Eine weltweite, für jeden zugängliche Plattform

Rezensiert von Georg Gruber |
Die Globalisierung schreitet immer weiter voran - doch, was bedeutet das konkret? Die Welt wird eingeebnet, sagt Thomas Friedman, ein renommierter amerikanischer Journalist und Pulitzer-Preisträger. In seinem Buch "Die Welt ist flach" betrachtet er die Globalisierung als Herausforderung, der sich jeder einzelne stellen muss.
Die Globalisierung ist ein Prozess, der, einmal in Gang gekommen, sich immer weiter fortsetzen wird. Dagegen anzukämpfen: zwecklos. Sinnvoller ist es, sich dieser gesellschaftlichen Umwälzung zu stellen, so Thomas Friedman. Denn dem Globalisierungssog kann sich sowieso niemand entziehen. "Das ist keine Übung", warnt der amerikanische Journalist und Pulitzer-Preisträger in seinem nun auf Deutsch erschienen Buch "Die Welt ist flach", das sich allein in den USA über 1,5 Millionen Mal verkaufte. Was sicher auch an seiner Art zu schreiben liegt: Geschickt mischt Friedman Analyse und Reportage, sein Buch ist unterhaltsam und für jedermann verständlich - auch wenn er an manchen Stellen etwas weitschweifig wird.

"Die Arbeit steht nie mehr still – an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr läuft sie weiter, denn irgendwo auf er flachen Welt ist immer ein Spezialist gerade aufgestanden. Und all das ist so ungeheuer schnell passiert, innerhalb der letzten zwei, drei Jahre." Deutlich wird: Da hat einer etwas entdeckt, nämlich dass die alte Welt noch mehr aus den Fugen geraten wird, als erwartet – und Friedman ist davon fasziniert, das ist zu spüren. Er ist ein vehementer Verfechter des weltweiten Freihandels. Globalisierung ist für ihn nichts Negatives. Vor allem durch technische Innovationen und die neuen Kommunikationsmöglichkeiten wird die Welt immer weiter schrumpfen, so seine Vision, immer flacher werden. Ein Prozess, der 1989 mit dem Fall der Mauer einsetzte, als sich Fenster für ganz neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit öffneten und in den 90er Jahren an Geschwindigkeit zunahm: durch Windows und den Browser Netscape, durch die das Internet sich erst zu dem entwickeln konnte, was es heute ist. Eine weltweite, für jeden zugängliche Plattform, die alte Hierarchien in Frage stellt. Arbeitsprozesse werden soweit zerlegt, dass die einzelnen Schritte immer genau dort erledigt werden können, wo sie am wenigsten kosten. So entstehen weltweite Wertschöpfungsketten. Und was wir jetzt erleben, ist erst der Anfang einer Epoche, "in der wir die Digitalisierung, Virtualisierung und Automatisierung nahezu aller Vorgänge erleben werden." Nur jene Länder, Unternehmen und Individuen, die sich die neuen technologischen Möglichkeiten zu nutze machen, werden gewaltige Produktionsfortschritte erleben.

Friedman hat sich für sein Buch auf die Reise gemacht, zu den Orten, wo jetzt gerade Geschichte gemacht wird: nach Indien, nach China. Dass dort Call-Center und Software-Schmieden stehen, ist keine neue Entdeckung. Friedman kann durch diese Beispiele aber doch noch einmal zeigen, wie sehr sich die Welt schon eingeebnet hat. Die Globalisierung trifft nicht nur die Unternehmen, sondern letztlich alle Individuen, die sich auf dem Markt behaupten müssen: "Jeder junge Amerikaner muss sich bewusst sein, dass er mit jungen Chinesen, Brasilianern, Indern konkurriert."

Friedman ist von einem optimistischen Fortschrittsglauben beseelt. Die weltweiten Wertschöpfungsketten werden, so glaubt er, die Welt friedlicher machen, denn militärische Konflikte hätten Umsatzeinbußen zur Folge. Kapital ist beweglich, sucht sich sofort sichere Orte. Und er hofft, dass die Amerikaner, wenn sie sich nur anstrengen, weiter die Nase vorn haben werden und Dinge erfinden, die in Zukunft relevant sein werden. Diese Hoffnung widerspricht aber letztlich dem, was Friedman selbst beschreibt, dass es eigentlich nur eine Frage der Zeit ist, wann auch die wichtigen Innovationen aus den Staaten kommen, die bisher weitgehend Dienstleister und abhängig Ausführende sind, also aus Indien und China.

Friedman ist so klug, darauf hinzuweisen, dass die Welt noch überhaupt nicht so flach ist, wie sie scheint, wenn man nur Indien und China im Fokus hat – und auch da sind es ja nur Teile der Bevölkerung, die von der Einebnung profitieren können. Immer noch gibt es genügend Länder und Regionen, die noch nicht die Infrastruktur haben, um einsteigen zu können in die rotierende Globalisierungsmaschine. Und Friedman weist auch darauf hin, dass eine technische Entwicklung wie das Internet, das weltweite Kommunikation und Zusammenarbeit ermöglicht, nicht per se gut ist: Die Feinde der "flachen Welt", im Fokus hat er besonders die islamistischen Terroristen, nutzen dieselben modernen Technologien wie die Profiteuere der Globalisierung.

Mit "Die Welt ist flach" hat Friedman eine beeindruckende Analyse vorgelegt: Schritt für Schritt gelingt es dem Autor, die Faktoren zu isolieren und zu beschreiben, die die Globalisierung ermöglicht haben und vorantreiben. Nicht jeder wird ihm folgen wollen, wenn er sich mit den Konsequenzen auseinandersetzt: Wie kann man als einzelner bestehen in dieser flachen Welt, in der der Staat letztlich keinen Schutz mehr vor den Marktkräften bieten kann? Der einzelne ist auf sich selbst zurück geworfen. "Um als Individuum in einer flachen Welt erfolgreich zu sein, muss man wissen, wie man unantastbar wird." Unantastbar wird man, folgt man Friedmans Argumentation, wenn man sich einen Job sucht, der nicht ausgelagert, digitalisiert oder automatisiert werden kann. "Man darf niemals rasten, weil irgendwo da draußen ein Konkurrent ist, der nicht rastet." Eine provozierende These: survival of the fittest – so heißt das Lebensmotto für das 21. Jahrhundert.

Aufgabe des Staates kann es da nur noch sein, die Individuen zu stärken. "Mit der Einebnung der Welt ist der alte Gesellschaftsvertrag in Fetzen gerissen worden. Was Staaten den Menschen heute garantieren können und müssen, ist die Möglichkeit, ihre individuelle Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern." Vor allem durch Bildungsangebote. Und durch Visionen. So wie Kennedy einen Mann zum Mond schicken wollte, ist es Friedmans Traum, dass jeder Amerikaner eine Universität besuchen kann. Die Welt wird flach und trotzdem wird alles gut - um diese Vision zu teilen, muss man schon sehr viel Optimismus aufbringen. Trotzdem: Sein Buch enthält wichtige Denkanstöße, auch für diejenigen, die der Globalisierung kritischer gegenüber stehen.

Thomas L. Friedman: Die Welt ist flach. Eine kurze Geschichte des 21. Jahrhunderts
Übersetzt von Michael Bayer, Hans Freundl, und Thomas Pfeiffer
Suhrkamp Verlag
712 Seiten, 26,80 Euro