Eine unpassende Liebe

Eigentlich ist die Liebeswahl heute so frei wie nie zuvor. Die Schichten der Gesellschaft sind durchlässig, Tabus und soziale Widerstände kaum mehr vorhanden. Und doch gibt es den Topos der sogenannten unmöglichen Ehe bis heute.
Von einer solchen, von einer komischen Mesalliance inmitten der Gegenwart, erzählt Christine Gräfin von Brühl in ihrem unterhaltsamen, ironischen Roman "Out of Adel", der, so darf man vermuten, autobiografisch gefärbt ist.

Die Autorin gehört wie die Ich-Erzählerin des Romans der Aristokratie an, sie ist geboren und aufgewachsen im moralischen, weltanschaulichen und stilistischen Regelwerk eines europäischen Kastenwesens. Sie hat gelernt, dass präzise Tischmanieren unabdingbar sind, dass Sportarten wie Reiten, Tennis und Ballett Selbstverständlichkeiten der Sozialisation sind, sie hat gelernt, dass sie sich nie allein auf der Welt fühlen muss, da der Adel ein unzerreißbares globales Netzwerk darstellt und sie hat gelernt, dass sie bei der Wahl ihres zukünftigen Mannes zweierlei bedenken muss: Er sollte ebenfalls adlig sein und ebenfalls katholisch. Er sollte ein sozial tadelloses Spiegelbild ihrer selbst sein.

Aus dieser Einschränkung der Liebeswahl ergibt sich der Ausgangspunkt der Romanhandlung: Denn die junge, in den 60er-Jahren geborene Adlige beschließt, niemals zu heiraten, sondern ledig, selbstständig und berufstätig zu werden. Einen katholischen Adligen will sie nicht als Mann, er verspricht lebenslange Langeweile. Einen anderen, so denkt sie, darf sie nicht so ohne Weiteres wollen. Bis er auftaucht: Ein bürgerlicher Maler in schwarzer Lederjacke, aus der DDR und einem Elternhaus stammend, das der Sekte der Zeugen Jehovas angehörte. Unpassender, schräger - und literarisch deshalb komischer geht es kaum.

Christine Gräfin von Brühl postiert die Geschichte der unpassenden Liebe zwischen einer Adligen und einem Bürgerlichen, die eigentlich ins 19. Jahrhundert gehört, in die Kulisse des späten 20. Jahrhunderts und sie räumt der Zeitgeschichte die Funktion eines Motors ein: Denn die Liebe zwischen beiden entsteht kurze Zeit nach der Wende und sie entsteht in Dresden, dort arbeitet die Aristokratin bei der "Sächsischen Zeitung", dort hat der Maler mit dem glatt rasierten Schädel und der schwarzen Lederjacke sein Atelier und seinen Stammplatz am Tresen einer Szenebar.

Nicht nur die Grenze zwischen Ost- und Westblock ist offen, auch die Grenzen zwischen sozialen Schichten und gesellschaftlichen Milieus sind offener als zuvor. Undenkbares wird denkbar: Das Liebespaar unternimmt eine Spanienreise, übernachtet im Auto, die Aristokratin mit den orthodoxen Tischmanieren isst Brot, Wurst, Tomaten mit der Hand in den Mund. Es folgt ein Heiratsantrag, es folgen die Besuche der Verlobten bei den jeweiligen Eltern. Christine Gräfin von Brühls Roman "Out of Adel" erzählt vom inneren Überleben von Gesellschaftsschranken, die es äußerlich eigentlich gar nicht mehr gibt.

Besprochen von Ursula März

Christine Gräfin von Brühl, "Out of Adel",
Verlag Kiepenheuer, Berlin 2009, 221 Seiten, 19.95 Euro