"Eine völlig neue Entwicklung"
Der Journalist Klaus Heymach hat über ein Jahr im Jemen gelebt. Er habe die Menschen dort als offen und gastfreundlich kennengelernt, sagte Heymach. Die jüngsten Fälle von Entführungen deuteten allerdings darauf hin, dass Al Kaida das Land nicht nur als "Ruheraum, sondern eben auch als Bühne" entdeckt habe.
Joachim Scholl: Meistens konnten alle am Ende aufatmen, wenn in den letzten Jahren Menschen im Jemen entführt wurden, ging es gut aus. Vereinbarungen wurden getroffen, auch Lösegeld bezahlt, die Entführten kamen frei und sprachen davon, sogar von ihren Entführern gut und respektvoll behandelt worden zu sein. Jetzt ist es anders. Seit Tagen wissen wir nicht, wer die acht Ausländer im Jemen verschleppt hat. Drei Frauen wurden tot, ermordet aufgefunden, zwei Deutsche und eine Koreanerin. Von den anderen, eine fünfköpfige deutsche Familie sowie ein Brite, fehlt jede Spur. Forderungen werden nicht gestellt, kein Wort von den Entführern. Im Studio begrüße ich nun Klaus Heymach, Journalist. Er hat im Jemen gelebt, ein Buch über seine Erfahrungen geschrieben. Guten Tag, Herr Heymach!
Klaus Heymach: Guten Tag!
Scholl: Immer wieder hat es Entführungen gegeben im Jemen, und wir haben uns schon ein wenig daran gewissermaßen gewöhnt in dem Sinne, dass es in aller Regel glimpflich verlief. Aber jetzt diese Morde, das ist ja doch eine furchtbare andere Qualität. Waren Sie davon überrascht, als Sie davon hörten?
Heymach: Ich war schockiert. Ich habe das Land ganz anders kennengelernt während der 15 Monate, in denen ich dort gelebt habe. Das waren sehr gastfreundliche, sehr offene und sehr freundliche Menschen. Ich konnte mich damals relativ frei bewegen. Ich konnte überall hinreisen, in Bussen, in Sammeltaxis, bin über Land gefahren, hab mir die Schönheiten dieses Landes betrachtet, wurde immer wieder zum Essen eingeladen. Mir wurde geholfen, mir wurden die Fahrpreise bezahlt. Also die Leute waren völlig offen und auch sehr froh, Ausländer zu sehen – in ihren Dörfern, in der Wüste oder unterwegs auf der Straße. Und dazu passt natürlich die Meldung jetzt überhaupt nicht. Also das ist schon ein Schock.
Scholl: Sie waren aber auch in Ihrer Zeit just da, als der ehemalige Staatssekretär Chrobog mit seiner Familie entführt wurde. Sie schreiben in Ihrem Buch – "Post Box Sanaa" heißt es – auch ein Extrakapitel darüber, wo Sie plötzlich zum Experten und zum Journalisten und ganz nah dran sozusagen gemacht wurden. Was war das für eine Erfahrung? Damals war ja doch schnell die Rede davon, das ist eine Stammesfehde, das ist eine interne Angelegenheit, da geht’s nur um ein Faustpfand und das wird schon gut ausgehen.
Heymach: Ja, wir waren auch damals schon überrascht, ehrlich gesagt, denn als ich in den Jemen gereist bin, hatte es schon seit Jahren keine Entführung mehr gegeben. Also auch dieses Kapitel dieser Stammesentführungen schien damals so ein bisschen abgeschlossen. Ich hatte allen erzählt, ihr könnt mich besuchen kommen, auch den Freunden und Verwandten. Die kamen dann auch alle. Das galt damals als sicheres Reiseland. Nun gab es diese Entführung, und das hat ja dann auch die Familie Chrobog nach ihrer Freilassung betont: Sie wurden gut behandelt, sie bekamen zu essen, zu trinken, es wurde geschlachtet für sie, sie waren die Gäste des Stammes. Das ist so eine ganz alte und für uns vielleicht nicht so leicht nachvollziehbare Tradition, Faustpfand zu nehmen, eine Geisel zu nehmen und damit Druck auszuüben. In dem Fall ging es wohl in der Tat um Streit mit einem benachbarten Stamm. Leute saßen im Gefängnis, andere nicht, die da auch hätten rein sollen. Und natürlich sind die Jemeniten auch dahintergekommen, dass Ausländer ein deutlich größeres Druckmittel darstellen als Jemeniten. Denn wir dürfen ja nicht vergessen, diese Tradition, dieser Teil der politischen Kultur, betrifft in der Regel ja Einheimische. Also Jemeniten werden entführt, verfeindete Stammesträger werden festgehalten, bis eine Sache gelöst ist. Und das ist seit Jahrhunderten so im Jemen.
Scholl: Ich meine, es ist bei uns natürlich wirklich immer ein bisschen schwer, uns an eine solche Kultur gewöhnen zu wollen und irgendwie zu akzeptieren. Nun gut, die Sorglosigkeit, mit der man in letzter Zeit so über die Entführungsfälle im Jemen gesprochen hat, hat natürlich auch dazu beigetragen, dass man sagt, na ja, es gibt eben eine Tradition, dann läuft es eben ganz normal ab wie ein Geschäft. Nun spekuliert man, und die Spekulationen haben, glaube ich, schon einen triftigen Hintergrund, ob die Terrororganisation Al Kaida hinter dieser Entführung steckt. Und neueste Informationen besagen auch, dass Al Kaida schon vor längerer Zeit direkt zum Mord an ausländischen Touristen im Jemen aufgerufen hätte. Wie anfällig ist der Jemen, Klaus Heymach, als weiteres Operationsgebiet für die Terroristen zu werden?
Heymach: Er hatte ja lange als Rückzugsgebiet gegolten. Es herrschte relative Ruhe, die Islamisten konnten sich relativ frei bewegen. Es ist ja auch ein Land mit weiten Wüsten und zerklüfteten Gebirgen, also schwer zu kontrollieren. Im Gegenzug verübten sie aber auch keine Anschläge. Das hat sich jetzt offenbar geändert, und in der Tat im Visier stehen Ausländer. Es hat im vergangenen Jahr einen schweren Anschlag auf die amerikanische Botschaft gegeben, es hat vor knapp zwei Jahren auch den allerersten Selbstmordanschlag auf ausländische Touristen bereits gegeben im Jemen, und das ist eine völlig neue Entwicklung, das hat es früher nicht gegeben. Und das spricht in der Tat dafür, dass Al Kaida das Land entdeckt hat, nicht nur als Ruheraum, sondern eben auch als Bühne.
Scholl: Nun könnte Jemen in diesem Jahr auch glücklich feiern: 20 Jahre Wiedervereinigung wie Deutschland. Es ist ein historischer Riss, der durch das Land geht, zwischen dem einstmals sozialistischen Süden und dem traditionellen Norden. Vor 20 Jahren gab es diese Vereinigung, und man spricht auch davon, dass das Anwachsen der Macht von Al Kaida auch damit zu tun hat, mit dieser politischen Situation zwischen Nord und Süd. Wie tief ist diese Kluft?
Heymach: Es ist auf jeden Fall eine Kluft, die das Land, glaube ich, zunehmend destabilisiert und das Regime in Sanaa auch wirklich bedroht, denn mittlerweile gibt es im Süden eben Leute, die sagen, wir wollen das nicht mehr, wir wollen uns wieder abspalten. Das heißt nicht, dass sie den Sozialismus zurück wollen, aber sie fühlen sich sehr benachteiligt. Und ich war in Aden, habe dort mit Leuten gesprochen – das hört sich dann manchmal so an, als würde man mit Einheitsverlierern aus Ostdeutschland reden. Es gibt da ganz frappierende Parallelen, und die Professorin aus Aden, mit der wir da sprachen, die hatte auch in der DDR studiert. Und als wir sie fragten: Wie fühlt ihr euch denn?, dann sagte sie: Ihr kennt das doch, das ist doch bei euch im Osten genauso.
Scholl: Was hatte denn der Süden verloren?
Heymach: Der Süden hat seine Kultur weitgehend aufgeben müssen. Also in Aden herrschten ja nicht nur 22 Jahre lang die Sozialisten, sondern auch sehr lange die Briten, und insofern war der Südjemen, der auch riesige Teile des Ostens des Landes umfasst und viel größer ist als der Nordjemen, lange Zeit sehr viel liberaler und offener und auch zum Ausland hin geöffnet. Die Menschen lebten dort ganz anders, vor allem die Frauen, für die es normal war, in kurzen Röcken auf die Straße zu gehen und auch zu arbeiten. Das hat sich mittlerweile sehr stark geändert. Um noch mal die Professorin aus Aden zu zitieren: Das ist eine der wenigen Frauen, die noch ohne Kopftuch unterwegs ist, und ihre Tochter muss sich in der Schule verschleiern.
Scholl: Das heißt also, der Norden ist jetzt nicht sozusagen der Modernisierer, sondern eigentlich der traditionelle Bewahrer, dass hier also doch eine, ja, islamische Tradition weit stärker jetzt wieder dem Süden sozusagen übergestülpt wird. Welchen Einfluss hat – man spricht ja auch immer vom politischen Islam – welchen Einfluss hat dieser Islam auf die Gesellschaft Jemens?
Heymach: Es ist schwer, Unterscheidungen zu treffen, in dem Fall zwischen politisch, kulturell, sozial. Der Jemen ist einfach sehr islamisch geprägt, vor allem eben der jetzt auch kulturell und politisch dominierende Norden. Es gibt für viele Menschen dort überhaupt keine vorstellbare Alternative zu einem sehr islamischen Leben. Und insofern, der Islam ist ja nun auch eine Religion, die sehr schnell in alle Lebensbereiche sich auswirkt, ist es sehr schwer zu sagen, ob das nun eine neue Entwicklung ist oder ob das nicht sehr lange schon verankert ist in der Tradition, in der Kultur auch des Landes. Aber in der Tat, in den letzten Jahren gibt es schon auch Bestrebungen von Islamisten, das heißt von Leuten, die den Islam eben auch sehr politisch interpretieren, wieder der Tugend zum Beispiel auch im kulturellen Leben zum Durchbruch zu verhelfen und gegen Laster wie das Internet, Musik oder Videoläden vorzugehen. Und das ist natürlich eine Entwicklung, die auch das gesellschaftliche Klima im Land belastet.
Scholl: Haben Sie diese Entwicklung eigentlich auch verfolgen können, empfunden, erlebt, als Sie in dieser Zeit, in diesen 15 Monaten da in Sanaa gelebt haben?
Heymach: Ich glaube, das Leben als jemand, der integriert ist, der seine Nachbarn kennenlernt und dort auch mit den Leuten Sachen unternimmt, ist natürlich noch mal anders als das des politischen Beobachters von außen. Also ich fühlte mich damals sehr gut aufgenommen und auch als Teil der Altstadt von Sanaa letztlich. Man ist Nachbar, man lebt mit den Menschen zusammen, lernt ihre Tagesprobleme kennen. Da spielt dann der Islam eine geringere Rolle. Vielleicht abgesehen davon, dass schon immer wieder auch Freunde oder auch Fremde fragten, wie das denn sei mit dem Glauben im Christentum und mit der Dreifaltigkeit und warum ich denn nicht jetzt doch vielleicht auf den rechten Weg kommen möge.
Scholl: Immer noch ist das Schicksal der Entführten im Jemen ungewiss. Darüber und über die gesellschaftlichen Bedingungen des Landes, das war Klaus Heymach. Sein Buch "Post Box Sanaa", das er zusammen mit Susanne Sporrer geschrieben hat, ist im Malik Verlag erschienen. Herr Heymach, danke, dass Sie da waren!
Heymach: Danke.
Klaus Heymach: Guten Tag!
Scholl: Immer wieder hat es Entführungen gegeben im Jemen, und wir haben uns schon ein wenig daran gewissermaßen gewöhnt in dem Sinne, dass es in aller Regel glimpflich verlief. Aber jetzt diese Morde, das ist ja doch eine furchtbare andere Qualität. Waren Sie davon überrascht, als Sie davon hörten?
Heymach: Ich war schockiert. Ich habe das Land ganz anders kennengelernt während der 15 Monate, in denen ich dort gelebt habe. Das waren sehr gastfreundliche, sehr offene und sehr freundliche Menschen. Ich konnte mich damals relativ frei bewegen. Ich konnte überall hinreisen, in Bussen, in Sammeltaxis, bin über Land gefahren, hab mir die Schönheiten dieses Landes betrachtet, wurde immer wieder zum Essen eingeladen. Mir wurde geholfen, mir wurden die Fahrpreise bezahlt. Also die Leute waren völlig offen und auch sehr froh, Ausländer zu sehen – in ihren Dörfern, in der Wüste oder unterwegs auf der Straße. Und dazu passt natürlich die Meldung jetzt überhaupt nicht. Also das ist schon ein Schock.
Scholl: Sie waren aber auch in Ihrer Zeit just da, als der ehemalige Staatssekretär Chrobog mit seiner Familie entführt wurde. Sie schreiben in Ihrem Buch – "Post Box Sanaa" heißt es – auch ein Extrakapitel darüber, wo Sie plötzlich zum Experten und zum Journalisten und ganz nah dran sozusagen gemacht wurden. Was war das für eine Erfahrung? Damals war ja doch schnell die Rede davon, das ist eine Stammesfehde, das ist eine interne Angelegenheit, da geht’s nur um ein Faustpfand und das wird schon gut ausgehen.
Heymach: Ja, wir waren auch damals schon überrascht, ehrlich gesagt, denn als ich in den Jemen gereist bin, hatte es schon seit Jahren keine Entführung mehr gegeben. Also auch dieses Kapitel dieser Stammesentführungen schien damals so ein bisschen abgeschlossen. Ich hatte allen erzählt, ihr könnt mich besuchen kommen, auch den Freunden und Verwandten. Die kamen dann auch alle. Das galt damals als sicheres Reiseland. Nun gab es diese Entführung, und das hat ja dann auch die Familie Chrobog nach ihrer Freilassung betont: Sie wurden gut behandelt, sie bekamen zu essen, zu trinken, es wurde geschlachtet für sie, sie waren die Gäste des Stammes. Das ist so eine ganz alte und für uns vielleicht nicht so leicht nachvollziehbare Tradition, Faustpfand zu nehmen, eine Geisel zu nehmen und damit Druck auszuüben. In dem Fall ging es wohl in der Tat um Streit mit einem benachbarten Stamm. Leute saßen im Gefängnis, andere nicht, die da auch hätten rein sollen. Und natürlich sind die Jemeniten auch dahintergekommen, dass Ausländer ein deutlich größeres Druckmittel darstellen als Jemeniten. Denn wir dürfen ja nicht vergessen, diese Tradition, dieser Teil der politischen Kultur, betrifft in der Regel ja Einheimische. Also Jemeniten werden entführt, verfeindete Stammesträger werden festgehalten, bis eine Sache gelöst ist. Und das ist seit Jahrhunderten so im Jemen.
Scholl: Ich meine, es ist bei uns natürlich wirklich immer ein bisschen schwer, uns an eine solche Kultur gewöhnen zu wollen und irgendwie zu akzeptieren. Nun gut, die Sorglosigkeit, mit der man in letzter Zeit so über die Entführungsfälle im Jemen gesprochen hat, hat natürlich auch dazu beigetragen, dass man sagt, na ja, es gibt eben eine Tradition, dann läuft es eben ganz normal ab wie ein Geschäft. Nun spekuliert man, und die Spekulationen haben, glaube ich, schon einen triftigen Hintergrund, ob die Terrororganisation Al Kaida hinter dieser Entführung steckt. Und neueste Informationen besagen auch, dass Al Kaida schon vor längerer Zeit direkt zum Mord an ausländischen Touristen im Jemen aufgerufen hätte. Wie anfällig ist der Jemen, Klaus Heymach, als weiteres Operationsgebiet für die Terroristen zu werden?
Heymach: Er hatte ja lange als Rückzugsgebiet gegolten. Es herrschte relative Ruhe, die Islamisten konnten sich relativ frei bewegen. Es ist ja auch ein Land mit weiten Wüsten und zerklüfteten Gebirgen, also schwer zu kontrollieren. Im Gegenzug verübten sie aber auch keine Anschläge. Das hat sich jetzt offenbar geändert, und in der Tat im Visier stehen Ausländer. Es hat im vergangenen Jahr einen schweren Anschlag auf die amerikanische Botschaft gegeben, es hat vor knapp zwei Jahren auch den allerersten Selbstmordanschlag auf ausländische Touristen bereits gegeben im Jemen, und das ist eine völlig neue Entwicklung, das hat es früher nicht gegeben. Und das spricht in der Tat dafür, dass Al Kaida das Land entdeckt hat, nicht nur als Ruheraum, sondern eben auch als Bühne.
Scholl: Nun könnte Jemen in diesem Jahr auch glücklich feiern: 20 Jahre Wiedervereinigung wie Deutschland. Es ist ein historischer Riss, der durch das Land geht, zwischen dem einstmals sozialistischen Süden und dem traditionellen Norden. Vor 20 Jahren gab es diese Vereinigung, und man spricht auch davon, dass das Anwachsen der Macht von Al Kaida auch damit zu tun hat, mit dieser politischen Situation zwischen Nord und Süd. Wie tief ist diese Kluft?
Heymach: Es ist auf jeden Fall eine Kluft, die das Land, glaube ich, zunehmend destabilisiert und das Regime in Sanaa auch wirklich bedroht, denn mittlerweile gibt es im Süden eben Leute, die sagen, wir wollen das nicht mehr, wir wollen uns wieder abspalten. Das heißt nicht, dass sie den Sozialismus zurück wollen, aber sie fühlen sich sehr benachteiligt. Und ich war in Aden, habe dort mit Leuten gesprochen – das hört sich dann manchmal so an, als würde man mit Einheitsverlierern aus Ostdeutschland reden. Es gibt da ganz frappierende Parallelen, und die Professorin aus Aden, mit der wir da sprachen, die hatte auch in der DDR studiert. Und als wir sie fragten: Wie fühlt ihr euch denn?, dann sagte sie: Ihr kennt das doch, das ist doch bei euch im Osten genauso.
Scholl: Was hatte denn der Süden verloren?
Heymach: Der Süden hat seine Kultur weitgehend aufgeben müssen. Also in Aden herrschten ja nicht nur 22 Jahre lang die Sozialisten, sondern auch sehr lange die Briten, und insofern war der Südjemen, der auch riesige Teile des Ostens des Landes umfasst und viel größer ist als der Nordjemen, lange Zeit sehr viel liberaler und offener und auch zum Ausland hin geöffnet. Die Menschen lebten dort ganz anders, vor allem die Frauen, für die es normal war, in kurzen Röcken auf die Straße zu gehen und auch zu arbeiten. Das hat sich mittlerweile sehr stark geändert. Um noch mal die Professorin aus Aden zu zitieren: Das ist eine der wenigen Frauen, die noch ohne Kopftuch unterwegs ist, und ihre Tochter muss sich in der Schule verschleiern.
Scholl: Das heißt also, der Norden ist jetzt nicht sozusagen der Modernisierer, sondern eigentlich der traditionelle Bewahrer, dass hier also doch eine, ja, islamische Tradition weit stärker jetzt wieder dem Süden sozusagen übergestülpt wird. Welchen Einfluss hat – man spricht ja auch immer vom politischen Islam – welchen Einfluss hat dieser Islam auf die Gesellschaft Jemens?
Heymach: Es ist schwer, Unterscheidungen zu treffen, in dem Fall zwischen politisch, kulturell, sozial. Der Jemen ist einfach sehr islamisch geprägt, vor allem eben der jetzt auch kulturell und politisch dominierende Norden. Es gibt für viele Menschen dort überhaupt keine vorstellbare Alternative zu einem sehr islamischen Leben. Und insofern, der Islam ist ja nun auch eine Religion, die sehr schnell in alle Lebensbereiche sich auswirkt, ist es sehr schwer zu sagen, ob das nun eine neue Entwicklung ist oder ob das nicht sehr lange schon verankert ist in der Tradition, in der Kultur auch des Landes. Aber in der Tat, in den letzten Jahren gibt es schon auch Bestrebungen von Islamisten, das heißt von Leuten, die den Islam eben auch sehr politisch interpretieren, wieder der Tugend zum Beispiel auch im kulturellen Leben zum Durchbruch zu verhelfen und gegen Laster wie das Internet, Musik oder Videoläden vorzugehen. Und das ist natürlich eine Entwicklung, die auch das gesellschaftliche Klima im Land belastet.
Scholl: Haben Sie diese Entwicklung eigentlich auch verfolgen können, empfunden, erlebt, als Sie in dieser Zeit, in diesen 15 Monaten da in Sanaa gelebt haben?
Heymach: Ich glaube, das Leben als jemand, der integriert ist, der seine Nachbarn kennenlernt und dort auch mit den Leuten Sachen unternimmt, ist natürlich noch mal anders als das des politischen Beobachters von außen. Also ich fühlte mich damals sehr gut aufgenommen und auch als Teil der Altstadt von Sanaa letztlich. Man ist Nachbar, man lebt mit den Menschen zusammen, lernt ihre Tagesprobleme kennen. Da spielt dann der Islam eine geringere Rolle. Vielleicht abgesehen davon, dass schon immer wieder auch Freunde oder auch Fremde fragten, wie das denn sei mit dem Glauben im Christentum und mit der Dreifaltigkeit und warum ich denn nicht jetzt doch vielleicht auf den rechten Weg kommen möge.
Scholl: Immer noch ist das Schicksal der Entführten im Jemen ungewiss. Darüber und über die gesellschaftlichen Bedingungen des Landes, das war Klaus Heymach. Sein Buch "Post Box Sanaa", das er zusammen mit Susanne Sporrer geschrieben hat, ist im Malik Verlag erschienen. Herr Heymach, danke, dass Sie da waren!
Heymach: Danke.