Einen Bruchteil Weltuntergang miterlebt

Von Irene Meichsner · 11.05.2013
Besonders um die Abschaffung der Atomkraft war er bemüht: Robert Jungk war nicht nur Zukunftsforscher, er engagierte sich auch in der Friedensbewegung und setzte sich für alternative und nachhaltige Lebensmodelle ein. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden.
"Ich kann nicht am Boden liegen bleiben, sondern muss mich immer wieder hochrappeln, in Erwartung des nächsten Ereignisses, das mich wie so viele andere abermals umwerfen wird. Aufgeben darf ich auch dann nicht. So verlockend es wäre."

"Trotzdem": So hat Robert Jungk 1993 seine Lebenserinnerungen überschrieben. In einem Radiointerview sagte der damals 80-jährige Publizist und Zukunftsforscher:

"Ich versuche zu informieren, ich versuche anzuregen, ich versuche Bewegungen anzustoßen – das ist alles, was man tun kann. Und man muss es aber tun, auch ohne Erfolgsgewissheit, das ist es, was ich gelernt habe."

Jungk nannte sich selber einen "Seismografen", ein wandelndes "Warnsignal". Am 11. Mai 1913 als Kind einer jüdischen Künstlerfamilie in Berlin geboren, ging er schon kurz nach der nationalsozialistischen Machtergreifung ins Pariser Exil. Nach einem illegalen Deutschlandaufenthalt gründete er in Prag einen kritischen Pressedienst. Seit 1939 arbeitete er in Zürich als Journalist. Tief erschüttert über die "monströse Unmenschlichkeit" der Atombomben-Abwürfe über Hiroshima und Nagasaki fuhr Jungk in die USA. In seinem 1952 erschienenen Bestseller "Die Zukunft hat schon begonnen" warnte er vor dem "Griff nach dem Atom", dem "Griff nach der Natur", dem "Griff nach der Allmacht". Im folgenden Jahr berichtete Jungk von einem Atombombentest auf dem Testgelände von Los Alamos in Nevada:

"Das war der Ton. Das war der Ton der neuen Zeit. Ein dumpfes Brüllen. Ein fernes Brüllen. Und dazu – erst jetzt kann ich es beschreiben – ein wahnsinniges weißes Licht. Ich kann mir nicht helfen: Kein Film, kein Fernsehen, nicht einmal Erzählung, nicht einmal Worte können wiedergeben, wie es ist, wenn man einen Bruchteil Weltuntergang miterlebt."

"Heller als tausend Sonnen" hieß Jungks berühmtes Buch über den Bau der Atombombe. Er reiste nach Hiroshima und er beteiligte sich am Kampf gegen die atomare Aufrüstung – so 1959 bei einem Kongress in der Frankfurter Paulskirche, wo er eine "Europäische Charta der Hoffnung" verlas.

"Wir bekennen uns zu einer verstärkten Information und Erziehung der Öffentlichkeit in Bezug auf alle Tatsachen und Probleme der sich immer rascher entwickelnden wissenschaftlich-technischen Revolution. Deshalb kämpfen wir gegen Geheimhaltung, gegen Verschleierung und Verharmlosung der Gefahren, die sich aus diesem neuen Stand der Dinge ergeben."

Jungk wurde zum Pionier der Friedens- und Umweltbewegung. 1965 gründete er das Wiener Institut für Zukunftsfragen.

"Was wir versuchen in der Zukunftsfor¬schung, ist, dass wir uns Vorstellungen machen, wie es sein könnte, also von den wahrscheinlichen Zukünften, wie wir es nennen. Wir sagen nie: Mit Sicherheit, so wird es sein."

Zukunftsforschung bedeutete auch, nach alternativen, "sanften", humanen Technologien zu suchen. Jungk, seit 1967 österreichischer Staatsbürger, war gegen jede Form der Gewalt, verlor mit der Zeit aber selbst die Geduld. Ende 1986, dem Jahr der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, handelte er sich eine Anklage wegen Landfriedensbruch und Volksverhetzung ein. Bei einer Demonstration vor den Hanauer Atomfabriken hatte der 73-Jährige zornig erklärt:

"Wir wollen leben. Wir wollen überleben. Wir wollen eine freudige Zukunft haben. Und nicht eine Angst-Zukunft. Wir wollen die Erde bewahren, darum sind wir hier, alle, ob wir nun Gewaltfreie oder Militante sind. … Macht kaputt, was euch kaputtmacht!"
Robert Jungk, der am 14. Juli 1994 in Salzburg starb, gab die Hoffnung nie auf. Zuletzt engagierte er sich - wieder als einer der Ersten - für sogenannte Öko-Städte:

"Wir wollen anders in der Stadt leben, als es in den letzten zwanzig Jahren der Fall war, wir wollen das Auto zum Teil aus der Stadt herauswerfen. Wir wollen mehr Grün in die Stadt hineinbringen. Wir wollen mehr Ruhe, wir wollen mehr Beteiligung der Bürger an der Gestaltung der städtischen Politik haben. Das genügt natürlich nicht, aber da können Beispiele eines anderen Handelns erprobt werden, Experimente gemacht werden, an denen sich dann auch Regionen und vielleicht auch Nationen und vielleicht sogar noch größere Einheiten beteiligen könnten. Wir müssen durch Beispiel wirken!"

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