"Einer, der von seinem reichen Leben abgab"

Moderation: Dieter Kassel · 24.07.2007
"Ist es alright, dass das Publikum lacht in einem Stück über Auschwitz oder Hitler", wurde der Autor und Theaterregisseur George Tabori immer wieder gefragt. Dabei sei es ihm gelungen, meint Kritiker Hartmut Krug, das Grauen mit den Mitteln des Humors und des Theaters zu bewältigen. Tabori schrieb über 50 Theaterstücke und wurde mit Werken wie die "Kannibalen" bekannt.
Dieter Kassel: Einer der bedeutendsten Theatermacher des 20. Jahrhunderts ist tot. George Tabori ist gestern im Alter von 93 Jahren gestorben. Tabori, ein Mann, der es immer wieder geschafft hat und auch schaffen wollte, Theaterstücke zu schreiben und seine eigenen wie andere so zu inszenieren, dass man über Monster, über Mörder lachen konnte auf der Bühne. Eine Tatsache, die gerade in Deutschland, wo er in den letzten 30, 40 Jahren viel gearbeitet hat, nicht immer verstanden worden ist. Vor einigen Jahren hat Tabori in diesem Zusammenhang in einem Interview Folgendes gesagt:

"Es wird immer wieder gefragt: Darf man über gewisse Sachen mit Humor oder Ironie arbeiten? Ist das alright, dass das Publikum lacht in einem Stück über Auschwitz oder Hitler?" Also ich finde, das Lachen ist nicht das Gegenteil des Ernsthaften. Das Lachen ist nicht etwas Frivoles. Es kann eine sehr tiefe körperliche wie seelische Reaktion sein. Ich finde, ein Witz hat ja immer eine Katastrophe als Inhalt. Also es ist nicht das Gegenteil vom Ernsten."

George Tabori, ein kleiner Ausschnitt aus einem Interview, das der Theaterkritiker Hartmut Krug vor einigen Jahren mit Tabori geführt hat. Hartmut Krug ist jetzt bei mir im Studio. Tag, Herr Krug!

Hartmut Krug: Guten Tag!

Kassel: So, wie man das interpretieren kann und glaube ich muss, was Tabori da gerade gesagt hat in dem Ausschnitt, meint er ja auch, dass Lachen nicht unbedingt ein Akt der Fröhlichkeit sein muss. Aber da es da nun gerade um das Lachen ging, ist denn Tabori selber bei dem Schicksal, wir werden darüber viel reden jetzt gleich, das er erleben musste, ein fröhlicher Mensch gewesen?

Krug: Er ist ein sehr offener Mensch gewesen, das stimmt schon. Er ist auch jemand, der sehr neugierig war, der zugehört hat und zugesehen hat. Bei Proben hat er ja auch weniger Schauspieler geführt, als sie machen lassen und zugeschaut. Und er ist vor allen Dingen auch jemand gewesen, der wirklich durch die Lebenserfahrungen versucht hat, Grauen mit Humor zu bewältigen. Also, wenn man mit ihm gesprochen hat, ich war 1968 durch Zufall als theaterwissenschaftlicher Student bei den Proben seiner ersten Produktion in Deutschland dabei, nämlich "Kannibalen", also das geht um das KZ und auch, wie man vom Titel sieht, ja auch darum, wie man sich im KZ durchschlägt, und da war er noch sehr, sehr unsicher, wie man in Deutschland überhaupt mit solchen Stoffen, die er da geschrieben hat, nämlich das Grauen auch mit Humor, mit Groteske versuchen zu bewältigen, überhaupt umgehen kann. Und da hat er sich Studenten gewünscht, die dazukommen, sich das mal anschauen, um zu merken und mit ihm zu diskutieren, wie geht ihr damit um.

Kassel: Da sind wir jetzt von der Chronologie her ja schon fast bei dem Moment, wo er von Großbritannien wieder nach Deutschland zunächst kurz gekommen und dann sogar zurückgekehrt ist. Machen wir es mal chronologisch: Geboren 1914 in Budapest. Wie ist das Leben von Tabori verlaufen bis zum Krieg?

Krug: Na ja, er ist als Sohn jüdischer Eltern eines Journalisten ist er in Budapest am Gymnasium gewesen, hat dann in Berlin als 18-Jähriger so als Kellner gearbeitet und ist dann 1933 nach Budapest zurückgekehrt, hat dort studiert und ’36 musste er nach London fliehen. Er ist dann auch 1945 britischer Staatsbürger geworden. Er hat in London als Journalist und Übersetzer gearbeitet und spannend, was man alles wahrscheinlich gar nicht so sehr weiß, er ging als Auslandskorrespondent nach Bulgarien, in die Türkei, hatte dann Kriegsdienst in der britischen Armee, war als Leutnant in Palästina. Und als er dann nach London 1943 zurückkehrte, da hat er dann seine ersten Romane geschrieben und 1947 dann in die USA immigriert, hat hier Drehbücher geschrieben für Hitchcock und Anatole Litvak und hat dann auch drei Stücke von Brecht ins Englische übersetzt. Und da sind wir jetzt endlich beim Theater, weil er dort dann mit Brecht eigentlich für sich das Theater entdeckt hat. Er hat dann selber andere Stücke inszeniert, hat dann mit "Fräulein Julie" seine erste eigene Inszenierung mit seiner damaligen Frau vorgestellt und hat dann in London gearbeitet, hat auch sofort also ein eigenes Theater gegründet, was "The Strolling Players" hieß und mit dem er dann auf Tournee durch England gegangen ist. Und der Punkt dann, dass er 1968 dann nach Deutschland ging, ist eigentlich in seiner Biografie relativ konsequent, weil er sich in seinen Werken und in seinem Leben natürlich immer damit beschäftigt hat, mit Deutschland und dem Holocaust und den eigenen Erfahrungen auch mit vielen seiner Familienangehörigen, die umgekommen sind und auch, darüber hat er später ein Stück geschrieben, "Mutters Courage", mit seiner Mutter, die schon im KZ angelangt war und auf eine aberwitzig, wirklich in der Realität passierte groteske Weise dann diesem KZ dann doch entkommen ist.

Kassel: Sie haben es gesagt: 1968, Taboris erste Arbeit in Deutschland. Ein bedeutendes Jahr, nicht nur für George Tabori. Wie ging seine Karriere, wie ging seine Arbeit in Deutschland weiter?

Krug: Also, er hat immer versucht, und auch das gehört für mich zu seiner Art, Theater zu machen und auf Menschen zu schauen, er wollte immer ein menschlicheres Theater machen. Also er hat es nicht gewollt, dass man so ein riesiges Theater in riesigen Räumen macht und er hat dann mit kleinen Schauspielergruppen gearbeitet. Er hat sogar damals mit Max-Reinhardt-Schülern hat er Stücke inszeniert, also mit Schauspielschülern. Es ging ihm gar nicht so sehr da drum, immer mit den allerbesten Schauspielern zu arbeiten, die er natürlich später dann auch gekriegt hat. Und er ist dann über Bremen, wo er ein Theaterlabor gegründet hat, ist er über die Münchener Kammerspiele gegangen, ist dann später als freier Regisseur ab den 80er Jahren, wo er dann schon zum Beispiel eine "Warten auf Godot"-Inszenierung inszeniert hat in München, die für mich überhaupt zum Gültigsten gehört, was außer Beckett ein Regisseur zu Beckett gesagt hat. Er ist dann weiter gegangen nach Wien. Hat dort wieder ein kleines für mehrere Jahre das Theater "Der Kreis" gegründet. Wieder so auch der Begriff sagt schon: Wir sind ein Kreis, wir arbeiten zusammen. Und eigentlich dann, man kann gar nicht die Unmenge von Stücken, die er selber geschrieben hat und die er auch inszeniert hat, aufzählen, ist dann, da schließt sich der Kreis mit dem Anfangszitat von Claus Peymann, ist am Wiener Burgtheater von Claus Peymann tätig gewesen sehr viel und ist dann als 85-Jähriger mit ihm nach Berlin gegangen.

Kassel: Wir reden gerade mit dem Theaterkritiker Hartmut Krug über George Tabori, der gestern im Alter von 93 Jahren gestorben ist. Sie haben diesen Namen jetzt genannt: Claus Peymann. Ich glaube, das ist auch alles andere als ein Zufall, dass auch Peymann vor wenigen Stunden dann verkündet hat, dass Tabori tot ist. Was für ein Verhältnis hatten die beiden zueinander? Kann man fast sagen, was die Arbeit im deutschen Sprachraum angeht, war Peymann der Förderer von Tabori?

Krug: Na, der Förderer nicht mehr, denn als die beiden zusammengekommen sind, war ja der Tabori schon ein ganz berühmter Regisseur. Aber er hat Tabori in einem Alter, wo andere Theaterleute gesagt bekommen: Nun lass es mal ruhig gehen und nun kannst du auch zu Hause sitzen – er hat Tabori immer verstanden als jemanden, der durch das Theater lebt. Also, der ohne Theater nicht mehr weiterleben könnte. Und hat ihn immer wieder motiviert. Das war also doch durchaus ein gegenseitiges Sich-Motivieren, hat ihn immer wieder motiviert, ein neues Stück zu schreiben, hat ihm immer wieder Regieaufträge gegeben. Man muss sich vorstellen, ich glaub, das ist vor zwei oder drei Jahren gewesen, da hat George Tabori noch einmal wieder "Nathan der Weise" inszeniert und auf eine so klare, deutliche unprätentiöse Weise, dass das ein Riesenerfolg beim Publikum noch geworden ist, dass es von der kleinen Probebühne auf das große Haus übernommen werden musste. Und diese Themen, also Schuld und wie gehe ich um mit Gnade, mit Genauigkeit gegenüber anderen Menschen, hat er in seinen Stücken ja immer wieder verhandelt. Er hat ja auch selber ein Stück über Nathan geschrieben und dieses, also dieses Fördern, dieses den wirklich alten weisen Mann seines Theaters, seines Berliner Ensembles und des deutschsprachigen Theaters immer wieder zu unterstützen und ihm neue Möglichkeiten des Arbeitens zu geben, das kann man eigentlich Claus Peymann nicht hoch genug anrechnen.

Kassel: Ich nehme das Wort "alt" auch mal in diesem Zusammenhang ernst. Seit einigen Monaten seit einem Schwächeanfall war ja Tabori in der Öffentlichkeit gar nicht mehr zu sehen. Aber zuvor, das muss man sagen, im Alter von über 90 Jahren, hat er ja noch geschrieben und inszeniert. Also wirklich ein Mann, der bis ins hohe Alter glücklich war mit seinem Theater?

Krug: Ja, das Theater war sein Leben und es war so, dass er das Grauen des Lebens mit dem Humor und mit der Verwandlung und den Einfällen des Theaters zu bewältigen suchte und es war auch so, es war wirklich anrührend, wenn man zu Interviews oder zu Proben kam. In den letzten zehn Jahren hat George Tabori ja immer in seinem großen roten Ohrensessel gesessen zu den Interviews, aber auch bei den, seinen Inszenierungen saß er an der Bühnenseite in diesem Ohrensessel und schaute zu und hörte zu. Und er war in den letzten Jahren sehr schwerhörig und auch schon nicht mehr sehr beweglich Und wenn man mit ihm redete und ihn etwas fragte, dann pflegte er nicht, auf die Frage so straight zu antworten, sondern dann fing er an, aus seinem Leben zu erzählen und immer wieder eine Anekdote, einen Witz zu haben, der aber dann plötzlich nach einiger Zeit so präzise auf das zutraf, was man ihn gefragt hatte, dass es wirklich faszinierend war. Und da merkte man, da hat einer ein so reiches Leben, aus dem er immer wieder nicht nur in seinen Inszenierungen, sondern auch in den Gesprächen mit einem ganz normalen Journalisten immer wieder abgab.

Kassel: Da haben wir den Kreis rund und sind wieder beim Lachen jetzt am Ende unseres Gesprächs. Der Theatermacher George Tabori ist gestorben gestern im Alter von 93 Jahren. Vor wenigen Stunden hat Claus Peymann das bekannt gegeben und wir haben im Deutschlandradio Kultur mit einem Mann geredet, der von Taboris ersten Arbeiten '68 bis vor wenigen Jahren immer wieder George Tabori begegnet ist und mit ihm geredet hat. Hartmut Krug, ich danke Ihnen!