Eine Stadt voller Tugend und Glück
Eine Ausstellung in Wuppertal beleuchtet eine heute nostalgisch verklärte Epoche: das Biedermeier. Genauer gesagt sind es vier Ausstellungen, die verschiedene Schwerpunkte thematisieren und an ganz unterschiedliche Schauplätze führen: ins von der Heydt-Museum, ins Engels-Haus, in eine Kirche und ins Völkerkunde-Museum.
Friedrich Platzhoff leistet sich Extravaganz: Nicht nur eine leuchtend gelbe Weste trägt der gutaussehende junge Herr zum schwarzen Frack mit hoher weißer Halsbinde. Er hat auch ein Notenblatt in der Hand, und neben ihm liegt seine Geige.
Solche Anzeichen von Vergnügen und Müßiggang unterscheiden ihn markant von den Herren und Damen seines Kreises, der in der Portraitgalerie im von der Heydt-Museum wieder zusammen gefunden hat. Damals sehr in Mode und hoch bezahlt, haben die Kaufleute und Bankiers aus Barmen und Elberfeld, ihre Frauen und Kinder portraitiert. Und da herrschen ganz andere Attribute vor: Bei den Herren die Taschenuhren als Symbole der Pünktlichkeit und Genauigkeit, die Baupläne für Fabrikgebäude, die das Wachsen und Gedeihen der Unternehmungen belegen – die Stickrahmen und Gebetbücher bei den Damen, die immerhin mit reichen Spitzenhauben und Kragen, mit wenigen, aber ausgesuchten Schmuckstücken und kostbar bestickten Schals ein wenig von dem Glück, dem Wohlstand und der hoch angesehenen Stellung zeigen durften, die man sich durch Tugend, durch strenge Arbeitsmoral, Frömmigkeit und Wohltätigkeit erworben hatte.
Wahrscheinlich gibt es wenige Orte, an denen sich die Veränderungen und die charakteristischen Verhältnisse, die die Umbrüche des frühen 19. Jahrhunderts hervorgebracht haben, besser darstellen ließen als in Wuppertal. Insofern haben die Kulturinstitute der Stadt, die sich für diese Biedermeier-Ausstellung zusammengetan haben, ein ideales Thema gefunden. Elberfeld und Barmen sind geradezu Produkte dieser Epoche. Die Städte waren Vorreiter der Industrialisierung, zwischen 1820 und 1850 konnten sie ihre Bevölkerung verdreifachen, der Aufschwung der Textilindustrie brachte die bürgerliche und großbürgerliche Klasse hervor, die die Alltagskultur des Biedermeier prägte.
"Also das Leben der Familie war geschützt, und in dem Familienleben hat sich das Biedermeier selbst gefunden, das Rollenverhältnis von Mann und Frau, von den Kindern, das alles ist in diesem geschützten Raum des Hauses , des engeren Kreises gewesen."
Dr. Eberhard Illner hat die Ausstellungen koordiniert. Er leitet das Historische Zentrum, das im Engels-Haus beheimatet ist, dem ehemaligen Wohnhaus der Textilfabrikanten-Familie Engels. Die seidenbespannten Sofas, die glänzenden und mit Einlegearbeiten verzierten Möbel aus poliertem Obstholz, die man dort sehen kann, strahlen noch den Stil und den Wohlstand der Zeit aus.
"Hier in Wuppertal relativ bescheiden, weil man ja reformiert war, als Pietist wurde sehr streng gearbeitet, die Rechenhaftigkeit spielte eine große Rolle, von daher ist es eine besondere Mischung: Man hatte das Geld, man hat es aber nicht protzig nach außen gezeigt, sondern für kulturelle Zwecke eingesetzt, und für sozialpolitische Zwecke, die Hilfsvereine, die hier eine große Rolle gespielt haben."
Zur Arbeit der zahlreichen Fürsorge- und Bildungsvereine zeigt die Ausstellung in der Citykirche Bilder und Dokumente, während im Völkerkundemuseum die rege Missionstätigkeit, die von den Wuppertaler Gemeinden ausging, beleuchtet wird. Neben ihren ausführlichen Rechenschaftsberichten schickten die Missionare aus Afrika und Ozeanien auch Kunstwerke, die den Grundstock der Sammlung gelegt haben.
"Es ist auch 'ne aufklärerische Tendenz, diese Zeit differenziert zu sehen. Natürlich die wichtigen Funktionen, die das Bürgertum hatte, zu erkennen, aber auch zu sehen, dass auch die Zeitgenossen diese Zeit kritisch begleitet haben."
Das ist nun das eigentliche Thema im Engels-Haus, dem Elternhaus jenes Friedrich Engels, der zusammen mit Karl Marx die ökonomischen und sozialphilosophischen Theorien entwickelt hat, die der biedermeierlichen Idylle seiner Herkunft den Kampf ansagten. Das Engels-Haus beschäftigt sich mit der Kritik am Biedermeier, in Büchern, Zeitschriften, vor allem aber in Karikaturen.
"Es gibt ja nicht nur die Bezeichnung Biedermeier, die aus dem Kunsthandwerk oder dem Theater kommt, sondern auch den Vormärz, das ist die Literatur der 30er-, 40er-Jahre: Heine, Werth, Freiligrath, also die Autoren, die Deutschland auch kritisch gesehen haben, und die bieten so spritzige und anregende Motive, genauso wie die Karikaturisten, dass man erstaunt ist, was alles geschaffen worden ist."
Eine ganze Serie der bunten Bilderbögen ist da zu sehen, die komische Episoden aus dem schon damals sprichwörtlichen Krähwinkel unter die Leute brachten: Geschichten, in denen Schlichtheit in Dummheit, Bescheidenheit in Borniertheit umkippt und so manche bürgerliche Tugend als trügerischer Schein entlarvt wird, der Gewinnsucht, Missgunst und Korruption bemäntelt. Die Wuppertaler Ausstellungen zeigen viele Facetten und durchaus auch die Kehrseiten einer Zeit, die von Zensur, Repression und zunehmender Erstarrung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt war. "Tugend und Glück", und dann auch noch in harmonischer Verbindung, waren oft nur eine schöne Illusion - in Krähwinkel, in Wuppertal und in ganz Deutschland.
Service:
Die Ausstellung "Von Tugend und Glück - Die private Welt der Bürger 1815 - 1850" ist bis 21. Oktober 2010 in Wuppertal zu sehen. Weitere Informationenim Internet.
Solche Anzeichen von Vergnügen und Müßiggang unterscheiden ihn markant von den Herren und Damen seines Kreises, der in der Portraitgalerie im von der Heydt-Museum wieder zusammen gefunden hat. Damals sehr in Mode und hoch bezahlt, haben die Kaufleute und Bankiers aus Barmen und Elberfeld, ihre Frauen und Kinder portraitiert. Und da herrschen ganz andere Attribute vor: Bei den Herren die Taschenuhren als Symbole der Pünktlichkeit und Genauigkeit, die Baupläne für Fabrikgebäude, die das Wachsen und Gedeihen der Unternehmungen belegen – die Stickrahmen und Gebetbücher bei den Damen, die immerhin mit reichen Spitzenhauben und Kragen, mit wenigen, aber ausgesuchten Schmuckstücken und kostbar bestickten Schals ein wenig von dem Glück, dem Wohlstand und der hoch angesehenen Stellung zeigen durften, die man sich durch Tugend, durch strenge Arbeitsmoral, Frömmigkeit und Wohltätigkeit erworben hatte.
Wahrscheinlich gibt es wenige Orte, an denen sich die Veränderungen und die charakteristischen Verhältnisse, die die Umbrüche des frühen 19. Jahrhunderts hervorgebracht haben, besser darstellen ließen als in Wuppertal. Insofern haben die Kulturinstitute der Stadt, die sich für diese Biedermeier-Ausstellung zusammengetan haben, ein ideales Thema gefunden. Elberfeld und Barmen sind geradezu Produkte dieser Epoche. Die Städte waren Vorreiter der Industrialisierung, zwischen 1820 und 1850 konnten sie ihre Bevölkerung verdreifachen, der Aufschwung der Textilindustrie brachte die bürgerliche und großbürgerliche Klasse hervor, die die Alltagskultur des Biedermeier prägte.
"Also das Leben der Familie war geschützt, und in dem Familienleben hat sich das Biedermeier selbst gefunden, das Rollenverhältnis von Mann und Frau, von den Kindern, das alles ist in diesem geschützten Raum des Hauses , des engeren Kreises gewesen."
Dr. Eberhard Illner hat die Ausstellungen koordiniert. Er leitet das Historische Zentrum, das im Engels-Haus beheimatet ist, dem ehemaligen Wohnhaus der Textilfabrikanten-Familie Engels. Die seidenbespannten Sofas, die glänzenden und mit Einlegearbeiten verzierten Möbel aus poliertem Obstholz, die man dort sehen kann, strahlen noch den Stil und den Wohlstand der Zeit aus.
"Hier in Wuppertal relativ bescheiden, weil man ja reformiert war, als Pietist wurde sehr streng gearbeitet, die Rechenhaftigkeit spielte eine große Rolle, von daher ist es eine besondere Mischung: Man hatte das Geld, man hat es aber nicht protzig nach außen gezeigt, sondern für kulturelle Zwecke eingesetzt, und für sozialpolitische Zwecke, die Hilfsvereine, die hier eine große Rolle gespielt haben."
Zur Arbeit der zahlreichen Fürsorge- und Bildungsvereine zeigt die Ausstellung in der Citykirche Bilder und Dokumente, während im Völkerkundemuseum die rege Missionstätigkeit, die von den Wuppertaler Gemeinden ausging, beleuchtet wird. Neben ihren ausführlichen Rechenschaftsberichten schickten die Missionare aus Afrika und Ozeanien auch Kunstwerke, die den Grundstock der Sammlung gelegt haben.
"Es ist auch 'ne aufklärerische Tendenz, diese Zeit differenziert zu sehen. Natürlich die wichtigen Funktionen, die das Bürgertum hatte, zu erkennen, aber auch zu sehen, dass auch die Zeitgenossen diese Zeit kritisch begleitet haben."
Das ist nun das eigentliche Thema im Engels-Haus, dem Elternhaus jenes Friedrich Engels, der zusammen mit Karl Marx die ökonomischen und sozialphilosophischen Theorien entwickelt hat, die der biedermeierlichen Idylle seiner Herkunft den Kampf ansagten. Das Engels-Haus beschäftigt sich mit der Kritik am Biedermeier, in Büchern, Zeitschriften, vor allem aber in Karikaturen.
"Es gibt ja nicht nur die Bezeichnung Biedermeier, die aus dem Kunsthandwerk oder dem Theater kommt, sondern auch den Vormärz, das ist die Literatur der 30er-, 40er-Jahre: Heine, Werth, Freiligrath, also die Autoren, die Deutschland auch kritisch gesehen haben, und die bieten so spritzige und anregende Motive, genauso wie die Karikaturisten, dass man erstaunt ist, was alles geschaffen worden ist."
Eine ganze Serie der bunten Bilderbögen ist da zu sehen, die komische Episoden aus dem schon damals sprichwörtlichen Krähwinkel unter die Leute brachten: Geschichten, in denen Schlichtheit in Dummheit, Bescheidenheit in Borniertheit umkippt und so manche bürgerliche Tugend als trügerischer Schein entlarvt wird, der Gewinnsucht, Missgunst und Korruption bemäntelt. Die Wuppertaler Ausstellungen zeigen viele Facetten und durchaus auch die Kehrseiten einer Zeit, die von Zensur, Repression und zunehmender Erstarrung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse geprägt war. "Tugend und Glück", und dann auch noch in harmonischer Verbindung, waren oft nur eine schöne Illusion - in Krähwinkel, in Wuppertal und in ganz Deutschland.
Service:
Die Ausstellung "Von Tugend und Glück - Die private Welt der Bürger 1815 - 1850" ist bis 21. Oktober 2010 in Wuppertal zu sehen. Weitere Informationenim Internet.