Eine Verbindung fürs Leben

Von Stefanie Oswalt · 14.01.2012
Viele Kinder haben heute ein, zwei oder mehr Paten - ganz egal, ob sie getauft sind oder nicht. Denn in einer kinderarmen und mobilen Gesellschaft übernehmen Paten oft ganz andere Aufgaben als die religiöse Erziehung.
Birgit Krause: "Ich hab es immer so verstanden, dass es nicht nur darum geht, das Kind aus einer religiösen Perspektive zu begleiten, sondern aus einer ganzheitlichen, lebensweltlichen Perspektive."

Andreas Hewel: "Es ist ja so: Das Kind ist ja nicht getauft, die Eltern glauben nicht, ich glaube selbst auch nicht, aber wir haben das so beschlossen: Einen Paten braucht das Kind."

Helene Schruff: "Viele Jahre später hat mich eine Freundin gefragt, ob ich Patentante über ihr zweites Kind werden möchte, auch bevors geboren war. Und bei ihr war die Idee, dass sie dachte, dass ich über so eine Patenschaft auch näher in die Familie hineinkomme."

Birgit Krause, Andreas Hewel und Helene Schruff haben die Patenschaft über ein Kind aus dem Familien- oder Freundeskreis angenommen. So unterschiedlich ihre individuelle Lebenssituation, ihre Herkunft und ihre Haltung zur Religion auch sein mag: Sie eint der Gedanke, dass sie mit diesem Amt die Mitverantwortung für einen ihnen anvertrauten heranwachsenden Menschen übernehmen wollen. Damit liegen sie in einem Trend, den der evangelische Pfarrer Jörg Machel in seiner Kirchengemeinde in Berlin-Kreuzberg seit einigen Jahrzehnten beobachtet:

"Ich denke, dass es wirklich eine Sehnsucht nach Tradition gibt, die Traditionen werden nicht bierernst genommen, die Leute gehen damit durchaus frei um... Das sind jetzt die Kinder der 68er, die jetzt ihre Kinder taufen und das sind auch die Leute, die heiraten, das sind die Leute, die sich über die Ansichten ihrer Eltern über die freie Liebe lustig machen .... Man bringt die Taufschale der Familie mit an, in der schon die Ururur-Großmutter getauft wurde, man bastelt die Taufkerze selbst, man nimmt sich viel Zeit, um für die Kinder die Taufsprüche auszusuchen, man überlegt sehr lange, wen man als Paten nimmt."

Das Patenamt ist eng mit dem christlichen Glauben verbunden und kommt in keiner anderen großen Religion vor. Eine Ausnahme bildet der Beschneidungsritus im Islam, der ebenfalls Paten vorsieht, die in der Glaubens- und Alltagspraxis aber kaum eine Rolle spielen. Anders die christliche Patenschaft, die zwar nicht in der Bibel verankert ist, für die Kirchengeschichte aber eine wichtige Bedeutung besitzt. Stefan Förner, Pressesprecher des erzbischöflichen Ordinariats in Berlin und Bertram Tippelt, Pfarrer der katholischen Gemeinde St. Domenicus in Berlin-Gropiusstadt, haben folgende Erklärungen.

Stefan Förner: "In der frühen Kirche wurden ja keine Kinder getauft. Sondern erwachsene Menschen haben sich entschieden, in die Kirche einzutreten, sich taufen zu lassen. Und das waren ja zum Teil auch heiklere Zeiten. Und da war der Pate ja in stärkerem Sinne auch wirklich der Leumund, der Zeuge, der auch gewährleistet hat, das ist nicht nur einer, der uns hier untergeschoben wird, das ist kein V-Mann, das ist einer, der es wirklich ernst meint."

Bertram Tippelt: "Historisch gesehen müssen wir in die Urchristenheit gehen, da gab es das Problem, dass es Waisenkinder gab, die man in die Kirche aufnehmen wollte, und da fing das Patenamt an. Die Paten übernahmen die Funktion der Eltern und haben sich dieser Kinder angenommen, sowohl in der Erziehung als auch in der religiösen Bildung. Das Patenamt hat sich dann von diesem Elternersatz entwickelt zum Begleiten einer Familie und wurde dadurch eigentlich mehr überflüssiger oder mehr volkstümlich genutzt, dass das Freunde der Familie sind."

Wie in vielen religiösen Fragen vertritt die katholische Kirche auch beim Patenamt eine besonders strenge Auffassung. Auch wenn sich manche vielleicht eine Diskussion darüber wünschen, mittelfristig werde die Kirche von ihrer Position nicht abrücken, sagt Förner:

"Also es gibt hier so einen Kanon 874, der heißt: Damit jemand zur Übernahme des Patendienstes zugelassen wird, ist erforderlich...Er muss katholisch und gefirmt sein und das heiligste Sakrament der Eucharestie bereits empfangen haben. Auch muss er ein Leben führen, das dem Glauben und dem zu nehmenden Dienst entspricht."

Zwar erkennt die katholische Kirche bei der Konversion vom protestantischen zum katholischen Glauben die Taufe inzwischen an. Protestanten können aber nicht Taufpaten werden, sondern nur so genannte "Taufzeugen." Die Taufe verstehen die Katholiken nämlich nicht als Eintritt in die christliche Gemeinschaft, sondern als Eintritt in ihre Kirche. Etwas liberaler gehen es die Protestanten an. Ist ein protestantischer Taufpate vorhanden, kann neben ihm auch ein Katholik Taufpate werden. Atheisten oder Angehörige anderer Religionen werden als Taufzeugen zugelassen, erklärt der evangelische Pfarrer Jörg Machel:

"Die Taufzeugen haben wir sozusagen erfunden, um die Leute, die jetzt einfach in der Nähe von der Familie und vom Kind sind, nicht völlig rauszuixen und einfach zu sagen: nee, geht nicht."

Müsste er ein christliches Bekenntnis ablegen, stünde an diesem Sonntag auch Timon Wehnert nicht mit am Taufstein in der Berliner Ölberg-Kirche. Aus Sicht der Kirche ist der Klimaforscher "nur" ein Taufzeuge. Die Eltern des Täuflings hingegen sehen keinen Unterschied zu den beiden anderen, protestantisch getauften Paten ihres Sohnes Lucius. Einige Tage vorher haben sich Timon, Pfarrer Machel und Lucius' Eltern in ihrer Wohnung getroffen, um bei Wein und Käse über die Taufe zu sprechen.

Timon Wehnert: "Ich hab da durchaus gerungen, ob ich das machen soll oder nicht machen soll. Ich finde diese Institution des Paten sehr schön... Auf der anderen Seite bin ich halt gar nicht religiös..."

Jörg Machel: "Wenn ich da als Pfarrer mal ne Erwartung aussprechen kann. Ich finde, dass auch ein vernünftiger Coach auch in diesen Dingen eine ganz wichtige Funktion hat. Jemand, der durchaus im Sinne dieses Patenamts sich als Gesprächspartner zur Verfügung hält... Möglicherweise findest du deinen Missionar in Lucius, wer will dies ausschließen."

Timon hat sich die Entscheidung nicht leicht gemacht. Weil es für ihn darum geht, in den kommenden Jahren eine enge Beziehung mit seinem Patenkind aufzubauen, hat er mit dem anderthalb Jährigen und dessen Vater vor der Taufe einen gemeinsamen Urlaub gemacht. Anna Fleckstein, die Mutter des Täuflings, versteht, warum.

Timon Wehnert: "Also mir war's zum Beispiel sehr wichtig: verstehen wir uns... also wenn ich so das Gefühl habe, wir mögen uns nicht, dann wär das blöd."

Anna Fleckstein: "Das ist natürlich noch mal ein interessanter Punkt. Es gibt in meiner Familie wirklich ganz viele Patenbeziehungen, auch innerfamiliäre Patenbeziehungen und es ist ne große Familie und es gibt eben immer den Fall, dass man mindestens mit dem einen von den beiden nicht richtig klar kommt, oder dass da nichts entsteht."

Anregungen für eine Reflexion über die Taufe und die Patenwahl gibt die Publizistin Gabriele Hartlieb in ihrem unlängst erschienenen Bändchen mit dem Titel: "Du bist uns anvertraut. Warum wir unser Kind taufen lassen." Darin schreibt sie:

"... da es um die Hoffnung geht, dass der Pate oder die Patin auch der Mensch ist, der für das Kind wichtig wird, sollte sich der Blick ebenso darauf richten: Ist das jemand, der aufgrund seiner Lebenseinstellung für unser Kind Bedeutung haben könnte? Bringt er, bringt sie etwas mit, das uns wichtig ist, das unserem Kind zugänglich gemacht werden sollte, das aber in unserem Leben nicht so viel Raum hat, zum Beispiel Musik, das Verständnis für Technik, Naturbegeisterung, Sport, eine spannende Familienkonstellation, viel Zeit, Sinn fürs Praktische, ein Herz für die Welt usw. Vor allem aber sollten sich die Eltern vorher die Frage beantworten: Trauen wir ihm oder ihr zu, die Beziehung zu unserem Kind zu pflegen und nicht nur Geschenkeonkel oder -tante zu sein?"

Helene Schruff: "Was die Leute interessiert ist, dass ich selber keine Kinder habe und dass sie aber wissen, dass ich Kinder trotzdem toll finde, mich das interessiert."

Helene Schruff ist 44 Jahre alt, promovierte Literaturwissenschaftlerin und arbeitet in München bei einer großen Forschungseinrichtung. Sie bezeichnet sich als "ungläubig", trotz ihrer – wie sie sagt - "intensiv katholischen Erziehung" im Rheinland. In der wenigen Freizeit spielen ihre vier Patenkinder für Helene Schruff eine große Rolle:

"Zum Beispiel schreibe ich denen ganz regelmäßig Postkarten, rufe an, mache Geschenke, lege da aber Wert darauf, schon wenn ich eine Patenschaft annehme, dass ich keine großen Geschenke mache, weil ich eben nicht möchte, dass das Patenkind mich damit identifiziert, dass es große Geschenke von mir kriegt... die kriegen jedes Jahr einen Adventskalender von mir, auch der große, der 26-Jährige noch, weil ich weiß, dass er sich das wünscht und sich sehr darauf freut."

Hinzu kommen die wechselseitigen Besuche, gemeinsame Reisen und die Unterstützung der Eltern beim Musikunterricht der Kinder, denn Helene Schruff ist selbst begeisterte Hobby-Cellistin. Den Eltern ihrer Patenkinder gehe es nicht um religiöse Zugehörigkeiten, sondern um moralische Integrität, sagt Schruff:

"Das war zum Beispiel auch ein Argument von den dritten, die mich gefragt haben, die praktizierende Katholiken sind, dass Gregor sagte: "Ich habe das Gefühl, dass du vieles von dem verkörperst von dem, was wir wichtig finden an moralischen Wertvorstellungen." Nicht verkörperst, also lebst.... Insofern ist das für uns egal, ob du in der Kirche bist. Sondern es geht uns ja darum, dass das Kind von jemand begleitet wird, der gut und böse auseinander halten kann."

Gut und böse auseinander zu halten versucht auch Peter Heil. Der 43-Jährige ist aktives katholisches Kirchenmitglied und lebt in Berlin in einer schwulen Beziehung. Seinen fünf Patenkindern, von denen ihn drei im Sommer für einige Tage besucht haben, hofft er vermitteln zu können, dass der Glaube an Jesus Christus ein Fundament seines Lebens ist:

"Was mir Freude machen würde – so wie ich meinetwegen Spaß an der Musik hab und vielleicht hoffe, dass ich anderen Leuten zeigen kann, das ist einfach schön, wenn man sich damit befasst oder wenn man das hört – so ein bisschen klar zu machen, das hat etwas ganz Tragendes, was einen durchs Leben begleiten kann und mitführen kann..."

Die anvertrauten Kinder bei/in ihrer religiösen Erziehung zu begleiten – selbst bei dezidiert religiösen Menschen wie Peter Heil scheint dieser Aspekt in der Regel einen untergeordneten Stellenwert zu besitzen. Dafür spielen Teilen und Nächstenliebe bei vielen Paten eine wichtige Rolle. Als er erfuhr, dass sein bester Freund Vater wurde, erklärte sich der kinderlose Journalist Andreas Hewel sofort bereit, die Patenrolle zu übernehmen:

"Bei ihm ist halt noch das Besondere, in dem Augenblick, wo klar war, dass Hans und Julchen ein Kind bekommen, da sind sie auch noch völlig verarmt. Sie sind pleite gegangen, und jetzt leben sie halt ewig auf Harz IV... Da machts auch wirklich richtig Sinn, denn sie haben nur das Notdürftigste grade so zum Leben und zum Überleben... also ich bin da nicht der Onkel, der irgendwie den Unterhalt finanzieren könnte, das könnte ich nicht stemmen, aber ich bin so der Luxusminister."

Seiner siebenjährigen Patentochter kauft Andreas Hewel Sommerkleider, Spielzeug und vieles andere. Er macht mit ihr Ausflüge in die Stadt, lädt sie auf den Fernsehturm ein und fährt mit ihr Karussell. Im Notfall würde Hewel auch an die Stelle der Eltern treten:

"Also wenn den beiden was passieren würde – klar, würde ich adoptieren... würde ich mir auch von keinem Amt reinreden lassen, ob ich dürfte oder nicht."

Ein solches Bekenntnis mag die Ausnahme sein, aber Pfarrer Machel beobachtet gerade in den großen Städten eine zunehmende Verbindlichkeit bei Patenbeziehungen:

"Man begreift die Paten ein Stück weit auch als Ersatzfamilie – die Familien sind klein geworden – und man sieht, wenn keine Geschwister da sind, wenn auch die Großfamilie entweder so verstreut lebt, dass man sie nicht mehr erreichen kann, dass man sich einen Zusammenhang aufbauen muss, der eine gewisse Verbindlichkeit hat. Und diese Sehnsucht nach Verbindlichkeit und Dauer drückt sich dann durchaus in der Patenwahl aus."

Schulschluss. Birgit Krause hat ihre Patentochter Milla von der Schule abgeholt:

"Ich bin die Unfug-Tante, aber ich bin auch die, die keinen explizit festen Rhythmus hat... Also es gibt die goldene Regel, es wird niemals aufgeräumt. Es wird die tollste Unordnung gemacht, aber es wird nicht aufgeräumt.... Jacken werden grundsätzlich nicht an Kleiderhaken gehangen, sie werden dahin geworfen."

Birgit Krause gehört zu einer großen Patentanten-Familie, die Christine Oderdissen um ihre Tochter gebaut hat. Eine Taufe, wie sie die anderen Mütter aus dem Geburtsvorbereitungskurs bald nach der Geburt ihrer Kinder vorbereiteten, wollte sie aber auf keinen Fall:

"Dann dachte ich, was ist eigentlich die Funktion von Taufe. Eigentlich geht es darum, die Familie zusammenzuführen und ein Kind auch in der Gemeinschaft vorzustellen, zu integrieren... es ist ja die Aufnahme in die Gemeinschaft... Da hab ich gedacht: ich hab ja meine lesbische Wahlfamilie, das sind ja alles meine Freundinnen. Und dann hab ich gedacht, da mach ich einfach so ein Kind-Begrüßungs-Fest. Da war sie drei Monate alt und hab einfach eine riesige Party gegeben, um das Kind vorzustellen und natürlich auch, um die Patinnen zu ernennen."

Christines Hoffnungen haben sich erfüllt. Stolz zeigt die sechsjährige Milla das Foto ihrer Einschulung – mit dem neuen Ranzen und einer Sonnenblume steht sie umringt von ihren - neun - Patentanten:

"Das ist Beate immer dienstags, das ist Mama, das ist Annette, die ist immer ganz nah dran. Da ist Birgit, da ist Marion, hier ist Hazel, wohnt in Spandau in einem kleinen Haus mit Ofen..."

Christine Olderdissen: "Jede Tante hat ihr eigenes Ding laufen. Eine Tante ist mehr so die mütterliche, die häusliche, die sie fantastisch bekocht und mit ihr regelmäßig Schuhe einkaufen geht. Die andere ist eine Physiotherapeutin, die guckt auch so ein Bisschen, dass das Kind auch grade wächst und macht mit ihr auch so ein bisschen Übungen, streckt sie mal, reckt sie mal und die dritte ist mehr so auf der handwerklichen Seite..."

Religion, versichern Mutter und Patin übereinstimmend, spiele bei dieser Beziehung keine Rolle, und doch sagt Birgit:

"Letztlich sind wir hier alle christlich sozialisiert und leben auch diese Werte, also ich würde im Leben mich nicht als Christin bezeichnen, trotzdem bin ich mir sehr bewusst, dass das, was ich an Werten auch an Milla weitergebe, dass die sehr wohl sehr christlich geprägt sind."