz, panierte, kross geröstete Leberschnitten, gerösteten Dorschrogen. Am allerliebsten hatte er gegrillte Hammelnieren, die seinem Gaumen einen feinen Beigeschmack schwachduftigen Urins vermittelten."
Der "Ulysses" hat wie kein anderer Roman der Moderne literarische Konventionen gesprengt. Zugleich aber ist er eine Pionierleistung des erweiterten Realismus. Ganze Bereiche des menschlichen Lebens – insbesondere der Körper und seine prosaischen Bedürfnisse – hatten es zuvor in der Literatur allenfalls zu grobianischer Komik gebracht.
Viele vorzügliche Sprecher teilen sich die Arbeit an diesem Hörbuch-Mammutprojekt. Die einstige Schaubühnen-Diva Edith Clever verleiht dem strömenden Monolog der Molly Bloom Witz und Nuancen, auch wenn sie nicht dem Typus des sinnlichen Vollweibs entspricht, sondern eher dem einer gern auch mal vulgären Dame, was die Rolle ja durchaus hergibt:
"Also ob ich wohl noch je noch wieder ein anständiges Dienstmädchen kriege … Eine richtige Plage ist das mit denen … Die alte Mrs. Fleming zum Beispiel bei der muss man ewig hinterherlaufen ihr alle Sachen direkt in die Hand geben und dann niest und furzt sie einem in einer Tour in die Töpfe … naja ein Glück ja bloß dass ich das verrottete alte stinkige Wischtuch gefunden habe was hinter die Anrichte gerutscht war …"
Der "Ulysses" wurde als irische Folklore vereinnahmt. Doch bei aller Fülle an Dubliner Lokalkolorit ist ein Grundmotiv ist gerade das Nichtzuhausesein. Der jüdische Annoncenakquisiteur Bloom und seine aus Gibraltar gebürtige Frau wirken wie Fremde am Ort. Bloom trinkt auch nicht den "Wein des Landes", worunter man ein Guinness zu verstehen hat, sondern lieber mal ein Glas Burgunder.
Sehr hörbuchtauglich sind die vielen Parodien und Sprachspiele, etwa wenn Anna Thalbach den Kitschromanstil des Kapitels "Nausikaa" liest, wo Bloom am Strand voyeuristische Höhepunkte mit Gerty MacDowell erlebt, während diese sich unter den erregten Blicken Blooms sentimentale Liebesillusionen macht:
"Hier war das, von dem sie so oft geträumt hatte. Er war es, auf den es ankam, und Freude erschien auf ihrem Gesicht, weil sie ihn wollte, weil sie instinktiv spürte, dass er ein Mann war wie kein anderer sonst… Das innerste Herz des Mädchenweibes öffnete sich ihm, ihrem Traumgemahl, denn sie wusste im Augenblick, dass er das war. Wenn er gelitten hatte, (…) ja sogar, wenn er selbst ein Sünder gewesen war, ein böser Mensch, es galt ihr nichts. (…) Es gab Wunden, die bedurften der Heilung mit Herzensbalsam."
Und wie schildert man zwei müde Männer, Bloom und Stephen Dedalus, die nach ausschweifenden Erlebnissen im Hafenviertel angetrunken nach Hause schwanken? Indem man auch die Sprache stolpern lässt und sie überfrachtet mit entkräfteten Floskeln, schiefen Metaphern, verhedderten Assoziationen. Eine "müde Ein-Uhr-nachts-Schreibe" hat Anthony Burgess das genannt.
"Nein, es war die Tochter der Mutter gewesen, die in der Waschküche, und sie war Milchschwester des herrschaftlichen Erben, oder, jedenfalls waren sie sonst irgendwie durch die Mutter damit verbunden, da beide Ereignisse zur nämlichen Zeit stattgefunden hatten, falls nicht die ganze Geschichte überhaupt von Anfang bis Ende erstunken und erlogen war, egal aber, jedenfalls saß er in der Patsche."
Höhepunkt ist das fünfstündige Kirke-Kapitel: ein phantasmagorisches Traumspiel im Bordellviertel, Dramen-Text mit absurd ausführlichen Regieanweisungen. Halbbewusste oder verheimlichte Wünsche, Ängste, Schuldgefühle werden nach außen gestülpt, und es kommt zu einem Tribunal gegen Leopold Bloom als stadtbekanntem Anarchisten, Bombenleger, Falschmünzer, Hahnrei, Bigamist etcetera.
"Kriminalrichter:"Skandalös!"
Er setzt das schwarze Barett auf.
Kriminalrichter: "Man führe ihn nun herunter, Sheriff, von der Anklagebank, auf der er steht, und halte ihn in Gewahrsam im Mountjoy-Gefängnis, so lange es seiner Majestät gefällt, und hänge ihn sodann dort am Halse auf, bis er tot ist …""
Bei Joyce ist man niemals am Ort der Tat. Sondern dort, wo darüber geredet wird. Nichts Genaues kann man wissen, die Mittelbarkeit unserer Weltkenntnis ist eine große Lektion des "Ulysses". Es ist ein herrliches Buch des Geredes – und dank seiner polyphonen Sprachlust ein Werk, das zum kulinarischen Hören wie geschaffen ist, am besten ungekürzt.
Besprochen von Wolfgang Schneider
James Joyce: Ulysses
Produktion RBB, Regie: Ralph Schäfer
Der Hörverlag, München 2013
31 CDs, 2260 Minuten, 99,99 Euro
Produktion RBB, Regie: Ralph Schäfer
Der Hörverlag, München 2013
31 CDs, 2260 Minuten, 99,99 Euro