Eine Wanderung ins Blaue hinein

Von Knut Cordsen · 17.02.2013
Der neue Gedichtband von Hans Magnus Enzensberger, den er gemeinsam mit dem Bildkünstler Jan Peter Tripp und der Gestalterin Justine Landat veröffentlicht hat, trägt einen ebenso verspielten wie rätselhaften Titel "Blauwärts".
"Naja, Moment mal. Also die Farbe Blau hat ja viele Konnotationen und das ist bis heute besonders in der deutschen Tradition so. Ich meine, die blaue Blume, das ist doch nichts Neues. Ich sehe natürlich davon ab, hier von einer Blume zu sprechen, sondern ‘blauwärts‘ ist ja ein Wort, das es gar nicht gibt. Es gibt ‘vorwärts‘ und ‘rückwärts‘ und einige andere Wörter mit ‘-wärts‘, aber ‘blauwärts‘ gibt es nicht, das heißt, es enthält ja auch - wenn Sie so wollen, ich will mich da gar nicht weiter ausbreiten - aber es enthält eine gewisse Dynamik."

Es ist eine Wanderung ins Blaue hinein, die Hans Magnus Enzensberger, der ironische Romantiker, zusammen mit zwei anderen unternommen hat. Sein neuer Gedichtband ist schon dem Untertitel nach "Ein Ausflug zu dritt". 51 luziden Gedichten Hans Magnus Enzensbergers sind korrespondierend Gemälde des Malers Jan Peter Tripp beigestellt und in Szene gesetzt, inszeniert hat das Ganze die französische Gestalterin Justine Landat. Poesie, mise-en-page mal ganz anders.

"Diese Idee der Inszenierung kam von dem Lektor von Enzensberger. Ja, okay, am Anfang fand ich das ein wenig übertrieben, denn ohne die Texte von Enzensberger und ohne die Bilder von Tripp bin ich winzig klein. Und das war einfach so, die haben mir beide carte blanche gegeben, ich konnte damit machen was ich wollte, und da sollte man schon diesen Spaziergang-Effekt finden. Mit Pause, Steigerung, wieder Ruhe, mit Rhythmus, Melodie, und da waren die beiden Herren ziemlich locker."

Enzensberger besingt die Intelligenz der Pflanzen

Locker, leicht und beschwingt kommt dieser literarisch-malerische Ausflug selbdritt daher. So sieht es auch der im Elsaß lebende Jan Peter Tripp, der Enzensberger einst über den gemeinsamen Freund W.G. Sebald kennenlernte:

"Also die Leichtigkeit war sicher ein großer Aspekt, auch in der Komposition des Buches, die Leichtigkeit, die Entschleunigung. Was ich nachträglich, wo das Buch fertig ist, als sehr angenehm empfinde, das ist, dass die Bebilderung tatsächlich zu einer Entschleunigung der Gedichte führt. Also ich bin da ein schlechter Leser, Gedichtbände, die lese ich in einem Zug durch, gleichwohl wissend, dass das eigentlich ein Verbrechen ist, dass man das mit Gedichten gerade nicht macht, und ich finde, dieses Buch jetzt, ‘Blauwärts‘ hat so retardierende Momente, die mir gut gefallen und den Texten vor allem gut tun."

Jan Peter Tripp hat Enzensberger einmal porträtiert - mit vier statt zwei Händen. Ein Bild, das unmittelbar einleuchtet - so gelenkig, so agil und mit vielerlei gleichzeitig beschäftigt präsentiert sich Hans Magnus Enzensberger auch in seinem 84. Lebensjahr: Besingt "Die Intelligenz der Pflanzen" und stimmt ein botanisches Loblied auf die "Spore" an, schreibt komische Terzinen über das Leben auf dem Lande in Niederbayern und betrachtet Alltagsgegenstände wie zum Beispiel die Seife.

Die Seife
"Wie stolz sie war, wie üppig sie anfangs
geduftet hat! Durch wie viele Hände
sie gegangen ist, wie entsagungsvoll
sie gedient hat, und immer von neuem
war da der Dreck. Unbefleckt
ist sie geblieben. Klaglos
hat sie sich selber verzehrt. So ist sie immer kleiner und kleiner
geworden, unmerklich, dünn
beinahe durchsichtig, bis sie eines Morgens
vollkommen verschwunden war."


Auch den Entdeckern des Higgs-Bosons, des so genannten Gottesteilchens widmet Enzensberger ein Gedicht, dem Komponisten Franz Berwald und dem "glücklichen Augenblick, / wenn wir für eine lange Weile / ohne Nachrichten sind".

"Wissen Sie, es gibt ja Spezialisten in der Poesie, es gibt den Gesellschaftskritiker, den Naturdichter, den Liebesdichter und so weiter, das sind ja alles Spezialisten. Ich halte mich nicht daran, ich bin ja kein Spezialist, ich finde, die Poesie ist ein Allesfresser, und das kann doch von allem möglichen handeln, auch von der Wissenschaft. Es kann Gedichte über wissenschaftliche Fragen geben, über ein Verbrechen, über eine Kleinigkeit, geht doch alles, über einen Affekt, über eine Wut, das ist alles möglich."

"Gusseiserne Gemütlichkeit" kann man schwer kaputt machen

Apropos Wut - die ist bei Enzensberger noch lange nicht verraucht. So zeiht er die modernen Architekten in einer lyrischen Zornesaufwallung, einem hübschen Pasquill, nichts anderes als die "staatlich geprüften Würgengel der Städte" zu sein ...

"Bulldozer-Könige, Anbeter der Hässlichkeit,
Terroristen des rechten Winkels, Idealisten der Unbewohnbarkeit.
Farbenblinde Käfigbauer,
stumpfsinnig wie ein Mondrian."


Ansonsten aber regiert Gelassenheit die neuen Gedichte Enzensbergers. Er rühme sich heute "seiner gusseisernen Gutmütigkeit", erklärt der Dichter am Ende von "Blauwärts". Ist das seine Umschreibung von Altersmilde?

"Naja, das Gusseiserne an der Gutmütigkeit ist natürlich auch ... gusseisern ist ja ziemlich widerstandsfähig. Also das kann man auch schwer kaputt machen. Und ich meine, in unseren Berufen, in denen wir uns da in der Sphäre der Öffentlichkeit bewegen, da ist es ja nicht schlecht, wenn man sich ein Minimum an Unverwundbarkeit sich zulegt, denn die empfindlichen Leute, die leiden dann immer, weil irgendjemand dann wieder in einer Zeitschrift oder Zeitung irgendetwas über sie geschrieben hat, dann sind sie beleidigt, und das kann ich mir nicht leisten. Also das ist ungesund, beleidigt zu sein, das kann ich mir nicht leisten."
Hans Magnus Enzensberger gilt als eine der wichtigsten Personen des literarischen Lebens in Deutschland nach dem 2.Weltkrieg.
Hans Magnus Enzensberger gilt als eine der wichtigsten Personen des literarischen Lebens in Deutschland nach dem 2.Weltkrieg.© picture alliance / dpa / Erwin Elsner
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