Eine westdeutsche Affäre?
Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges saß in Westdeutschland außer Rudolf Hess kein politisch motivierter Verbrecher so lange in Haft wie Christian Klar. Selbst Hitlers Rüstungsminister Albert Speer, den der britische Geheimdienst als genialen Organisator der deutschen Kriegswirtschaft zum gefährlichsten Nazi nach Adolf Hitler eingestuft hatte, kam 21 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder auf freien Fuß. Speer, der politische Schreibtischtäter, hat beim Töten keine Hand angelegt.
Zum Glück saßen in Nürnberg Juristen der so genannten "Siegerjustiz" und nicht westdeutsche Instanzen über ihn zu Gericht. Im Sinne der jüngsten bundesdeutschen Rechtsprechung hätte er mit ähnlicher Milde rechnen können wie SED-Politbüromitglieder, die den Schießbefehl und das DDR-Grenzregime zu verantworten hatten. Den befehlsausführenden Mauermördern ist es noch besser ergangen als ihren Befehlsgebern. Keiner, der an der Westgrenze der DDR unbewaffnete Flüchtlinge heimtückisch hinterrücks erschossen hat, ist nach der Wiedervereinigung zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt worden.
Christian Klar war ein gemeiner und erbarmungsloser Killer. Aber er konnte seine Morde nur begehen, weil ihn die Unterstützung west- und ostdeutscher Helfer dazu in die Lage versetzt hat. Die RAF existierte zum Zeitpunkt, als Christian Klar sich ihr anschloss, nicht im luftleeren Raum. Einer Allensbach-Umfrage zufolge sympathisierte 1972 jeder vierte Westdeutsche unter 30 mit der RAF.
Die im Gefängnis einsitzenden Führungskräfte der ersten Generation um Ulrike Meinhof und Andreas Baader wurden von bekannten Linksanwälten verteidigt, die mit ihren damaligen öffentlichen Propagandareden jungen Heißspornen wie Christian Klar die Argumente für den unversöhnlichen Kampf gegen Staat und Justiz an die Hand gaben. Mancher, der damals das Feuer schürte, gehörte am Ende des 20. Jahrhunderts zur Prominenz der Berliner Republik, Journalisten, Abgeordnete und Minister inklusive.
Das ist die westdeutsche Seite der Medaille. Aber die RAF war keine westdeutsche Affäre. Die RAF war eine Spätgeburt der Weltbürgerkriege des 20. Jahrhunderts. Die interessierten Dritten, die den schießenden westdeutschen Kommunisten jahrelang das logistische Hinterland sicherten, saßen an der Spitze einer regierenden kommunistischen Partei. Das war die ostdeutsche Seite der Medaille.
Ohne Unterstützung des Ministeriums für Staatssicherheit hätte die erste Generation der RAF ihre Rückkehr aus den palästinensischen Ausbildungslagern nach Westdeutschland gar nicht bewerkstelligen können. Die Stasi gewährte den westdeutschen Terroristen bis in die achtziger Jahre hinein nicht nur verdeckte Ein- und Ausreisen, sie ermöglichte ihnen nach Anschlägen via DDR die Flucht in Dritte-Welt-Länder, fälschte Pässe und gab ihnen wenn nötig auch Reisegeld mit auf den Weg.
Christian Klar und Genossen absolvierten auf Übungsplätzen der Nationalen Volksarmee eine von Stasi-Ausbildern angeleitete Schieß- und Sprengausbildung. Keiner der Verantwortlichen für diese ost-westdeutsche Waffenbrüderschaft ist nach der Wiedervereinigung für diese Beihilfe zum Mord belangt worden.
Es geht nicht um Gnade. Es geht auch längst nicht mehr um Recht. Der Bundespräsident mag entscheiden, wie er es für richtig hält. Die Verhältnismäßigkeit von Schuld und Sühne ist im Fall Christian Klars ohnehin nicht gegeben. Betrachtet man sein Schicksal im Kontext der Mitverantwortung seiner west- und ostdeutschen Weggefährten und Wegbereiter, so greift nicht einmal mehr das Argument, der Strafgefangene zeige mangelnde Reue. In diesem Sinne ist Christian Klar ein deutscher Täter - angefüllt mit Selbstmitleid, den Angehörigen seiner Opfer gegenüber voller Gefühlskälte und ohne jede Scham.
Man wird ihn freilassen, wie andere Mörder auch. Bewährte Helfer stehen schon bereit. Weggefährten im weitesten Sinne. Claus Peymann, der 1975 unter Theaterleuten eine Geldsammlung für den Zahnersatz von Gudrun Ensslin organisiert hat, will Klar als Bühnenarbeiter im Berliner Ensemble beschäftigen und auch Volker Schlöndorff, seinerzeit Beirat eines Rechtshilfefonds für einsitzende RAF-Leute, will helfen. Aber warum schweigen all die anderen ehemaligen Freunde und Bewunderer, die heute eine wohl behütete bürgerliche Existenz führen?
Jochen Staadt, 1950 in Bad Kreuznach geboren, lebt seit 1968 in Berlin. Nach dem Studium der Germanistik und Politischen Wissenschaft an der Freien Universität promovierte er mit einer Arbeit über DDR-Literatur. Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen und internationalen Studenten- und Jugendbewegung der 60er Jahre, zur DDR- und SED-Geschichte, zu Spionage in Ost und West sowie zur Beziehungsgeschichte zwischen beiden deutschen Staaten. Staadt ist Projektleiter beim Forschungsverbund SED-Staat an der FU und Autor der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung'. Jüngste Veröffentlichung: "Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem kubanischen MININT".
Christian Klar war ein gemeiner und erbarmungsloser Killer. Aber er konnte seine Morde nur begehen, weil ihn die Unterstützung west- und ostdeutscher Helfer dazu in die Lage versetzt hat. Die RAF existierte zum Zeitpunkt, als Christian Klar sich ihr anschloss, nicht im luftleeren Raum. Einer Allensbach-Umfrage zufolge sympathisierte 1972 jeder vierte Westdeutsche unter 30 mit der RAF.
Die im Gefängnis einsitzenden Führungskräfte der ersten Generation um Ulrike Meinhof und Andreas Baader wurden von bekannten Linksanwälten verteidigt, die mit ihren damaligen öffentlichen Propagandareden jungen Heißspornen wie Christian Klar die Argumente für den unversöhnlichen Kampf gegen Staat und Justiz an die Hand gaben. Mancher, der damals das Feuer schürte, gehörte am Ende des 20. Jahrhunderts zur Prominenz der Berliner Republik, Journalisten, Abgeordnete und Minister inklusive.
Das ist die westdeutsche Seite der Medaille. Aber die RAF war keine westdeutsche Affäre. Die RAF war eine Spätgeburt der Weltbürgerkriege des 20. Jahrhunderts. Die interessierten Dritten, die den schießenden westdeutschen Kommunisten jahrelang das logistische Hinterland sicherten, saßen an der Spitze einer regierenden kommunistischen Partei. Das war die ostdeutsche Seite der Medaille.
Ohne Unterstützung des Ministeriums für Staatssicherheit hätte die erste Generation der RAF ihre Rückkehr aus den palästinensischen Ausbildungslagern nach Westdeutschland gar nicht bewerkstelligen können. Die Stasi gewährte den westdeutschen Terroristen bis in die achtziger Jahre hinein nicht nur verdeckte Ein- und Ausreisen, sie ermöglichte ihnen nach Anschlägen via DDR die Flucht in Dritte-Welt-Länder, fälschte Pässe und gab ihnen wenn nötig auch Reisegeld mit auf den Weg.
Christian Klar und Genossen absolvierten auf Übungsplätzen der Nationalen Volksarmee eine von Stasi-Ausbildern angeleitete Schieß- und Sprengausbildung. Keiner der Verantwortlichen für diese ost-westdeutsche Waffenbrüderschaft ist nach der Wiedervereinigung für diese Beihilfe zum Mord belangt worden.
Es geht nicht um Gnade. Es geht auch längst nicht mehr um Recht. Der Bundespräsident mag entscheiden, wie er es für richtig hält. Die Verhältnismäßigkeit von Schuld und Sühne ist im Fall Christian Klars ohnehin nicht gegeben. Betrachtet man sein Schicksal im Kontext der Mitverantwortung seiner west- und ostdeutschen Weggefährten und Wegbereiter, so greift nicht einmal mehr das Argument, der Strafgefangene zeige mangelnde Reue. In diesem Sinne ist Christian Klar ein deutscher Täter - angefüllt mit Selbstmitleid, den Angehörigen seiner Opfer gegenüber voller Gefühlskälte und ohne jede Scham.
Man wird ihn freilassen, wie andere Mörder auch. Bewährte Helfer stehen schon bereit. Weggefährten im weitesten Sinne. Claus Peymann, der 1975 unter Theaterleuten eine Geldsammlung für den Zahnersatz von Gudrun Ensslin organisiert hat, will Klar als Bühnenarbeiter im Berliner Ensemble beschäftigen und auch Volker Schlöndorff, seinerzeit Beirat eines Rechtshilfefonds für einsitzende RAF-Leute, will helfen. Aber warum schweigen all die anderen ehemaligen Freunde und Bewunderer, die heute eine wohl behütete bürgerliche Existenz führen?
Jochen Staadt, 1950 in Bad Kreuznach geboren, lebt seit 1968 in Berlin. Nach dem Studium der Germanistik und Politischen Wissenschaft an der Freien Universität promovierte er mit einer Arbeit über DDR-Literatur. Veröffentlichungen zur Geschichte der deutschen und internationalen Studenten- und Jugendbewegung der 60er Jahre, zur DDR- und SED-Geschichte, zu Spionage in Ost und West sowie zur Beziehungsgeschichte zwischen beiden deutschen Staaten. Staadt ist Projektleiter beim Forschungsverbund SED-Staat an der FU und Autor der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung'. Jüngste Veröffentlichung: "Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem kubanischen MININT".