Eine wirklich wilde Geschichte
Immer wieder hat Russell Banks soziale Außenseiter in den Mittelpunkt seiner Werke gestellt und als Repräsentanten einer Epoche und Mentalität geschildert - so auch in seinem jüngsten Roman "Der weiße Schatten". Meisterhaft verzahnt der US-Schriftsteller die politischen Situationen in Amerika und Afrika.
Das ist wirklich eine wilde Geschichte: Die junge Amerikanerin Hannah gerät in den 1960er Jahren in den Sog radikaler Protestbewegungen, schließt sich einer terroristischen Organisation an, geht in den Untergrund und muss nach einem missglückten Bombenattentat die USA verlassen. Sie flüchtet nach Afrika, ins kleine Liberia, nimmt eine neue Identität an und wird die Ehefrau eines schwarzen Politikers, Woodrow Sundiata, der im Kabinett des despotisch herrschenden Präsidenten Tolbert den Rang eines Ministers bekleidet.
In den nächsten Jahren und Jahrzehnten geht Hannah durch harte Prüfungen als Weiße und als "trophy wife", sie bekommt drei Söhne, überlebt den Putsch des nächsten Potentaten, kehrt kurzzeitig in die USA zurück, um einem liberianischen Oppositionellen beim Gefängnisausbruch zu helfen - er heißt Charles Taylor, ist der spätere Präsident Liberias, der aber zunächst einen langen, blutigen Bürgerkrieg entfesselt.
Auch Hannah wird Opfer: Vor ihren Augen wird ihr Mann geköpft, ihre halbwüchsigen Söhne schließen sich den Rebellen an und werden zu berüchtigten Kindersoldaten. Und Hannah verliert ihre geliebten Schimpansen, für die sie sich im Stile einer Jane Goodall engagiert hat. Mit dem letzten Flugzeug verlässt sie Monrovia, die Hauptstadt Liberias. Nur einmal noch wird sie inkognito und illegal in das Land einreisen, um das Schicksal ihrer Kinder zu klären. Was sie darüber erfährt, raubt ihr alle Illusionen. Auf einem Video sieht sie Szenen unbeschreiblicher Gewalt, die ihr klarmachen, warum einer ihrer Söhne unter dem Kriegsnamen "Worse than death - schlimmer als der Tod" berühmt wurde.
All das erzählt die mittlerweile 63-Jährige in der Rückschau. Vom Familienerbe hat sie sich in Amerika eine Farm gekauft, die sie allein mit mehreren Frauen bewirtschaftet. Von Männern hat Hannah genug: "Ich bin allein weitergegangen, unberührt, unentmutigt, unverheiratet, eine Frau, deren Wesenskern ein weißer Schatten ist ..."
In seinem nunmehr zehnten Roman beweist Russell Banks erneut, warum er in den USA zu den renommiertesten Schriftstellern zählt. Der 1940 geborene Autor ist vielfach mit Preisen ausgezeichnet worden, mehrere Bücher wurden verfilmt. Immer wieder hat er soziale Außenseiter in den Mittelpunkt seiner Werke gestellt und als Repräsentanten einer Epoche und Mentalität geschildert. Meisterhaft verzahnt der Autor die politischen Situationen in Amerika und Afrika.
In Hannahs jugendlicher Rebellion werden die 60er Jahre lebendig, in Afrika verliert sie ihren Glauben an jede Utopie, wird sie Zeugin und Teil einer raubkapitalistischen Unterdrückungspolitik, die das kleine Liberia zum Spielball individuellen Machthungers und der Gier globaler Konzerne macht. Russell Banks ist bekannt für intensive Recherchen, und so ist sein Buch mit den vielen authentischen Figuren der Zeitgeschichte zugleich ein historischer Roman über eine politische Entwicklung, die bis in unsere Tage reicht. Und seine Heldin Hannah, die sich oft so entwurzelt, schwach und missbraucht fühlt, wird in Banks‘ mitreißender Schilderung zu einer der stärksten Frauengestalten der modernen amerikanischen Literatur.
Russell Banks, Der weiße Schatten
Aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz.
Verlag Luchterhand, München 2006, 512 Seiten
In den nächsten Jahren und Jahrzehnten geht Hannah durch harte Prüfungen als Weiße und als "trophy wife", sie bekommt drei Söhne, überlebt den Putsch des nächsten Potentaten, kehrt kurzzeitig in die USA zurück, um einem liberianischen Oppositionellen beim Gefängnisausbruch zu helfen - er heißt Charles Taylor, ist der spätere Präsident Liberias, der aber zunächst einen langen, blutigen Bürgerkrieg entfesselt.
Auch Hannah wird Opfer: Vor ihren Augen wird ihr Mann geköpft, ihre halbwüchsigen Söhne schließen sich den Rebellen an und werden zu berüchtigten Kindersoldaten. Und Hannah verliert ihre geliebten Schimpansen, für die sie sich im Stile einer Jane Goodall engagiert hat. Mit dem letzten Flugzeug verlässt sie Monrovia, die Hauptstadt Liberias. Nur einmal noch wird sie inkognito und illegal in das Land einreisen, um das Schicksal ihrer Kinder zu klären. Was sie darüber erfährt, raubt ihr alle Illusionen. Auf einem Video sieht sie Szenen unbeschreiblicher Gewalt, die ihr klarmachen, warum einer ihrer Söhne unter dem Kriegsnamen "Worse than death - schlimmer als der Tod" berühmt wurde.
All das erzählt die mittlerweile 63-Jährige in der Rückschau. Vom Familienerbe hat sie sich in Amerika eine Farm gekauft, die sie allein mit mehreren Frauen bewirtschaftet. Von Männern hat Hannah genug: "Ich bin allein weitergegangen, unberührt, unentmutigt, unverheiratet, eine Frau, deren Wesenskern ein weißer Schatten ist ..."
In seinem nunmehr zehnten Roman beweist Russell Banks erneut, warum er in den USA zu den renommiertesten Schriftstellern zählt. Der 1940 geborene Autor ist vielfach mit Preisen ausgezeichnet worden, mehrere Bücher wurden verfilmt. Immer wieder hat er soziale Außenseiter in den Mittelpunkt seiner Werke gestellt und als Repräsentanten einer Epoche und Mentalität geschildert. Meisterhaft verzahnt der Autor die politischen Situationen in Amerika und Afrika.
In Hannahs jugendlicher Rebellion werden die 60er Jahre lebendig, in Afrika verliert sie ihren Glauben an jede Utopie, wird sie Zeugin und Teil einer raubkapitalistischen Unterdrückungspolitik, die das kleine Liberia zum Spielball individuellen Machthungers und der Gier globaler Konzerne macht. Russell Banks ist bekannt für intensive Recherchen, und so ist sein Buch mit den vielen authentischen Figuren der Zeitgeschichte zugleich ein historischer Roman über eine politische Entwicklung, die bis in unsere Tage reicht. Und seine Heldin Hannah, die sich oft so entwurzelt, schwach und missbraucht fühlt, wird in Banks‘ mitreißender Schilderung zu einer der stärksten Frauengestalten der modernen amerikanischen Literatur.
Russell Banks, Der weiße Schatten
Aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz.
Verlag Luchterhand, München 2006, 512 Seiten