Eine ziemliche Quälerei

Von Uwe Friedrich |
Wenn sonst nichts mehr geht, geht auf der Opernbühne immer noch die Volksbühnenästhetik. Im Schauspiel ist der zweitklassige Abklatsch der Castorf-Masche zwar schon lange durch, aber auf der Opernbühne konnte der Regisseur Sebastian Baumgarten in den letzten Jahren damit noch so manchen hübschen Buhsturm entfesseln.
Man nehme: Ein Stück mit Sollbruchstellen, möglichst ein Fragment, dessen Musik über jeden Zweifel erhaben ist. Dazu werden Texte rezitiert, wie man sie in jeder soziologischen Seminararbeit eines Erstsemesters finden kann, und einige billige Witzchen auf Kosten derer gemacht, die sich nicht wehren können. Fertig ist die ungeheuer moderne Erneuerung der Gattung Musiktheater, auf die eine gelangweilte Berlin-Mitte-Gesellschaft wohl schon lange gewartet hat. So lange nur willige Dramaturgen einen pseudointellektuellen Überbau mit hübschen Schlagworten zusammenbasteln können, wird die Chose schon noch mal gut gehen. Das Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart ist ideal für diese Zwecke. Zwischen den Einzelteilen der Totenmesse lässt der Regisseur Sebastian Baumgarten durch Volksbühnen-Schauspieler Texte von sterbenskranken Patienten rezitieren, die Armin Petras und Jan Kauenhowen in Berliner Kliniken und Hospizen aufgezeichnet haben. Die sind auch im Angesicht des Todes vor allem mit ihren kleinbürgerlichen Problemen beschäftigt. Da geht es um fehlende Porzellankännchen oder den Arbeitsplatz, um kleine alltägliche Sorgen eben. Viel ist dem Regisseur dazu nicht eingefallen, also wirft der die assoziative Volksbühnenmaschine an.

Die an multipler Sklerose erkrankte Frau wird erst in die U-Bahn und dann unter eine Horde Steinzeitmenschen gejagt, ein Pappsarg wird aufgebaut und der Probelieger darin vergessen, während eines Gottesdienstes stört einer Kranken die Zeremonie. Das ist immer für einen recht billigen Lacher gut, erhellend ist es jedoch nicht. Baumgarten entwickelt kein Verhältnis zum Ritual der lateinischen Totenmesse, aus der das Requiem stammt, und so kann er auch nichts Interessantes über die Bedeutung des Trauerrituals in unserer Zeit sagen. Vor allem aber entwickelt er keine Empathie mit den Leidenden. Seht her, sagt dieser Abend, ich habe zwar nichts zum Thema zu sagen, ist aber halb so wild, wenn nur das Theatermaschinchen rund läuft. Das tut es aber schon lange nicht mehr. Vor allem, weil die Schauspieler sich nicht entscheiden können zwischen schamloser Parodie und geschmackloser Sozialschmonzette.

Und auch weil der Dirigent Markus Poschner das Werk nicht in den Griff kriegt. Nicht nur das "Confutatis" ist eine ziemlich konfuse Angelegenheit zwischen Bühne und Graben, immer wieder trägt es den Chor aus der Kurve, die Solisten (Brigitte Geller, Elisabeth Starzinger, Peter Lodahl, Dimitry Ivashchenko) sind sich selbst am nächsten und bilden kaum je ein Ensemble. Dazu kreist endlos die Drehbühne und erst viel zu spät werden die Apparate abgeschaltet. Zum Schluss war es doch nur noch eine Quälerei.