Eine unsaubere Aktion

30.09.2010
Politthriller sind eine Spezialität der amerikanischen Autorin Jenny Siler. In "Verschärftes Verhör" erzählt sie von einem obskuren Geheimdienst und einer Hetzjagd, die durch die halbe Welt und zurück bis zum Vietnamkrieg führt.
Es war schon immer das Merkmal guter Politthriller, Gegenbilder zu offiziellen oder regierungsamtlichen Versionen der Zeitgeschichte zu liefern. Je höher die Qualität der Prosa, je intelligenter die Durchdringung der Materie und je geschickter die Inszenierung des Stoffes, desto eindrücklicher und haltbarer ist diese Art fiktionaler Gegendarstellung. Wir wissen das seit den Zeiten Eric Amblers. Zu ihm und den anderen Großen des Politthrillers - Graham Greene, John Le Carré, Ross Thomas und Robert Littell - und damit in eine sehr männliche Riege, gesellt sich seit einigen Jahren die Amerikanerin Jenny Siler.

Silers neuer Roman "Verschärftes Verhör" verfährt radikal. Die Geschichte scheint klassisch: Um vor demokratischen Kontrolleuren gut dazustehen, verwischt ein obskurer amerikanischer Geheimdienst die Spuren einer sehr unsauberen Aktion - alle Mitwisser und Beteiligten werden liquidiert. Ein junger Marokkaner, der in einem US-Gefangenen-Camp in Afghanistan gesessen hatte und seine Haut durch einen Deal retten konnte, soll im Zuge der Aufräumaktion ebenfalls beseitigt werden. Er kann fliehen und wendet sich Hilfe suchend an eine ehemalige Verhörspezialistin der US-Army, zu der er im Camp ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte. Die hat ein Gewissen und gerät nun auch ins Visier.

Und so entwickelt Jenny Siler eine Hetzjagd, die durch die halbe Welt und zurück bis zum Vietnamkrieg führt. Ein alternder, sterbensmüder Ex-CIA-Mann will den beiden helfen – aber allzu optimistisch über den Ausgang seiner Aktion sollten wir lieber nicht sein.

Siler erzählt die düstere Geschichte virtuos. Sie springt durch die Zeiten, heute sind sie nicht gut und früher waren sie nicht besser. Die USA haben jede moralische Glaubwürdigkeit verloren, die Mordgesellen und Folterknechte der Geheimdienste haben keine Perspektive, keine ideologische Überzeugung. Sie interessieren sich nur dafür, in der jeweiligen Hierarchie gut da zu stehen und jede politisch-demokratische Einflussnahme zu verhindern. Deswegen wird, so lautet das Fazit der Autorin, getötet. Das ist bitter, höhnisch.

Siler erzählt kühl. Genau wie in einem Tatortbericht hält sie alle Faktoren fest: vom Geruch über das Wetter bis hin zur subtilsten Seelenlage ihrer Figuren. Dadurch schafft sie eine Atmosphäre der Kälte und Bedrohung. In so einem Ambiente braucht es keine allzu expliziten Brutalitäten und Gräuelszenen. Das böse Schicksal des jungen Marokkaners als Sexsklave etwa muss Siler nicht schlüpfrig ausbreiten, allein die Beschreibung eines "Kunden" reicht aus, um Ekel und Abscheu beim Leser zu erzielen.

Auch dass die USA sich mit Scheusalen verbünden, wenn es politisch opportun ist, muss Siler nicht erklären. Und dass die USA diesen Scheusalen gegenüber illoyal werden, wenn es politisch opportun ist, beschreibt sie genauso lakonisch wie den Umstand, dass von den wüstesten Ungeheuerlichkeiten immer ein paar Leute fett profitieren. Jenny Siler erzählt keine Welt, die in irgendeine politische Programmatik passt, oder in irgendein anderes Sinnsystem. Das macht die verstörerische Kraft ihres Romans aus.

Besprochen von Thomas Wörtche

Jenny Siler: "Verschärftes Verhör"
Deutsch von Susanne Goga-Klinkenberg.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2010.
311 Seiten, Euro 8,95