Eine Vergnügungshölle

Von Ulrike Gondorf · 28.11.2009
Ein heruntergekommenes Etablissement bildet die Kulisse für Verdis "La Traviata" an der Oper Köln. Vor diesem Hintergrund inszeniert Regisseur Dietrich Hilsdorf eine Gesellschaft, die sich zu Tode amüsiert.
Ein Amüsierlokal, das bessere Tage gesehen hat. Von der Fassade bröckelt der Putz, an die pompösen Säulen sind geschmacklose Lampen gehängt worden, rote Kunstlederpolster verschandeln die Sitzbänke. Man denkt an das Hotel, in dem Jean-Paul Sartre seine "Geschlossene Gesellschaft" in alle Ewigkeit einquartiert hat.

Und auch aus dieser Vergnügungshölle, die Regisseur Dietrich Hilsdorf und Bühnenbildner Dieter Richter für die neue Kölner "Traviata" entworfen haben, gibt es kein Entrinnen. Die Spiel-, Tanz- und Speisesäle des heruntergekommenen Etablissements drehen sich im Kreis, die Leute bleiben immer da. Violetta kommt nicht aus ihrem schwarzen Abendkleid, Alfredo nicht aus dem Frack. Am Ende liegt sie im Fieberwahn auf dem roten Kunstledersofa und die große Sterbeszene spielt im Waschraum der Damentoilette. Dann dreht das Bühnenbild wieder ein Segment weiter, und da tanzen die anderen alle noch, gleich nebenan.

Mit diesem Konzept erzählen Hilsdorf und Richter von einer Gesellschaft, die sich zu Tode amüsiert, vom sinnentleerten und unentrinnbaren Kreislauf eines Lebens, das keine Mitte und keinen Ort mehr hat. Das ist ein Teil von Verdis Oper, ein wichtiger, aber eben nur ein Teil, und weil die andere Seite ausgeblendet wird, fehlen dem Abend Spannung, Fallhöhe und Kontrast. Violetta und Alfredo, die Prostituierte und das Bürgersöhnchen, das unmögliche Liebespaar, riskieren ja den Ausbruch und schaffen ihn sogar beinah bei Verdi. Wenn sie aber gar keine Chance dazu bekommen, ereignet sich auch keine Tragödie mehr. Mitten im Totentanz ist Sterben kein großes Drama, und das mag der Grund dafür sein, dass der Abend einen so seltsam kalt lässt am Ende.

An den musikalischen Qualitäten kann es nicht liegen, denn die sind glänzend wie schon lange nicht mehr in Köln. Zwei internationale Stars wecken hohe Erwartungen und lösen sie ein. Olga Mykytenko gestaltet die Violetta bravourös, mit der ganzen Virtuosität und Koloraturgewandtheit der Belcantooper, die Verdi in diese Partie hineingelegt hat, und zugleich mit dramatischem Espressivo. Ihr Partner Fernando Portari singt ebenso gut und ist dabei auch noch ein starker Darsteller. Ein Tenor mit dem stimmlichen Potenzial aufzutrumpfen - und der musikalischen Intelligenz, es nicht zu tun. Wie viel dynamische Schattierungen und rhythmische Feinheiten Portari allein schon dem als Wunschkonzertnummer fast zu Tode strapazierten Trinklied zurückerobert, das lässt aufhorchen. Und da ist die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Markus Poschner sicherlich ein Glücksfall.

Poschner, ein Shootingstar der Dirigentenszene und seit zwei Jahren GMD in Bremen, arbeitet einen hoch differenzierten Verdi heraus, räumt sängerische und orchestrale Unarten einer falsch verstandenen "Italianita" rigoros ab und entwickelt einen enormen Sinn für die klingende Psychologie, für die zwielichtigen und fragilen Klangwelten dieses Werks. Das Gürzenich-Orchester folgt ihm auf diesem Weg mit Präzision und Delikatesse.