Eine typische Westfälin - wie ihr Romanheld

Von Daniel Stender · 27.02.2007
Que Du Luus erster Roman "Totalschaden" spielt in Bielefeld und erzählt die Geschichte von Patrick. Das Werk beschreibt die Annäherung zwischen ihm und seiner psychisch kranken Mutter als einen langwierigen Prozess. Für dieses Werk erhält die Autorin den Adelbert-von-Chamisso-Preis. Que Du Luu wohnt in Bielefeld – und ist Lokalpatriotin.
"Das ist natürlich ein schönes Gefühl, wenn man so sein Buch da sieht, dann geht man da auch so ab und zu gern hin samstags und guckt, wie viele verkauft wurden, da freut man sich dann wieder. Andererseits fragt man sich dann wieder: Haben sie die anderen Exemplare wirklich verkauft? Oder haben sie die Bücher weggenommen und wieder ins Lager gestellt? Man weiß es nicht."

Die beiden großen Buchhandlungen am Jahnplatz in Bielefeld haben Que du Luu schon immer interessiert – aber seit kurzem ist aus diesem Interesse eine richtige Leidenschaft geworden. Und die Leidenschaft ist so groß, sagt die 33-Jährige mit den glatten schwarzen Haaren und dem runden Gesicht, dass sie manchmal befürchtet, die Verkäuferinnen könnten sie schon kennen – so nach dem Motto: Da ist wieder die Frau Luu und guckt nach dem Buch. Allerdings sucht Que Du Luu nicht irgendein Buch – sondern ihr Buch, genauer gesagt: ihren Roman "Totalschaden". Fast als könnte sie es noch immer nicht ganz glauben, dass er nun in den Regalen steht.

"Da muss ich mal zu `L´ gehen. `Hera Lind´ - das ist schon mal gut. Ich seh mich nicht, dass ist ja sehr bedauerlich, weil letzte Woche standen hier noch zwei Bücher. Vielleicht sind die ja verkauft worden – auch gut."

"Totalschaden" ist Que Du Luus erster Roman - er spielt in Bielefeld und erzählt die Geschichte von Patrick. Patrick ist Mitte Zwanzig, unbeholfen mit den Frauen und wortkarg. Auf den ersten Blick: ein Langweiler. Patrick, sagt Luu, passe ganz gut nach Bielefeld, er sei eben ein typischer Westfale: Nicht gleich herzlich, aber freundlich und pragmatisch. Eine Beschreibung, die auch auf Que Du Luu passt: Schließlich ist sie Lokalpatriotin.

"Ja, es ist einfach eine Stadt für Pragmatiker, es ist weder dörfisch, so dass man Angst haben muss die Nachbarn tuscheln über einen, es ist aber auch keine ganz anonyme Großstadt und ja – Bielefeld ist einfach die sicherste Stadt überhaupt. Es gibt hier keine Naturkatastrophen, keine Überflutungen, keine Waldbrände, keine Erdbeben – also hier passiert einfach gar nichts an Katastrophen."

Ganz so pragmatisch ist der Roman "Totalschaden" dann aber doch nicht. Denn Luu erzählt in einer humorvollen und knappen Sprache von Patricks persönlicher Katastrophe: Patricks Mutter ist psychisch krank und lebt seit Jahrzehnten in einer Anstalt in Bielefeld Bethel:

"Ich wusste, dass meine Mutter seit Jahren im `Sonnenhof´, einer Einrichtung in Bethel, lebte. Von dort waren immer die Anrufe gekommen ... War sie noch verrückter geworden? Sah sie immer noch den verdammten Einstein? ... Wer waren meine Großeltern? Waren sie beide verrückt gewesen oder nur einer von ihnen? War es nicht allein der Fluch der gemeinsamen Gene, der einen verrückt machte?"

"Totalschaden" beschreibt die Annäherung zwischen der psychisch kranken Mutter und ihrem Sohn als einen langwierigen Prozess. Die Idee zu dieser Geschichte bekam Que Du Luu durch einen Job als Nachtwache in der Psychiatrie. Eine ernüchternde Erfahrung.

"Anfangs ist das natürlich interessant, wenn man in der Psychiatrie arbeitet, weil die Leute sind natürlich sehr – wie soll man sagen – ungewöhnlich. Wenn jemand sagt, die Nachbarin will einen mit dem Videorecorder verstrahlen, dass sind natürlich Sachen, die ungewöhnlich sind und deshalb interessant, aber wenn da immer solche Sachen kommen, dann ist das auf Dauer auch sehr langweilig."

Für "Totalschaden" erhielt Que du Luu den Chamisso-Förderpreis – eine für die Germanistikstudentin überraschende Ehrung. Zwar wird der Preis an Autoren mit Migrationshintergrund vergeben. Aber gerade ihre Biographie thematisiert Que Du Luu in "Totalschaden" nicht – der einzige erzählerische Verweis auf ihre asiatische Herkunft ist Patricks Vorliebe für chinesische Küche.

"Ich denk mir, dass jeder Mensch, egal, ob er hier aufgewachsen ist oder woanders herkommt, Themen hat, die für jeden Menschen wichtig sind: Familie, Freundschaft, Liebe oder Einsamkeit. Das sind so Grundthemen, die ich natürlich auch habe und deswegen mein ich, dass ich in meinen Geschichten nun nicht auf Teufel komm raus immer so nen kulturellen Hintergrund betonen muss. Mir ist natürlich klar, dass das nun ein wichtiger Bestandteil von mir ist, die Kultur und ich wird dieses Thema auf jeden Fall in einer Geschichte verarbeiten, aber nicht in jeder Geschichte."

Que Du Luus Eltern flohen 1976 nach dem Ende des Vietnamkrieges aus dem Land – die Schuhhändlerfamilie aus der chinesischen Minderheit wurde enteignet und musste in der Volksrepublik um ihr Leben fürchten. Familie Luu entkam, zusammen mit anderen Boat-People. 56 Personen auf einem 21 Meter langen Schiff:

"Ich selber hab keine Erinnerungen mehr daran, weil ich noch sehr klein gewesen bin, ich hab natürlich ein paar Fotos gesehen und mir Erzählungen angehört. Das eine, was ich noch weiß, dass ich im Boot, als es sehr stürmisch war, hin und her gerollt bin unten und mich übergebn musste, aber da weiß ich auch nicht, ob ich dass weiß oder, ob mir dass vielleicht erzählt wurde."
Bei der Flucht war Que Du Luu drei Jahre alt – über Umwege kamen sie und ihre Eltern nach Deutschland, ein großer Teil der restlichen Familie lebt heute in Australien.

Deutsch lernte sie im Kindergarten. Mit ihren Eltern und den beiden älteren Geschwistern, die sie bei ihrer Arbeit als Schriftstellerin immer unterstützt haben, spricht sie chinesisch. Was manchmal auch zu Missverständnissen führt. Denn chinesisch ist eine Tonsprache – ein und dasselbe Wort kann unterschiedlich betont, etwas anderes bedeuten.

"Zum Beispiel `kaufen´ und `ungekochter Reis´ ist das gleiche Wort, meine Mutter hat mich mal gefragt, ob sie mir was mitbringen solle und ich sagte `Reis´ und sie sagte `Ja, ich weiß, dass ich was kaufen soll – aber was?´ Und ich sagte wieder `Reis.´ - Ich hab´s immer falsch ausgesprochen, so dass ich immer Kaufen statt Reis gesagt hab."

Eine Episode, die Que Du Luu auch literarisch verarbeitet hat: In dem Kurzkrimi "Frau Wong geht einkaufen" sagt die sterbende Frau Wong immer wieder "mai" - der Kommissar versteht, dass Frau Wong einkaufen gehen will – gemeint ist aber der Täter, ein gewisser Herr Reis.

In Vietnam war Que du Luu noch nie, sie will sich das Land mal anschauen, aber ihre Heimat ist Herford, wo sie aufgewachsen ist. Oder auch: Bielefeld. Schließlich gibt es in der Buchhandlung am Jahnplatz eine Ecke für die Autoren aus der Region – Autoren, wie Que Du Luu.

"Es gibt hier in dieser Buchhandlung direkt am Eingang so ein Regal, für lokale Literatur, so über Bielefeld und hier die Umgebung,– aber da bin ich jetzt auch ausverkauft, da am Eingang."