Einer lässt nicht locker
Er war einer derjenigen, der die Entstehung der Bundesrepublik begleiteten: der schwäbische Jurist Fritz Bauer. Er kämpfte gegen das Vergessen der NS-Diktatur und beeinflusste die Rechtsgeschichte Nachkriegsdeutschlands entscheidend. Nun ist die erste Biografie über ihn erschienen.
Im April 1949 trifft der 1903 geborene Fritz Bauer in Braunschweig ein. Er kommt aus Kopenhagen. Kurz nach Beginn einer verheißungsvollen juristischen Karriere - 1930 war Bauer, 27 Jahre alt, in seiner Heimatstadt Stuttgart zum jüngsten Amtsrichter berufen worden - hatte er als Jude und Sozialdemokrat 1933 Berufsverbot erhalten. Danach hatte er KZ-Haft und ab 1935 Jahre des Exils in Dänemark und Schweden durchlitten.
Bauer kehrte ins zerstörte Nachkriegsdeutschland zurück, um am Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und einer Reform des deutschen Rechtswesens mitzuwirken. Erst als Generalstaatsanwalt in Braunschweig, von 1956 bis zu seinem Tod 1968 dann in Frankfurt am Main. Wie viel Engagement, Einfluss, auch Enttäuschung sich hinter solchen Daten verbirgt, macht Irmtrud Wojak in ihrer Biografie klar: "Fritz Bauer 1903 - 1968" ist eine längst überfällige Würdigung des schwäbischen Humanisten, radikalen Aufklärers und politischen Juristen.
Die Autorin, derzeit Leiterin des Bereichs Historische Forschung beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen, stellt auf über sechshundert Seiten das juristische und publizistische Lebenswerk Fritz Bauers vor und beschreibt zugleich das historische wie gesellschaftliche Umfeld seines Wirkens. Quellenmaterial sind vor allem Prozessakten und Aussagen von Bauers Zeitgenossen. Der Jurist selbst hat wenig persönliche Dokumente hinterlassen, so dass kaum etwas über das Privatleben des Workaholics zu erfahren ist - vermutlich ist es ohnehin mit seiner Arbeit identisch. Diese steht im Zentrum der akribisch recherchierten Biografie. Ihr Kern: der Neuaufbau eines demokratischen Rechtswesens in Deutschland, einhergehend mit Aufklärung und Selbstaufklärung der Gesellschaft.
Prägend für Bauers Wirken war die Erfahrung des nationalsozialistischen Unrechtsystems. Er leitete daraus eine systematische Interpretation von Widerstandsrecht und Widerstandspflicht des Individuums gegenüber diktatorischer Staatsgewalt ab. Im Prozess gegen den ehemaligen Generalmajor Remer 1952 erreichte Fritz Bauer die Rehabilitierung der Verschwörer des 20. Juli. Das NS-Regime wurde als Unrechtssystem entlarvt, Bauer stellte gesetzlichem Unrecht übergesetzliches Recht gegenüber.
Ebenfalls Rechtsgeschichte machte Bauer mit dem sogenannten "Auschwitz-Prozess". Über 22 Monate hinweg, von 1963 bis 1965, führte er auf Grundlage von 18.000 Aktenseiten Aktenseiten einen der größten Strafrechtsprozesse in Deutschland. Dabei unterstrich er die Verantwortung des Individuums für seine Taten und setzte eine Neubewertung von Gewaltverbrechen in Konzentrationslagern in Gang. Er trieb Strafrechts- und Strafvollzugsreformen voran, insistierte auf der Verantwortung des Justizwesens für die Gesellschaft und widersetzte sich der Aufhebung von Verjährungsfristen bei NS-Verbrechen.
Fritz Bauers Engagement lässt sich als therapeutisch charakterisieren: Verdrängte Erinnerungen an die NS-Zeit hielt er wach, bemüht, das geschehene Unrecht durchzuarbeiten, um dann eine verlässliche Demokratie zu errichten. Irmtrud Wojak zeichnet Bauer als Einzelkämpfer. Anfeindungen ausgesetzt verlor der streitbare Jurist zunehmend das Vertrauen in den Willen zur Vergangenheitsbewältigung von Politik und Justiz. 1968 starb Fritz Bauer enttäuscht. Nach der Lektüre dieser Biografie aber wissen wir, dass der sechzigste Geburtstag unserer Demokratie, die nicht zuletzt von der kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit lebt, auch ihm zu verdanken ist.
Besprochen von Carsten Hueck
Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903 - 1968. Eine Biographie
C.H.Beck Verlag München 2009
638 Seiten, 34,00 Euro
Bauer kehrte ins zerstörte Nachkriegsdeutschland zurück, um am Aufbau einer demokratischen Gesellschaft und einer Reform des deutschen Rechtswesens mitzuwirken. Erst als Generalstaatsanwalt in Braunschweig, von 1956 bis zu seinem Tod 1968 dann in Frankfurt am Main. Wie viel Engagement, Einfluss, auch Enttäuschung sich hinter solchen Daten verbirgt, macht Irmtrud Wojak in ihrer Biografie klar: "Fritz Bauer 1903 - 1968" ist eine längst überfällige Würdigung des schwäbischen Humanisten, radikalen Aufklärers und politischen Juristen.
Die Autorin, derzeit Leiterin des Bereichs Historische Forschung beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen, stellt auf über sechshundert Seiten das juristische und publizistische Lebenswerk Fritz Bauers vor und beschreibt zugleich das historische wie gesellschaftliche Umfeld seines Wirkens. Quellenmaterial sind vor allem Prozessakten und Aussagen von Bauers Zeitgenossen. Der Jurist selbst hat wenig persönliche Dokumente hinterlassen, so dass kaum etwas über das Privatleben des Workaholics zu erfahren ist - vermutlich ist es ohnehin mit seiner Arbeit identisch. Diese steht im Zentrum der akribisch recherchierten Biografie. Ihr Kern: der Neuaufbau eines demokratischen Rechtswesens in Deutschland, einhergehend mit Aufklärung und Selbstaufklärung der Gesellschaft.
Prägend für Bauers Wirken war die Erfahrung des nationalsozialistischen Unrechtsystems. Er leitete daraus eine systematische Interpretation von Widerstandsrecht und Widerstandspflicht des Individuums gegenüber diktatorischer Staatsgewalt ab. Im Prozess gegen den ehemaligen Generalmajor Remer 1952 erreichte Fritz Bauer die Rehabilitierung der Verschwörer des 20. Juli. Das NS-Regime wurde als Unrechtssystem entlarvt, Bauer stellte gesetzlichem Unrecht übergesetzliches Recht gegenüber.
Ebenfalls Rechtsgeschichte machte Bauer mit dem sogenannten "Auschwitz-Prozess". Über 22 Monate hinweg, von 1963 bis 1965, führte er auf Grundlage von 18.000 Aktenseiten Aktenseiten einen der größten Strafrechtsprozesse in Deutschland. Dabei unterstrich er die Verantwortung des Individuums für seine Taten und setzte eine Neubewertung von Gewaltverbrechen in Konzentrationslagern in Gang. Er trieb Strafrechts- und Strafvollzugsreformen voran, insistierte auf der Verantwortung des Justizwesens für die Gesellschaft und widersetzte sich der Aufhebung von Verjährungsfristen bei NS-Verbrechen.
Fritz Bauers Engagement lässt sich als therapeutisch charakterisieren: Verdrängte Erinnerungen an die NS-Zeit hielt er wach, bemüht, das geschehene Unrecht durchzuarbeiten, um dann eine verlässliche Demokratie zu errichten. Irmtrud Wojak zeichnet Bauer als Einzelkämpfer. Anfeindungen ausgesetzt verlor der streitbare Jurist zunehmend das Vertrauen in den Willen zur Vergangenheitsbewältigung von Politik und Justiz. 1968 starb Fritz Bauer enttäuscht. Nach der Lektüre dieser Biografie aber wissen wir, dass der sechzigste Geburtstag unserer Demokratie, die nicht zuletzt von der kritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit lebt, auch ihm zu verdanken ist.
Besprochen von Carsten Hueck
Irmtrud Wojak: Fritz Bauer 1903 - 1968. Eine Biographie
C.H.Beck Verlag München 2009
638 Seiten, 34,00 Euro