Eine "unerhört humane Frau"

11.04.2008
Margarete Steffin wird häufig als Mitarbeiterin von Bertolt Brecht bezeichnet. Dabei wird übersehen, dass die 1908 geborene Tochter eines Berliner Kutschers selbst Erzählungen, Gedichte und Theaterstücke geschrieben hat. Hartmut Reiber würdigt in seinem Band "Grüß den Brecht" Steffins Werk und zeichnet ihr von Armut, Krankheit und politischem Engagement geprägtes Leben nach.
Margarete Steffin wird 1908 als Tochter eines Kutschers und einer Arbeiterin in Berlin-Rummelsburg geboren. Seit ihrem 18. Lebensjahr leidet sie an einer schweren Lungentuberkulose, die ihr Dasein fortan überschattet. Mehrere Operationen und Kuren bringen nicht die erhoffte Heilung. Sie stirbt 1941 im Alter von nur 33 Jahren.

In der verbleibenden knappen Lebenszeit arbeitet Steffin mit Eifer und Perfektion als Übersetzerin und Autorin. Sie ist Mitglied des Großberliner Sprechchors und neben Ernst Busch, Lotte Lenya und Helene Weigel im Programm "Wir sind ja sooo zufrieden" (1931) an der Roten Revue der Jungen Volksbühne als Schauspielerin erfolgreich. Während der Proben lernt sie dort auch Bertolt Brecht kennen. Und obwohl sie eigentlich in den "netten, blonden Jungen" Busch verliebt ist, "der die Eisler-Lieder so gut" vorträgt, wird aus dieser Begegnung eine lebenslange Arbeits- und Liebesbeziehung. Das aber führt dazu, dass sie nach Brechts Tod 1956 lediglich als eine seiner Mitarbeiterinnen genannt wird, ihr eigenes Werk und Leben gerät in Vergessenheit. Erst 1991 erscheinen unter dem Titel "Konfutse versteht nichts von Frauen" ihre Erzählungen, autobiographischen Texte und Gedichte.

Lange vor dieser Publikation hat sich der Dramaturg, Theater- und Rundfunkautor Hartmut Reiber intensiv mit dem Steffinschen Werk und ihrer konfliktreichen Biographie beschäftigt. Dabei entdeckt er das Theaterstück "Wenn er einen Engel hätte" und bringt es bereits 1978 am "Theater der Freundschaft" in Ostberlin zur Uraufführung. Nach drei Jahrzehnten ist aus den umfangreichen Recherchen eine Biographie über Margarete Steffin entstanden, die nun unter dem Titel "Grüß den Brecht" vorliegt. Da Reiber an einer zeit- und individualgeschichtlich präzisen Darstellung interessiert ist, stehen Gespräche mit Zeitzeugen wie Asja Lacis, Lou Eisler (Hanns Eislers Frau), Herwart Grosse oder Peter Weiss im Zentrum seiner Ausführungen. Zudem gelingt es Reiber vor allem Steffins Leben vor der Zeit mit Brecht zu rekonstruieren. Acht von insgesamt zwanzig Kapiteln widmet er der entbehrungsreichen Kindheit im Berliner Osten während des Ersten Weltkrieges und belegt ihr politisches Engagement in der Jugendbewegung sowie ihre Arbeit beim Proletarischen Gesundheitsdienst und als Sozialarbeiterin. Er berichtet auch vom frühen Ausbruch der tödlichen Tuberkulose und dass Brecht der erste Mensch ist, der sich der Krankheit aktiv stellt. Die zahlreichen Gespräche belegen auch Steffins frühes, emphatisches Interesse an Literatur, Musik und Theater. Indem Reiber das Gesprächmaterial in den Autortext integriert, gelingt ihm eine authentische und vielstimmige Darstellung. So wird verständlich, warum die russische Regisseurin und Theaterpublizistin Asja Lacis sich an die Freundin Steffin als eine feine, "unerhört humane Frau" erinnert und Brechts Notiz im "Journal" von 1941 über die gemeinsame Arbeit am "Arturo Ui" - "Grete züchtigt mich mit Skorpionen, der Jamben des 'Ui' wegen" -, ein äußerstes Maß an Hochachtung gegenüber der kreativ denkenden, "kleinen Lehrerin" Steffin ausdrückt.

Rezensiert von Carola Wiemers

Hartmut Reiber: Grüß den Brecht. Das Leben der Margarete Steffin
Eulenspiegel Verlag, Berlin, 2008
384 Seiten, 24,90 Euro