Eine Vorliebe für Vivaldi

Von Julia Eikmann · 25.08.2011
Die Veröffentlichungen der 30-jährigen Cellistin Sol Gabetta landeten in den deutschen Klassik-Charts. Seit ein paar Jahren veranstaltet die gebürtige Argentinierin ein Kammermusikfestival in ihrer Wahlheimat Schweiz. In der kommenden Saison wird sie als Artist in Residence beim Konzerthaus-Orchester in Berlin gastieren.
"Die Geige war für mich einfach nicht so homogen, wie dann das Cello gewesen ist. Das Cello hatte so eine Tiefe, so eine Grundlage irgendwie."

Mit geschlossenen Augen wiegt Sol Gabetta sich und ihr Cello zu den Klängen von Vivaldi. Das blonde Haar hat die zierliche Musikerin zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen. Sie trägt eine luftige weiße Bluse. Die anderen Mitglieder der Capella Gabetta haben zum Einspielen für das abendliche Konzert in der Dresdner Frauenkirche Schwarz gewählt.

Antonio Vivaldi hat die eigensinnige Musikerin schon von klein auf begleitet. Sie ist gerade vier Jahre alt, vielleicht sogar ein bisschen jünger, als die Tochter einer Französin und eines Argentiniers im heimischen Córdoba unbedingt einen musikalischen Kindergarten besuchen will. Zur Aufnahmeprüfung soll sie etwas vorsingen.

"Aber ich wollte mich nicht vorbereiten mit einem Kinderlied oder einem Weihnachtslied. Ich fand das damals eigentlich ein bisschen zu einfach, zu dumm, mit Mama das zu üben."

Schließlich übt ihr großer Bruder seinerzeit täglich das a-Moll Violinkonzert von Vivaldi auf seiner Geige. Andrés ist damals etwa acht Jahre alt und nicht nur großer Bruder, sondern auch großes Vorbild von Sol Gabetta.

"Dann kam dieser Tag von der Prüfung, und alle Kinder waren innerhalb von zwei Minuten raus aus dem Prüfungszimmer. Und ich bin einfach zehn Minuten lang drin geblieben. Und alle Mütter haben meine Mutter gefragt, was macht Deine Tochter, was hast Du mit ihr gelernt? Und meine Mutter hat gesagt, ich habe keine Ahnung, ich habe gar nicht mit ihr gelernt, weil sie gesagt hat, sie weiß schon, was sie singen wird. Und dann kam natürlich raus, dass ich tatsächlich von A bis Z wirklich die drei Sätze vom a-Moll Violinkonzert vorgesungen habe."

Einen starken Willen hat die 1981 geborene Sol Gabetta, jüngste von vier Geschwistern, schon immer.

"Ich glaube nicht, dass ich sehr selbstbewusst war. Aber ich war ein sehr sicheres Kind."

Auch durch die Stabilität in der Familie. Die Temperamente des Vaters, eines Ökonomen, und der Mutter, einer Pianistin, haben sich gut ausgeglichen. Beide waren immer für ihre Kinder da. Und haben sie ermuntert, ihren eigenen Weg im Leben zu finden.

"Aber dass sie auch selber die Verantwortung sehr jung übernehmen, egal, was sie auswählen, dass man es einfach ernst macht. Man macht nicht einfach eine Sache nur als Spaß, und dann lässt man es auf der Seite, und dann findet man eine neue, und dann lässt man es auf der Seite. Weil man dann natürlich nie die Lust entwickelt, für etwas zu arbeiten, für etwas zu kämpfen, das man erreichen will."

Für ihr Instrument, das Cello, hat Sol Gabetta gekämpft. Die Geige, die ihr Bruder bereits so gut beherrschte, kam für das kleine Mädchen mit den großen Zielen nicht in Frage.

"Ich wollte zuerst ein größeres Instrument haben, einfach ein größeres Instrument, egal was. Dann haben sie mir vorgeschlagen, eine Bratsche als Vorbereitung für das Cello zu nehmen. Welches für mich aber gar nicht attraktiv war! Erstens, weil die Bratsche kaum größer ist als eine Geige. Und zweitens, weil der Klang von der Bratsche war viel zu arm im Vergleich zu einem kleinen Cello!"

Aber auf ein Cello, auf das die Kinderhände der kleinen Sol passen, muss sie warten. Es gab offenbar in ganz Argentinien keins. Nach einem halben Jahr gelingt es, ein Instrument aus Tokio einzufliegen. Allerdings kein Viertel-, sondern ein Halbes-Cello. Eigentlich zu groß für die Viereinhalbjährige.

"Aber mir war es egal, ich wollte dieses Cello spielen. Und so habe ich angefangen zu spielen, aber die Beine waren viel zu kurz für das Cello, es hat natürlich überhaupt nicht gepasst. Ich habe praktisch einen Kontrabass gespielt, aber es war egal. Der Klang vom Cello war da."

Was Sol Gabetta erreichen will, so scheint es, erreicht sie auch. Schon als Teenager, die Familie wohnt mittlerweile in Frankreich, will sie in die Schweiz umziehen. Inzwischen lebt sie dort, bewohnt mit ihrem Freund ein Haus in der Nähe von Basel. Auch den Traum, mit ihrem Bruder Andrés gemeinsam auf der Bühne zu stehen, hat sie sich erfüllt. In der Capella Gabetta übernimmt er die Leitung.

"Das ist schon unglaublich, mit einem Bruder zusammen zu spielen. Wir müssen nicht unbedingt uns extra anschauen, oder etwas extra ausmachen. Wir kennen uns musikalisch. Und das ist schon unglaublich. Also man merkt, dass wir zusammen früher schon viel gemacht haben. Und das kommt plötzlich so wie eine Blume raus."

Sol Gabetta lacht, die braunen Augen strahlen. Sie macht ihrem Namen, Sol, die Sonne, alle Ehre. Einen Namen, den die Mutter nicht zufällig wählte. Das Zwillingspaar, das vor Sol auf die Welt kam, ist früh gestorben.

"Und nach diesen Zwillingen wollte mein Vater keine Kinder mehr. Weil das Risiko schon zu groß war. 'Es ist zu viel passiert', hat er gesagt. Und er hatte recht, ich hätte auch Angst gehabt. Aber meine Mutter war tatsächlich sehr stark und sie hat gesagt: 'Auf keinen Fall beenden wir die Familie so. Ich will noch einmal ein Kind haben, und wenn es ein Mädchen ist, dann soll sie Sol heißen, weil es die Sonne ist, die wieder nach Hause kommt.'"


Service:
Am 25. August kann man Sol Gabetta live im Berliner Konzerthaus erleben, wo sie als künftiger Artist in Residence die Saison eröffnet. Die neue CD mit Stücken von Vivaldi, die sie mit der Capella Gabetta aufgenommen hat, erscheint im September.