Eine Stadt mit zwei Gesichtern

Von Leonie March |
Spät erwacht aus dem Alptraum eines jahrelangen Bürgerkrieges zieht Mosambiks Hauptstadt Maputo Künstler, Musiker und immer mehr Touristen an. Gleichzeitig nimmt die Unzufriedenheit derjenigen zu, bei denen angesichts leerer politischer Versprechen der Aufbruch nicht angekommen ist.
Stoßstange an Stoßstange stehen die Autos auf der Straße des 25. Juni, dem Tag der Unabhängigkeit Mosambiks von der portugiesischen Kolonialmacht. Der tägliche Stau - kein Ärgernis, sondern ein Zeichen des neuen Reichtums in Maputo.

Luxuskarossen mit verdunkelten Scheiben, einige mit Chauffeur, teure Geländewagen. Dazwischen überfüllte Minibus-Taxis, klapprige motorisierte Rikschas, ein alter Mann, der eine hölzerne Karre mit Schrottteilen hinter sich her zieht. Das andere Gesicht der Stadt.

Der stete Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre ist vor allem im Zentrum der mosambikanischen Hauptstadt sichtbar. Neue schicke Bürogebäude und Appartements werden errichtet. Die Tristesse der grauen Betonfassaden der mehrstöckigen Wohnblöcke, die nach der Unabhängigkeit 1975 im sozialistischen Stil gebaut wurden, wird dadurch noch sichtbarer. Geblieben aus dieser Ära sind nur die Straßennamen, die angesichts des kapitalistischen Alltags etwas fehl am Platz wirken: von der Avenida Mao Tse Tung, Vladimir Lenin oder Ho Chi Minh bis hin zum Praca Robert Mugabe.

Ein junger Mann tritt aus einem der vielen Straßencafés auf den Bürgersteig. Pedro do Amaral ist in Maputo geboren. Tagsüber arbeitet er als Übersetzer und in einem kleinen Tourismusunternehmen, abends tritt der 29-Jährige, so oft er kann, als Musiker auf. Die Veränderungen in seiner Heimatstadt begeistern ihn:

"Diese Metamorphose zu beobachten ist großartig. Früher gab es hier kaum Infrastruktur, die Häuser waren fast alle alt und heruntergekommen. Jetzt wird alles erneuert. Jeder möchte, dass sich die Dinge verbessern, alles verändert sich. Es ist wunderbar, das mitzuerleben: Zu wissen, wie es einmal war, zu sehen, wie viel besser es heute ist und sich vorzustellen, wie es in Zukunft einmal sein wird."

Pedro biegt in die palmengesäumte, großzügig angelegte Avenida Julius Nyerere ein. Eine der Prachtmeilen Maputos, die auf einem Hügel parallel zur Küste verläuft. Viele Gebäude aus der Kolonialzeit sind liebevoll renoviert worden, wie das legendäre Hotel Polana, erbaut 1922. In altem Glanz thront es über dem Indischen Ozean, blendet strahlend weiß in der Sonne.

Der Gang durch das Foyer ist wie eine Zeitreise: Weißer Marmor, antike Holzmöbel, Kronleuchter, Flügeltüren zum Pool. An den Wänden gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos aus Kolonialtagen. Damals hieß Maputo noch Lourenço Marques, galt als eine der schönsten Metropolen Afrikas, auch für wohlhabende Europäer ein beliebtes Urlaubsziel. Das Polana war der Treffpunkt der Schönen und Reichen - heute logieren sie wieder hier.

Nach dem Unabhängigkeitskampf Mitte der 70er-Jahre folgten über 16 Jahre Bürgerkrieg. Er wütete vor allem in den Provinzen Mosambiks. Die Menschen flüchteten ins vergleichsweise sichere Maputo und die anderen Großstädte des Landes. Als 1992 das Friedensabkommen unterzeichnet wurde, war die Infrastruktur weitgehend zerstört. Auch in der Hauptstadt. Doch seitdem hat sich viel verändert. Die Hauptstraßen, die wegen tiefer Schlaglöcher kaum mehr zu befahren waren, wurden ausgebessert. Das Warenangebot in den Geschäften ist vielfältiger geworden. Überall in der Stadt wird auf Plakatwänden für die neueste Handygeneration oder für Autos geworben. Jeder, der es sich leisten kann, zeigt, was er hat. Portugiesen, die Mitte der 70er-Jahre fluchtartig das Land verlassen haben, kehren zurück, erzählt Pedro do Amaral:

"Durch die Wirtschaftskrise in Europa suchen viele nach neuen Geschäftsmöglichkeiten und einer besseren Lebensqualität. Das ist hier in Maputo deutlich spürbar. Gerade für Portugiesen bietet sich die Stadt an: Einige von ihnen wurden hier geboren, sind hier aufgewachsen. Sie haben eine emotionale Bindung zu unserer Stadt. Es ist also durchaus ein Trend, dass sie zu ihren Wurzeln zurückkehren, hier etwas aufbauen und ihr Leben in Maputo führen."

Der 29-jährige Pedro do Amaral hat selbst zwei Jahre in Kapstadt gelebt. Er stammt aus dem mosambikanischen Mittelstand, sein Vater arbeitet im Außenministerium, seine Mutter ist Sekretärin. Im Gegensatz zu den meisten seiner Landsleute hat er eine gute Ausbildung genossen. Damit stehen ihm in Maputo viele Türen offen.

"Die Stadt ist für viele Unternehmen ein nahezu jungfräulicher Markt. Für mich macht es daher keinen Sinn, nur wegen der Arbeit woanders hinzuziehen. Es gibt hier zahlreiche Möglichkeiten. Deshalb denke ich momentan auch nicht daran, Maputo so bald wieder zu verlassen."

Aber nicht alle Bürger der Zwei-Millionen-Metropole sind so privilegiert. Über die Hälfte der Mosambikaner lebt auch heute unterhalb der Armutsgrenze. Viele Menschen aus den ländlichen Provinzen erhoffen sich in Maputo ein besseres Leben. Am Stadtrand wachsen die Armenviertel. Kleine Hütten und Häuser drängen sich dicht an dicht. Am Rand der sandigen Straßen und Wege verkaufen Händler Holzkohle, lebende Hühner und Gemüse. Frauen tragen ihre Babys mit traditionellen Capolanas, bunt bedruckten Baumwolltüchern, auf dem Rücken. Es riecht nach Feuer und Abwasser.

Vor einer der Hütten sitzt ein grauhaariger Mann, der sich als Tito vorstellt. Er war erst 16, als er in die Armee eintrat, brachte es bis zum Rang eines Captain bei der Frelimo, der kommunistischen Befreiungsbewegung, die das Land seit Ende des Bürgerkrieges regierte und sich Ende der 80er-Jahre offiziell vom Marxismus lossagte. Heute erhält der Vater von acht Kindern eine kleine Pension vom Staat und arbeitet zusätzlich als Wachmann. Damit ginge es ihm finanziell besser als den meisten in der Nachbarschaft, meint er. Doch von der politischen Führung der Männer, denen er 20 Jahre lang gedient hat, ist er enttäuscht:

"Zu Beginn haben wir gegen die Portugiesen gekämpft, die Kolonialherren. Wir hatten alle ein gemeinsames Ziel: die Unabhängigkeit. Doch danach, im Bürgerkrieg, wurde die Lage wesentlich unübersichtlicher. Auf einmal gab es unterschiedliche Parteien, die gegeneinander kämpften. Heute entspricht die politische Situation nicht unseren Erwartungen von damals. Die Ministerien konkurrieren miteinander, statt zusammen zu arbeiten, in der Regierungspartei gibt es heftige Flügelkämpfe. Darüber haben sie das Volk vergessen."
Als Beispiel nennt Tito die Brotpreise. Im September letzten Jahres wurden sie drastisch erhöht, ebenso wie die Abgaben für Strom und Wasser. Die Bevölkerung geriet an die Grenze ihrer Belastbarkeit, protestierte auf den Straßen Maputos. Autos brannten, Steine flogen, Läden wurden geplündert. Die Polizei griff hart durch, setzte scharfe Munition ein. 13 Menschen wurden getötet, über 400 verletzt. Die Regierung zog daraufhin die Notbremse, machte die Preiserhöhung rückgängig. Jedenfalls auf dem Papier. Die Realität sehe anders aus, kritisiert Tito:

"Die Regierung hat zwar beschlossen, die Preise wieder zu senken, aber die Geschäftsleute halten sich nicht daran. Sie verlangen, was sie wollen. Es gibt keinerlei Kontrollen. Die Behörden sind hier viel zu nachlässig."

Die Regierung sitzt fernab der Armenviertel, abgeschottet von der Bevölkerung in prächtigen Kolonialbauten auf einem der vielen Hügel Maputos mit Blick auf die türkisblaue Bucht des indischen Ozeans. Etliche Straßen sind abgesperrt. Mit Maschinengewehren bewaffnete, finster drein schauende Soldaten bewachen den Palast von Präsident Armando Guebuza rund um die Uhr. Ganz in der Nähe: Die ausländischen Botschaften, die Büros der Vereinten Nationen, etlicher internationaler Stiftungen und NGOs. Mosambik hängt noch immer am Tropf der Entwicklungshilfe, die fast die Hälfte des Staatshaushalts ausmacht.

In einer schattigen, ruhigen Seitenstraße der Gegend befindet sich auch das Büro der Nichtregierungsorganisation "Action Aid", die für die Armutsbekämpfung eintritt. Programmdirektor Eduardo Costa sitzt vor dem Laptop an seinem Schreibtisch. Die Situation in der Hauptstadt stehe stellvertretend für die Lage im ganzen Land, meint der engagierte Menschenrechtler:

"In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass die Regierung nur am Wirtschaftswachstum interessiert ist. Koste es, was es wolle. Für sie ist das gleichbedeutend mit Entwicklung. Doch die Rechnung geht nicht auf: Die Zahl der armen Menschen nimmt zu und die Unterschiede zwischen Arm und Reich werden immer größer. Die Bevölkerung hat jahrelang Geduld und Verständnis für die Regierung aufgebracht. Doch inzwischen ist vielen klar, dass die Politiker keineswegs selbst Opfer bringen und dass allein die großen Unternehmen immer reicher werden. Beschwerden von Bürgern stoßen bei der Regierung regelmäßig auf taube Ohren. Die Konsequenz waren die Proteste vom September."

Angespannt wirkt die Stimmung in der Stadt dennoch nicht, trotz der wachsenden Unzufriedenheit in der verarmten Bevölkerung. Auf den zentralen Plätzen, den Parks und Märkten ist nach den Protesten im vergangenen Herbst der Alltag wieder eingekehrt. Touristen, die Maputo als Urlaubsziel wieder entdecken, haben ohnehin von den Unruhen kaum etwas mitbekommen. Viele bleiben in den klimatisierten Hotelanlagen und bekannten Fischrestaurants der Strandpromenade, besuchen Attraktionen, wie den von Gustave Eiffel entworfenen Bahnhof. Es ist möglich, nur das eine Gesicht Maputos zu sehen.

Beide Teile der Stadt verschmelzen in der Kulturszene. Im quirligen Baixa, dem ältesten Stadtteil Maputos, liegt das Teatro Avenida. Von außen ein schmales, unauffälliges Gebäude, leicht zu übersehen. Manuela Soeiro hat es vor 25 Jahren gegründet, Markenzeichen sind politische und gesellschaftskritische Stücke. International bekannt wurde ihr Theater aber erst durch die regelmäßige Zusammenarbeit mit dem schwedischen Autor Henning Mankell.

Manuela Soeiro ist eine 1,50 Meter kleine, viel beschäftigte, charismatische Frau. Sie kümmert sich um alles im Haus, von der Gestaltung der Plakate bis zu wackelnden Stühlen im Theatersaal. Etwas erschöpft lässt sie sich auf einen der Stühle im Café der Bühne fallen, nippt an ihrem Espresso. Meine Schauspieler treten nicht nur hier auf, beginnt sie zu erzählen, sondern auch in den Armenvierteln. Mit Themen, die Menschen bewegen: Die Flutkatastrophe vor mehreren Jahren, die Folgen der Ausbreitung von Aids, die Situation von Straßenkindern, häusliche Gewalt und nun die Proteste nach der Brotpreiserhöhung.
"Normalerweise geht es in unseren Stücken um soziale Themen, um die Wurzeln alltäglicher Probleme. Wir üben keine direkte politische Kritik, sondern beziehen eine gesellschaftskritische Position. Dabei spielt Humor immer eine große Rolle. Wir betrachten ernste Themen mit einem Augenzwinkern. Wir vermitteln unsere Botschaft, während wir eine heitere Geschichte erzählen. Auf diese indirekte Art wollen wir die Leute zum nachdenken anregen. So führen wir angesichts der Proteste vom September zum Beispiel Dario Fo’s Satire 'Bezahlt wird nicht!' auf."

Das Teatro Avenida ist als ältestes professionelles Theater eine Institution in Maputo. Ein Vorbild, an dem sich junge Künstler heute orientieren, sagt die Leiterin des Schauspielhauses stolz:

"Maputo beginnt sich in dieser Hinsicht zu entwickeln: Es gibt viele Bands, Tanz- und Theaterensembles, bildende Künstler. In der letzten Zeit haben eine ganze Reihe Kulturzentren eröffnet. Die künstlerische Szene in Maputo wächst kräftig. Wissen Sie, wir haben hier zwar nicht viel Geld, aber dafür jede Menge Energie. Und die gibt uns die Kraft, der Regierung, den Politikern, und jedem anderen zu beweisen, dass Mosambik viel erreichen kann."

Diese Aufbruchstimmung ist an vielen Orten Maputos zu spüren. In einer Art Liebeserklärung an die Hauptstadt Mosambiks schreibt Henning Mankell:

"Die Menschen hier haben entsetzliches Leid erfahren, ohne ihre Würde und ihre positive Lebenseinstellung zu verlieren. Ihr Wille zu Fortschritt und Entwicklung ist ungebrochen. Sie haben niemals aufgegeben."