Einen Tag durchatmen

Von Gerald Beyrodt · 01.10.2011
Es wirkt wie eine Provokation: einen Tag in der Woche frei zu machen, nicht erreichbar zu sein, nicht zu arbeiten. Doch darum geht es am jüdischen Schabbat und mit Abstrichen auch am christlichen Sonntag.
Die Wäsche waschen, trocknen und in den Schrank hängen, die Einkäufe erledigen, das Essen zubereiten und warm halten, die Brote backen, die Wohnung schön machen: All das erledigen Juden, bevor es am Freitagabend dunkel wird, sofern sie nach der Tradition leben. Ganz nebenbei gehen sie ihrem Beruf nach. Alles, was mit Arbeit zu tun hat, ist am Schabbat, der von Freitagabend bis Samstagabend dauert, tabu. Der Tag ist wirklich frei. Nach der Hetze in der Woche eine Atempause, die gut tut, ein Tag, an dem man nichts mehr muss. Auch Christen sollen am Sonntag nicht arbeiten, wenn auch die Regeln weniger streng sind. Schabbat und Sonntag sind freie Tage, doch sie sind viel mehr als das – sie sind heilige Tage.

Sie verordnen eine Pause von allem, was den Alltag ausmacht. Die Ruhe macht den Kopf frei, bringt die Menschen zur Besinnung, zumindest die religiöse Vorstellung. Wenn das Hirn nicht mehr gefüllt ist, mit allem, was Menschen regeln und organisieren müssen, entsteht gleichsam ein Vakuum. In dieser Lücke besteht die Möglichkeit, sich auf religiöse Inhalte zu konzentrieren. Christen und Juden würden sagen: Gott nahe zu kommen. Schabbat und Sonntag sind heilige Tage, weil sie freie Tage sind. Wie leben Christen und Juden heute Schabbat und Sonntag?

Max: "In der heutigen Welt, in der wir uns gerade als hippe Kulturmenschen und Medienmenschen, Freiberufler und so weiter bewegen, sieben Tage die Woche 24 Stunden standby, immer erreichbar, immer im Einsatz, gerade in dieser Welt ist so ein Konzept wie eben Schabbat sehr wohltuend."
Bettina: "Allein schon der Zustand, dass es sonntags morgens viel, viel leiser ist in der Stadt ist schon toll, dass die Geschäfte dann doch meistens zu haben, dass der Verkehr nur noch ein Bruchteil dessen ist, was er in der Woche ist, das ist schon klasse. Das schätze ich an Sonntag sehr."

Martin: "Sonntag ist ja der Tag der seelischen Erhebung, so steht's wohl auch im Sonn- und Feiertagsgesetz, den verbringe ich meistens mit meiner Familie und im Gottesdienst unserer Gemeinde. Was ist seelische Erhebung? Eigentlich soll man sich auf seine inneren Kräfte besinnen."

Schabbat und Sonntag sind nicht dasselbe. Der Schabbat erinnert an die Schöpfung und an den Auszug des Volkes Israel aus Ägypten. Es wäre den frühen Christen ein Leichtes gewesen, ihren heiligen Tag auf dem Schabbat zu belassen. Doch sie bezweckten mit dem Sonntag etwas anderes: Sie wollten an die Auferstehung Jesu erinnern. So stehen Schabbat und Sonntag jeweils für die wichtigsten Inhalte ihrer Religion. Beide Tage geben der Zeit einen Rhythmus: sechs Tage Arbeit, ein Tag Ruhe. Alle sieben Tage erinnern sich die Menschen an das, was in ihrer Religion wichtig ist.

In der jüdischen Tradition steht der wöchentliche freie Tag noch über den großen Festen wie dem Frühlingsfest Pessach oder der Versöhnungstag. Walter Rothschild, Landesrabbiner von Schleswig-Holstein, sagt: Der Schabbat ist wichtiger als die Feiertage.

"Nach der Tradition ja, weil es wird zuerst erwähnt, also bevor Rosch ha-Schana, bevor die Erntefest, Dankfest, Sukkot, Schawuot, Pessach, kommt Schabbat, weil es kommt so häufig vor, es ist auch besonders wichtig – nach dieser Tradition."

Wie wichtig schon die Bibel den Schabbat nimmt, zeigt sich daran, dass er an zentraler Stelle vorkommt: in der Schöpfungsgeschichte und in den Zehn Geboten. Zwei biblische Berichte erzählen davon, wie Gott die Welt erschafft. Im ersten ist nicht der Mensch die Krone der Schöpfung, sondern der Schabbat. Dort heißt es:
Da wurden vollendet der Himmel, die Erde und ihr ganzes Heer. So hatte Gott am siebenten Tage sein Werk vollendet, das Er gemacht. Er ruhte am siebenten Tage von Seinem Werk, das er gemacht. Er segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, denn an demselben ruhte Gott von allem Werk, das er erschaffen und gemacht hatte.

Am siebten Tag ruhte Gott. Man könnte auch übersetzen: Am siebten Tag gab sich er sich dem Schabbat hin. Denn das hebräische Wort für "ruhen" gehört zur selben Wortwurzel wie Schabbat. Die Bibel gibt dem Schabbat die größtmögliche Würde. Menschen feiern den Tag, weil Gott das auch tat. Erst am siebten Tag, am Ruhetag, ist das Schöpfungswerk vollendet. Zur Arbeit gehören mithin auch die Meditation und die Ruhe danach. In den Zehn Geboten wird deutlich: Am Schabbat haben ausnahmslos alle frei.

Du sollst kein Handwerk verrichten, weder du selbst noch dein Sohn oder deine Tochter, auch nicht durch dein Vieh oder durch den Fremden, der sich in deinen Toren aufhält.
Dem Rhythmus der Wochentage und des Schabbat entspricht ein Rhythmus der Jahre: Sechs Jahre lang ernten die Bauern die Felder ab. Im siebten Jahr folgt eine Pause. Das freie Jahr und der freie Tag haben einen klaren sozialen Zweck. Ein paar Seiten nach den Zehn Geboten heißt es im biblischen Buch Exodus:

Bedrücke keinen Fremden. Ihr wisst, wie Fremden zumute ist, denn ihr wart selbst Fremde in Ägypten.

Der Schabbat transportiert die Idee sozialer Gleichheit. Alle haben ein Recht, sich auszuruhen, Unterschiede nach Herkunft, Klasse oder Stand gibt es vor Gott nicht.
Rabbiner Walter Rothschild:

"In den jüdischen Tradition, in der biblischen Tradition, es gibt zwei Gründe für Schabbat, der eine ist die Schöpfung, Gott hat die Welt in sechs Äons, Perioden, Zeiten und so weiter geschaffen, die siebte ist dann eine Pause, die zweite Grund ist, wir waren einmal Sklaven, jetzt sind wir frei. Was heißt Freiheit? Wir bestimmen unsere Zeit. Wir waren in Ägypten versklavt, es gab diese Auszug aus Ägypten und daher feiern wir Schabbat. Man findet beide Gründe in unsere Kiddusch, in unsere Gebet für den Schabbattag."

Beim Kiddusch trinken Juden Wein, waschen sich rituell die Hände, essen Brot. Dazu sprechen sie Segenssprüche, die sie auch in der Woche sprechen, doch die Zeremonie ist feierlicher. Das Wort Kiddusch bedeutet: Heiligung oder auch Absonderung. Was macht den Schabbat zum heiligen, zum besonderen Tag?

Rothschild: "Heilig bedeutet nicht ganz normal. Das heißt, man muss unterscheiden zwischen normal und besonders. Wenn ich sage, dieser Tag ist für mich ein besonderer Tag, das heißt, die andere Tage haben ihre Wert, ich meine, man muss arbeiten, man muss verdienen, aber an diesem Tag mache ich etwas Besonderes daraus. Nicht mehr und nicht weniger."

Die frühe Kirche schuf sich einen eigenen Tag, den Sonntag, und grenzte sich damit vom Judentum ab. Lange Zeit feierten Christen jüdischer Herkunft neben dem Sonntag auch den Schabbat. Rainer Kampling ist katholischer Theologe an der Freien Universität Berlin:

"Der Sonntag ist schon etwas unterschieden. Wir sehen schon, dass es Unterschiede gibt. Das geht übrigens bis in die Sprache hinein."

Denn in romanischen Sprachen heißt der Sonntag bis heute Tag des Herrn: dimanche oder auch domingo vom lateinischen dominus, Herr. Und mit "Herr" ist Jesus Christus gemeint. Der Sonntag war ein Tag Jesu Christi und Tag der Auferstehung. Er enthält somit die wichtigsten Inhalte des Christentums und zugleich Inhalte, die Christen meisten von Juden unterscheiden.

Ein arbeitsfreier Tag wie der Schabbat war der Sonntag in der Antike zunächst nicht. Nach allem, was wir wissen, trafen sich die frühen Christen am Sonntag morgens und abends zu einem Gottesdienst und arbeiteten tagsüber. Zu Zeiten der Christenverfolgungen wäre es auch nicht gerade empfehlenswert gewesen, sich mit einem freien Tag öffentlich zum christlichen Glauben zu bekennen. Zudem kamen die Urchristen nicht auf die Idee, die Schabbatgebote auf den Sonntag zu beziehen. Sie legten das Gebot des freien Tages allegorisch aus: Die Pflicht, den Schabbat zu halten, bedeute für Christen, dass sie an jedem Tag einen sündlosen Lebenswandel führen sollten. Am Sonntag werde Christen die wahre Schabbatruhe geschenkt, nämlich die Vergebung. Für den Kirchenvater Augustinus, der im vierten und fünften nachchristlichen Jahrhundert lebte, bedeutet das Schabbatgebot:

Der Christ beachtet den Sabbat geistlich, indem er sich des knechtlichen Werkes enthält. Was bedeutet es nun, vom knechtlichen Werk zu lassen? Von der Sünde lassen.

Man hat den Eindruck: Der Kirchenvater kann mit dem Gebot des freien Tages wenig anfangen. Bemerkenswert ist: Augustin äußerte seine Thesen zu einer Zeit, als der Sonntag schon arbeitsfrei war. Denn im Jahr 321 hatte der römische Kaiser Konstantin eine entsprechende Verordnung erlassen:

Alle Richter, die Stadtbevölkerung und die gesamte Gewerbetätigkeit sollen am verehrungswürdigen Tag der Sonne ruhen.

Die Kirche legte damals noch keinen besonderen Wert darauf, dass der Sonntag arbeitsfrei sein sollte. In Klöstern warnten Äbte die Mönche sogar vor Müßiggang am Sonntag. Erst in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts mahnten kirchliche Verordnungen, die Sonntagsruhe einzuhalten. Als Begründung für die Sonntagsruhe wurden von jetzt an immer häufiger die Zehn Gebote herangezogen. Die Argumentation hat sich erhalten. Doch sie bringt Probleme mit sich. Denn in den Zehn Geboten ist von einem anderen Tag als vom Sonntag die Rede. So macht Luther in seinem Kleinen Katechismus aus dem Schabbat kurzerhand einen "Feiertag", den man heiligen solle.

Rainer Kampling: "Das ist wirklich ein Kniff. Das ist auch falsch. Das sehen viele protestantische Theologen auch anders, aber ich behaupte, es ist einfach eine falsche Übersetzung. Der Sabbat ist der Sabbat und nicht ein Feiertag in den Zehn Geboten, aber so hat er das dann etabliert."

In der Tat gilt im Judentum das Gebot der Arbeitsruhe an Feiertagen weniger streng als am Schabbat. Für Luther waren die Zehn Gebote " der Juden Sachsenspiegel", ein Gesetzbuch der Juden, das für Christen keine verbindliche Bedeutung mehr habe. Mose war für Luther ein "Lehrer", kein "Gesetzgeber". Als Erklärung für das Gebot der Feiertagsruhe gab Luther im Kleinen Katechismus an: "Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern dasselbe heilig halten, gerne hören und lernen."

Rainer Kampling: "Die Reformation wusste ja nicht genau, warum man den Sonntag feiern sollte."

Wer Schabbat und Sonntag vergleicht, erkennt wesentliche Charakteristika von Christentum und Judentum. Das Christentum legt starkes Gewicht auf den Glauben, das Judentum eher auf das Handeln. Während wichtige christliche Autoren mit dem siebenten Tag nur metaphorisch etwas anfangen können, besteht das Judentum darauf, dass die Arbeit am Schabbat wirklich stillsteht.

"Wichtig ist für mich, dass am Schabbat das positive Gebot im Mittelpunkt steht, dass man eben Schabbat machen soll und eben nicht die Einschränkungen im Vergleich zum üblichen normalen Tagesablauf."
… sagt die Rabbinatsstudentin Ulrike Offenberg. Die Trennung zwischen Schabbat und Woche, zwischen profan und heilig, ist vielen Juden wichtig.

Max: "Es ist so eine Art von Lebensrhythmus, die einem das bietet. Trotz allem finde ich das schön und richtig, dass man am Freitagabend sozusagen eine Zäsur setzen kann. Man muss den Schabbat ja sozusagen selber herstellen."

Der Schabbat ist durch feste Zeremonien umgrenzt und orientiert sich an den Zeiten der Sonne: Mit dem Sonnenuntergang am Freitagabend beginnt der Schabbat. Das kann je nach Jahreszeit und Ort nachmittags um 17 Uhr 03 sein oder auch spätabends um 21 Uhr 49. Heutzutage finden Juden die Zeiten bequem im Internet, und für die Nutzer von Smartphones gibt es ein eigenes App.

Diesen Segenspruch rezitiert Ulrike Offenberg jeden Freitag Abend: "Gesegnet seist du Ewiger, König der Welt, der uns durch Seine Gebote geheiligt und uns befohlen hat, das Schabbat-Licht anzuzünden."

Ulrike Offenberg findet, dass die Freude am Schabbat im Vordergrund stehen sollte. Jeder müsse selbst entscheiden, wie er mit den Verboten umgeht:

Diese Verbote sind eigentlich nur gegeben als eine Richtlinie, dass man eben aufmerksam gemacht wird: "Hier bist du schon wieder dabei, in deinen alten Rhythmus zu verfallen." Es ist ein Lernprozess, dass man selber merkt, was einem wichtig ist am Schabbat.

Für orthodoxe Juden hingegegen müssen die Gebote zwingend eingehalten werden. Daniel Fabian ist Leiter einer orthodoxen Midrascha in Berlin-Mitte, also einer Bildungseinrichtung für junge Frauen:

Im Fall von den Schabbat-Gesetzen ist es relativ eindeutig, dass diese Gesetze helfen sollen, diese bestimmte Stimmung aufrechtzuerhalten und aufzubauen. Nichtdestotrotz sagen wir nicht: Gut, dann kann man das vielleicht heute anders machen, wenn das der einzige Sinn dieser Gebote ist, ich mach das anders, ich hab eine andere Art und Weise in diese Stimmung reinzukommen, das machen wir nicht. Die Gebote sind trotzdem an sich noch Gebote und müssen auch erfüllt werden.

Schon am Mittwoch beginnen Daniel und seine Frau Daniela den Schabbat vorzubereiten. Sie kaufen ein. Daniela Fabian backt Challot – also spezielle Brote für den Schabbat, die aussehen wie ein Hefezopf. Daniel Fabian kocht das Fleisch. Am Schabbat rühren sie den Herd nicht an. Stattdessen haben sie das Essen in zugedeckten Töpfen kurz vor Schabbat auf eine spezielle Platte gestellt, die es warm hält.

Am Schabbat ist es traditionell verboten, Feuer zu machen. In der Neuzeit haben Rabbiner entschieden, dass auch das Einschalten von elektrischem Strom dem Feuermachen gleichkommt. Ein bereits entfachtes Feuer kann man am Schabbat brennen lassen – daher ist die Wärmeplatte genauso in Ordnung wie der riesige Wasserkocher mit Thermostat, der immer wieder von selbst anspringt.

Vor Schabbat schalten die Fabians nur bestimmte Lampen ein, die dann den ganzen Tag brennen. Den Schabbat vorzubereiten, finden die beiden nicht aufwändig, obwohl beide berufstätig sind. Es sei alles eine Sache der Organisation.

Daniela Fabian: "Mein Mann ist ein sehr organisierter Mensch, das färbt Gott sei dank ein bisschen auf mich ab. Und deswegen, auch eben wegen der Kinder, versuchen wir es so ruhig wie möglich zu haben, damit die Kinder auch ein gutes Gefühl haben in Verbindung mit Schabbat, dass es eine schöne Sache ist und nicht total gestresst."

Orthodoxe Juden dürfen am Schabbat nicht Auto fahren oder die U-Bahn benutzen. Der Weg zur Synagoge sei trotzdem kein Problem, sagt Daniel Fabian:

"Religiöse Juden haben die Angewohnheit, immer in großen Städten zu leben und um die Synagoge drumrum zu ziehen, damit sich dieses Problem nicht ergibt. Auto fahren, öffentliche Verkehrsmittel benutzen, um dort hinzukommen – das geht nicht. Man muss schon zu Fuß laufen."

Gleichgültig, ob es sich um liberale oder orthodoxe Juden handelt und gleichgültig, ob sie jede einzelne Regel einhalten, der Schabbat ist von zentraler Bedeutung.
Der 1972 verstorbene jüdische Religionsphilosoph Abraham Joshua Heschel betrachtete den Schabbat als eine "Kathedrale aus Zeit". Das sei umso wichtiger, da das Judentum kaum heilige Orte oder heilige Dinge kenne.

Im Schöpfungsbericht wird kein Gegenstand im Raum erwähnt, dem der Charakter der Heiligkeit zukäme. Das ist eine radikale Abkehr von den herkömmlichen religiösen Vorstellungen. Mythisches Denken würde erwarten, dass nach der Erschaffung von Himmel und Erde Gott einen heiligen Ort schaffen würde, einen heiligen Berg oder eine heilige Quelle, wo dann das Heiligtum errichtet werden soll. Jedoch kommt in der Bibel offenbar die Heiligkeit der Zeit, der Sabbat, an erster Stelle.

Der jüdischen Tradition zufolge soll der Schabbat wie ein Tag im Paradies sein. Wer traditionell lebt, muss nichts mehr tun, weil alles vorbereitet ist. Abraham Joshua Heschel schreibt:

Sechs Tage in der Woche leben wir unter der Tyrannei der Dinge des Raumes, am Sabbat versuchen wir uns einzustimmen auf die Heiligung der Zeit. An diesem Tag sind wir aufgerufen uns dem zuzuwenden, was ewig ist in der Zeit, uns dem Geheimnis der Schöpfung selbst zuzuwenden, von der Welt der Schöpfung zur Schöpfung der Welt.

Der israelische Religionswissenschaftler Admiel Kosman lehrt in Potsdam. Für ihn ist der Sinn des Schabbat vor allem: Menschen sollen aufhören, sich als Herren der Welt zu fühlen:

"Wenn wir uns an den Anfang des Buches Genesis erinnern, dann hat Gott uns die Aufgabe übertragen, die Natur zu regieren, ja, sie zu beherrschen. Aber an einem Tag in der Woche darf der Mensch die Welt nicht beherrschen, die Welt nicht gebrauchen oder missbrauchen. Am Schabbat lebt der Mensch friedlich mit der Natur und rührt sie nicht an."

39 Tätigkeiten sind am Schabbat der Mischna zufolge verboten, zum Beispiel: Tragen, Feuer anzünden und Feuer löschen, Waschen, Knoten, Nähen, Korn mahlen. Die Mischna ist ein Regelwerk, das die Rabbinen bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts nach der Zeitrechnung schrieben. Die 39 verbotenen Aktivitäten sind für Admiel Kosman die wesentlichen Tätigkeiten, die der Erhaltung des Lebens dienen:

"Das sind grundlegende Arbeiten, die Menschen ausführen würden, wenn sie zufällig auf einer einsamen Insel landen, wenn sie leben müssen wie Robinson Crusoe. Dann wird unser Hirn kreativ und fängt an, die Natur zu kontrollieren, indem wir uns ein Haus, eine Hütte bauen, uns um Kleidung kümmern, Gemüse pflanzen, jagen, Ackerbau betreiben. All diese Tätigkeiten sind nach der Mischna am Schabbat verboten. Wenn aber jemand gerne Sport treibt, den ganzen Tag rennt und schwitzt, steht dem kein Verbot entgegen."

Admiel Kosman hält den Schabbat durchaus vergleichbar mit fernöstlichen Formen der Meditation: Der Mensch stellt die Aktivität ein und gibt seinem Kopf Raum für Kontemplation. Dergestalt ist der Schabbat ein Tag des Innehaltens am Ende der Woche. Eine Ruhepause, die dazu dient, über seine Handlungen nachzudenken. Oder in den Worten von Abraham Joshua Heschel:

Ein Tag der Woche, ausgesondert für die Freiheit, ein Tag, am dem wir die Werkzeuge, die so leicht zu Waffen der Vernichtung geworden sind, nicht benutzen; ein Tag, an dem wir für uns selbst da sind, an dem wir nicht mehr die Götzen der technischen Zivilisation anbeten, an dem wir kein Geld benutzen; ein Waffenstillstand im wirtschaftlichen Kampf mit unseren Mitmenschen und mit den Kräften der Natur – gibt es irgendeine Einrichtung, die größere Hoffnung für den Fortschritt der Menschheit bereithält als der Sabbat? Die Lösung des schwierigsten Problems der Menschheit liegt nicht im Verzicht auf technische Zivilisation, sondern im Erreichen einer gewissen Unabhängigkeit von ihr.
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