Eine unendliche Geschichte

Das Parkett des Wiener Musikvereins mit leeren Sitzreihen. Der Wiener Musikverein (beziehungsweise das Haus des Wiener Musikvereins) ist ein traditionsreiches Konzerthaus in Wien. In diesem Haus befindet sich der berühmte Große (Goldene) Musikvereinssaal, der als einer der schönsten und akustisch besten Säle der Welt gilt. Der Musikverein befindet sich im 1. Wiener Gemeindebezirk Innere Stadt in der Bösendorferstraße
Musikvereinssaal Wien © dpa/Markus C. Hurek
18.04.2014
Bachs Größe lässt sich nicht als Monumentalität genießen. Sie bleibt Ansporn der Erkenntnis, stets aufs Neue. Nikolaus Harnoncourt nimmt die Herausforderung wieder an. Im April dirigiert er Bachs Matthäuspassion. Sie hält stand wie nichts, die Matthäuspassion:
Dieses Opus summum und optimum, dieses einstens gottesdienstliche Ritual, seit Mendelssohns Wiederentdeckung ästhetische Modellwerk, dieses tiefprotestantische, jede Konfessionsgrenze sprengende Monument und Gefäß, das alle Gläubigenherzen beheimatet und über die Schreckensvision der Passion zum Erlösungsglück hinwegtröstet, um im selben Zuge auch den aufmüpfigsten Verstand zu allen Zeiten mit seiner "gelehrten Genialität“ (Hegel) zu befrieden; das selbst den abgefeimtesten Heiden durch "Innerlichkeit“ ästhetisch bezwingt und auch das kälteste Herz zu erweichen vermag mit unbezweifelbarer Größe ...
In der Interpretationsgeschichte des Werkes stellen Nikolaus Harnoncourts Einsichten und deren Umsetzung – seit seiner beispielhaften ersten Aufnahme bis heute sich auf immer neuen Erkenntnisstufen bewegend – gleichsam den Erdrutsch dar und sind eben nicht als "historisch“ orientiert abzubuchen, auch wenn sie die Situation der Entstehung und deren Realisierungsbedingungen, der technischen und instrumentalen Möglichkeiten wie Praktiken der Zeit als Denkansatz nutzen, und zwar nicht zu musealem Nachvollzug, gar idealtypischem Biotop des Gewesenen; denn der wäre gerade nicht "lebendig“.
Harnoncourt versteht Musik speziell des Barock wie menschliche Sprache, in der sich Leben als dramatische Situation musikalisch vollzieht; er hat uns gezeigt, wie Monteverdis "concitato“-Stil die eigentliche Grundlage für den Ausdruck seelischer Vorgänge im Subjekt darstellt, weil Monteverdi mit Musik spricht, was als Sprachfigur wiederum umschlägt in ein "instrumentales Figurenrepertoire“. Rhetorik, die Vielfalt der sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten, wird somit Basis von Bachs musikalischem Denken, der nun seinerseits die Sprachfiguration wieder, so Harnoncourt, "auf den Gesang rückübertragen“ hat.
Bachs Matthäuspassion ist dafür das grandioseste Beispiel. Sie ist in "Klangrede“ umgesetzte Emotion wie Reflexion – und: sie spiegelt damit eine Welt, in der sich das Subjekt aus seiner "selbstverschuldeten Unmündigkeit“ zu entfesseln sucht. (nach Georg-Albrecht Eckle in: Magazin der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien)
Aufzeichnung vom 05.04.2014

Johann Sebastian Bach
Matthäuspassion BWV 244

Michael Schade, Evangelist
Florian Boesch, Christus
Christine Schäfer, Sopran
Martina Janková, Sopran
Bernarda Fink, Alt
Elisabeth von Magnus, Alt
Mauro Peter, Tenor
Gerald Finley, Bass
Christian Immler, Bass
Wiener Sängerknaben
Arnold Schoenberg Chor
Concentus Musicus Wien
Leitung: Nikolaus Harnoncourt

ca. 21:20 Uhr Konzertpause mit Nachrichten