Eine Schule fürs Leben
Schleswig-Holstein führt zum nächsten Schuljahr als erstes Bundesland das Unterrichtsfach "Verbraucherbildung" ein. Schüler lernen, aggressiven Werbeangriffen zu widerstehen und raffinierten Werbeversprechen zu misstrauen.
Die Schulradios von Berlin und Brandenburg versorgen ihre Verbraucher mit Informationen über den Schulalltag: Ausfallstunden, AG-Angebote und Klassenfahrten. Sie alle sind über die Internetplattform "Schulradio-Network" miteinander vernetzt, ein Projekt der Medienanstalt Berlin-Brandenburg.
Verbraucherbildung als Schulfach
Von Matthias Günther
In der Lehrküche der Gemeinschaftsschule in Süderbrarup sind in dieser Stunde Fünftklässler am Werk:
"Wir schlagen jetzt hier die Eier auf. Und dann rühren wir den Teig an."
Die Schüler machen Eierkuchen. Aber nicht etwa Kochen steht auf dem Stundenplan, sondern das neue Schulfach Verbraucherbildung. Lehrerin Claudia Wenzel erklärt, was sie den Schülern vermittelt:
"Sie lernen, Entscheidungen zu treffen. Wir haben zum Beispiel die Milch untersucht, wir haben Geschmacksproben gemacht, uns die Verpackung angeguckt, wir haben uns die neuen Haltbarkeitsverfahren angeguckt, und was muss denn da drauf stehen, wenn eine Milch homogenisiert ist, pasteurisiert ist, was heißt das denn überhaupt, was steckt dahinter. Und bei Eiern haben wir das auch gemacht und haben zum Beispiel geguckt, wie ist das mit den Hühnern, wie werden die gehalten, will ich das, dass mein Huhn da im Käfig sitzt, oder bin ich bereit, dann auch vielleicht einen Cent mehr auszugeben, wenn ich ein freilaufendes Huhn habe."
Claudia Wenzel hat zuvor Haushaltslehre unterrichtet. In anderen Bundesländern heißt das Fach Hauswirtschaft. Kritische Informationen über den Bereich Ernährung und Gesundheit hätten auch dort vermittelt werden sollen, sagt die Lehrerin:
"Das haben wir schon immer im Lehrplan gehabt. Nur ist es ja überall so abgeschafft worden, fachfremd unterrichtet worden, ach wir kochen hier mal so ein bisschen, und die eigentlichen Inhalte, die wir da immer gehabt haben, diesen Lebenspraxisbezug, den wir hatten, reell das umsetzen, das ist so verloren gegangen. Und wir hoffen, dass das jetzt mit diesem neuen Fach wieder aufersteht."
Die Lehrerin hält es für richtig, schon in der fünften Klasse mit der Erziehung zu einem mündigen Verbraucher zu beginnen:
"Man kann ja nur seine Entscheidung als Verbraucher fällen, wenn jemand Hintergrundinformationen hat. Natürlich muss man in der fünften Klasse gucken, wo stehen sie jetzt, wo holen wir sie ab. Da haben wir uns orientiert an den Grundnahrungsmitteln, Eier, Milch, Mehl, Getreide, solche Dinge. Und den Spaß natürlich: die Zubereitung, wie man sieht, die macht ihnen besonders viel Freude."
Für das neue Fach Verbraucherbildung hat Claudia Wenzel eine Fortbildung gemacht. Neben Ernährung und Gesundheit steht später – ab der siebten Klasse – auch der Bereich Konsum und Lebensstil auf dem Lehrplan. Dort lernen die Schüler unter anderem, Versprechungen aus der Werbung zu hinterfragen, sie lernen auch, mit ihrem Taschengeld umzugehen oder wie sie ein Auto oder Moped kaufen, eine Wohnung einrichten oder einen Handy-Vertrag abschließen, ohne in der Schuldenfalle zu landen:
"Das ist ja das, was im Moment auch die Schuldnerberatungsstellen so einfordern. Sie sagen ja, das muss in der Schule passieren. Da müssen Kompetenzen geschult werden, wie Kinder mit ihren Finanzen umgehen müssen."
Den Lehrplan hat Ines Heindl, Direktorin des Instituts für Ernährungs- und Verbraucherbildung an der Universität Flensburg entwickelt – gemeinsam mit Wissenschaftlern aus anderen Ländern:
"Das, was wir jetzt hier in Schleswig-Holstein umsetzen dürfen, ist aus einem länderübergreifenden Projekt zwischen Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Schleswig-Holstein entstanden. Es begann so 2000/2001, und nun ist Schleswig-Holstein halt das erste Land, das das umsetzen kann, weil wir durch die Bildungsreform, durch veränderte Strukturen, eine Chance hatten, jetzt damit einzusteigen. Aber wir profitieren alle von diesen gemeinsamen Entwicklungen verschiedener Länder auf Bundesebene."
Die Einführung des neuen Schulfaches ist für Ines Heindl ein überfälliger Schritt, weil das Leben kompliziert geworden sei. Früher habe jeder Mensch einen Lebensstil gehabt, heute pflege jeder verschiedene Lebensstile:
"Heute gehe ich und suche etwas, was man unter Fastfood rechnet, morgen koche ich vielleicht mit Freunden sehr aufwändig und suche mir dann von gehobenen Produkten etwas aus, immer wenn ich es mir leisten kann. Und so findet man in jedem Menschen verschiedene Lebensstile. Oder aber nehmen wir mal Konsumstile. Ich orientiere mich vielleicht bei Elektro-Geräten auf einem gewissen Niveau, und bei anderen Produkten, die ich so im Alltag brauche, da habe ich ein völlig anderes Niveau im Rahmen meines Lebensstils. Und das findet man heute in einem Menschen im Unterschied zu früher."
Man könne nicht erwarten, dass die Eltern ihre Kinder auf diese komplizierte Welt vorbereiten könnten, meint Ines Heindl. Auch Erwachsene hätten manchmal Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden:
"Man braucht ja nur in einem Supermarkt zu stehen, in einem einigermaßen ausgestatteten Supermarkt. Wenn ich vorne reinkomme und habe jetzt nicht meinen Einkaufszettel und weiß genau, was ich will, dann laufen viele Verbraucher erst einmal orientierungslos durch diese Märkte. Sie brauchen Informationen. Aber die im Einzelnen zu bekommen, dann mache ich den ganzen Tag nichts Anderes mehr als mich damit zu beschäftigen. Es geht um die Strategien. Die Strategien, Verflechtungen zu durchschauen, schneller zu erkennen, wer hat hier jetzt welche Interessen, wie werde ich manipuliert, über Medien, über Werbung usw., um diese Strategien geht es ganz zentral, mehr als um tausendfache Einzelinformationen."
Der Schulunterricht soll auch dazu beitragen, einem immer größer werdenden Problem beizukommen:
"Ganz sichtbare und augenscheinliche Probleme, auf die ja vieles zurückgeführt wird, ist die Übergewichtsproblematik, die immer früher beginnt bei Kindern und Jugendlichen. Das belegen jetzt auch genügend Studien, hat mit Ernährung und Bewegung zu tun, es ist nicht nur alleine die Ernährung, aber leider besteht eben auch der Zusammenhang, dass in so genannten bildungsfernen Schichten dieses Problem größer ist. Früher sind arme Menschen, wenn ich das mal so sagen darf, eben eher untergewichtig und schlank gewesen. Und das hat sich völlig umgedreht. Hat natürlich so verschiedene Gründe. Nahrung ist so billig wie nie zuvor. Auch bei einem geringen Nahrungsbudget kann man davon leider auch noch dick werden. Das sind ganz verdrehte Welten, mit denen wir das zu tun haben."
Die Gemeinschaftsschule in Süderbrarup hat die Themen Gesundheit und Ernährung aus diesem Grunde schon vor Jahren in das Schulprogramm aufgenommen. In der offenen Ganztagsschule kochen Schüler für Schüler und Lehrer. Die Eltern haben das von Anfang an unterstützt, sagt Schulleiterin Jutta Mroczkowski.
"Eltern haben oft gesagt, dass es dazu gehört, dass Schüler das lernen. Und wir haben sehr viele Schüler, die sich dafür melden. Wir haben auch in der Cafeteria sehr viele Jungen, die da mitmachen, weil die Schüler fürs Leben lernen wollen. Das sagen sie selber. Sie wollen unabhängig werden von Fastfood. Und das ist hier so gewachsen, weil die Schüler hier ja auch essen. Wir haben sie daran gewöhnt, auch frische Sachen zu essen. Wir kochen ohne Convenience-Produkte, und früher mochten sie gar keinen Salat, dann haben wir den einfach als Vorspeise angeboten, und jetzt essen alle hier auch Salat und frische Sachen."
Die Schule war deshalb prädestiniert, das Fach Verbraucherbildung schon im vergangenen Schuljahr einzuführen - als Modellprojekt. Jetzt ist es reguläres Schulfach:
"Das können die Schüler wählen. Sie haben Projektkurse, können wählen zwischen Kunst, Musik, textilem Werken und Verbraucherbildung. Jeder Schüler muss das einmal gewählt haben. Entweder in Klasse Fünf oder Klasse Sechs, um sich da einzufinden und zu wissen, was da eben passiert. Denn wir bieten dieses Fach ab Klasse Sieben vierstündig an, alternativ zur Sprache."
Verbraucherbildung ist seit diesem Schuljahr Wahlpflichtfach für die Klassen 5 bis 10 an allen Gemeinschafts-, Regional- und Förderschulen in Schleswig-Holstein. Nicht jedoch an Gymnasien. Ines Heindl von der Universität Flensburg, die den Lehrplan entwickelt hat, hält es aber für durchaus möglich, dass Gymnasien zumindest Teile des Lehrplans übernehmen:
"Wenn ich mal an Wirtschaft/Politik denke an Gymnasien, Sekundarstufe II, dann kann ich mir wunderbar Anknüpfungspunkte vorstellen, weil wir uns auch bei diesem neuen Lehrplan darum bemüht haben, Synergieeffekte herzustellen – in welchen anderen Fächern finden sich auch Anteile, da haben wir uns sehr um Synergie-Effekte bemüht."
Beim Eierkuchen-Backen der Fünftklässler in Süderbrarup geht es voran:
"Also wir sind jetzt beim Pfanne-Anstellen, wir müssen jetzt das Fett in die Pfanne tun, ich rühr noch ein bisschen den Teig, weil das ein bisschen klumpig war, und jetzt ist es auch schon besser. Aber der Teig schmeckt nicht. Bei uns zu Hause schmeckt er besser – ich weiß auch nicht."
Eine andere Gruppe möchte noch eine Anleitung:
"Sollen wir das ganze Fett da rein tun? Ich meine jetzt die Butter."
Lehrerin Claudia Wenzel überlässt das den Schülern und erklärt:
"Man muss aufpassen, dass man nicht alle Fragen beantwortet. Sie sollen natürlich auch selber ein bisschen gucken, wie erreiche ich was, wie bekomme ich was. Ich habe auch schon nur Zutaten hingestellt, und dann haben sie selber geguckt, was machen wir denn jetzt daraus. Und sie arbeiten die Rezepte auch zu Hause nach. Sie probieren sich dann in der Küche und kochen es nach und erzählen mir dann hinterher, ob es gut geklappt hat oder nicht gut geklappt hat. Und sind ganz stolz auf ihre Leistungen. Und gerade auch die ganz schwachen Kinder, die profitieren dann natürlich hier von der Praxis. Wenn sie dann kognitiv das hier nicht leisten können, aber in der Praxis sind sie oft sehr verantwortungsbewusst und können manchmal mehr als die kognitiv Leistungsfähigeren."
Nicht nur das Kochen gefällt den Schülern an ihrem Unterrichtsfach:
"Ich finde das cool. Mir gefällt eigentlich alles außer das Abwaschen danach." "Ich finde, das ist sehr interessant, und man lernt auch viel: wie man fettarm kocht", "dass man viel trinken muss und wenig Naschis essen soll und so", "dass man nicht so viel Zucker zu sich nehmen soll, sondern eigentlich nährreiche Sachen wie Äpfel, Bananen"," man sollte nur einmal Süßes essen." "Zweimal in der Woche sollte man Fleisch essen und nicht jeden Tag. Das machen manche Eltern, die machen jeden Tag Fleisch – wie meine Oma."
Schulradio als Pausenknüller
Von Anja Schrum
"Einige meinen, die Schulklingel sei die Ablösung vom Schulunterricht, andere finden sie einfach nur nervig – Bei uns heißt es Pause, wenn in den Fluren Musik dröhnt. Schulradio 38. Achtung …"
Die Pausenklingel ist an der Peter Joseph Lenne-Gesamtschule längst abgeschafft. Stattdessen geht Schulradio 38 auf Sendung. Oder auch "Achtung Dreistig" wie die jungen Radiomacher witzeln.
"Einen wunderschönen guten Morgen, hier ist wieder euer Schulradio 38. Heute mit Lisa und Robert. Ja, wir sind leider nur als Vertretung hier, weil die Neuntklässler haben ihr Praktikum angefangen – und deshalb machen wir jetzt heute für euch Musik. Natürlich super Musik. Hier jetzte von Liquido ..."
Lautsprecherboxen hängen von der Decke. Beschallen den Eingangsbereich und die Flure der Potsdamer Gesamtschule mit dem schuleigenen Radioprogramm. 38 heißt das Radio übrigens, weil es Schule Nr. 38 in Potsdam ist.
Das "Sendestudio" von Radio 38 liegt gleich um die Ecke von der Eingangshalle. "Achtung Aufnahme" leuchtet es rot über Raum R5, dem ehemaligen Lehrer-Raucherzimmer:
"Was warn da so lustig? Hab ich das falsch ausgesprochen?"
Robert blickt fragend. Lisa zuckt mit den Schultern. Die beiden sitzen hinter Mikrofon, Mischpult und Computer. Besprechen schnell noch ihre nächste Moderation. Robert geht in die 13., Lisa in die neunte Klasse:
"Du kannst ja den Vornamen sagen und dann sag ich wieder das Lied. Weil ich kann Alexander Rybier – ich krieg das nicht hin mit dem Namen ... Genau, er ist Gewinner des Eurovisionen Songcontest, nicht?"
Die beiden Moderatoren, 14 und 18 Jahre alt, einigen sich, wer was sagt. Und welche Musik sie alles nächstes spielen wollen.
"Manchmal machen wir uns auch vorher Playlisten fertig, aber meistens machen wir das spontan, manche Schüler kommen ja auch hier rein und fragen uns, ob wir noch ein Lied für die spielen können, dass es dann auch mit reinpasst."
16 Jungen und Mädchen zählt die Schülerradio-Crew. Drei Mal pro Tag gehen die jungen Radiomacher auf Sendung.
"Einmal vor der Schule von 7.30 bis acht Uhr. Und dann halt die erste Pause und die zweite Pause auch jeweils eine halbe Stunde und alle zwei Wochen haben wir eine Radio-Versammlung und dort wird der Sendeplan besprochen, wer wann Radio macht."
Moderiert wird in zweier Teams. Fast jeder Song wird angesagt, mit Titel und Interpret. Damit die Schüler wissen, was läuft. Die Sendungen heißen "Pee Break" oder "Radio Brennt",.
"Viele haben so ihre feste Sendung, ich z.B. hab Montag vor der Schule, da machen wir halt Neueinsteiger, die aktuell gerade in den Charts eingestiegen sind. Am Mittwoch spielen wir die Lenne-Charts, da können unsere Schüler auf unserer Homepage voten für die Musik und die Musik wird halt dann gespielt, einmal im Monat muss ich dazu sagen, ansonsten machen wir mittwochs Themen-Sendungen, also Musik-Richtungen oder bekannte Werbehits oder solche Sachen."
Auch Hitzefrei, Kuchenbasar oder Fundsachen werden über das Schulradio angesagt. Demnächst soll es noch mehr Wort-Beiträge geben, sagt Robert.
"Ich versuche jetzt, dass das Radio wieder besser rüberkommt mit Beiträgen, weil die meisten spielen einfach eine Playliste und davon will ich wirklich wegkommen, dass wir wirklich tatsächlich als Radio so ein bisschen arbeiten. Da versuchen wir jetzt hinzukommen, dass auch das Radio mit Informationen gefüllt wird."
Die Schulradio-Crew hat eine eigene Webseite aufgebaut und beschallt auch Veranstaltungen wie zum Beispiel das Schulfest. In einer Kiste in der Ecke liegen Funkmikrophone und Lautsprecher-Boxen.
"Die Technik können auch andere Schulen von uns ausleihen. Mit Betreuung, dass wir bei denen so ein Fest begeleiten, die Technik halt stellen, ja."
Die Technik war auch das, was den 13-jährigen Fabian zum Schulradio gelockt hat.
"Ich find's halt einfach lustig mit der Technik rumzuspielen und, ja, mach einfach Spaß zu moderieren. Am Anfang hatte ich auch erst Schiss, ja, man gewöhnt sich dranne."
Lisa blickt auf den Count-Down-Zähler. Stupst Robert an. Setzt den Kopfhörer auf. Noch eine halbe Minute, dann sind die beiden wieder auf Sendung:
"Michael Jackson mit Thriller.
Und nun kommt …
Alexander Rybak, ich hoffe, ich hab's richtig ausgesprochen, der Eurovision-Songcontest-Gewinner aus ...
Norwegen.
Genau, mit seinem Song Fairytale"
Lisa spielt am liebsten die Charts. Ina mag vor allem deutschsprachigen Pop und Rock:
"Ich sag mal so, Juli, Silbermond und halt so die rockigeren: Revolverheld und so ..."
Doch nicht alles ist erlaubt bei Schulradio 38.
"Sone S C H- Wörter-Texte dürfen wir z.B. gar nicht spielen oder auch so Sachen wie von Sido damals, die alten Lieder, dürfen wir gar nicht spielen und wollen wir auch gar nicht. Ich persönlich jedenfalls nicht."
Die jungen Radiomacher arbeiten weitgehend selbstständig, haben aber einen Ansprechpartner an ihrer Seite, den Informatik-Lehrer Thomas Jandt:
"Musikstilistisch bin ich da eher der Tiefflieger. Ich höre gern Musik, die Musik, die die Kinder hier machen ist schön. Aber ich verstehe mich eigentlich als Unterstützer, ich möchte, dass die Kinder jeden Tag funktionierende Technik haben, ich möchte, dass die auf Workshops, die auch Brandenburg-übergreifend angeboten werden, ihre Fähigkeiten austesten und erweitern können."
Vor den Sommerferien waren vier Schüler und Schülerinnen der Radio-Crew beim zweiten School-Radio-Day in Frankfurt am Main. Haben dort Workshops zum Thema "Podcasting" oder "Moderation" besucht.
"Wie die sich mittlerweile gegenseitig im Griff haben, wie die sich die Aufgaben verteilen und da sind ja wirklich Siebentklässler dabei, das müssen sie sich an der Stelle auch auf der Zunge zergehen lassen, die sind ganz neu bei uns an der Schule, und die haben von der Thematik eigentlich ja gar keine Ahnung. Die wissen nicht, was ein Regler ist, die wissen nicht, was ein Mischpult ist, die wissen nicht, was ein Schnittprogramm ist. Und an alle Dinge werden sie durch die älteren Schüler herangeführt. Die sitzen hier zusammen, die kennen sich gar nicht, die haben keine Berührungsängste, die arbeiten miteinander, das ist wirklich schön."
Im Dezember 1996 ging das Schulradio an der Lenne-Gesamtschule "OnAir". Damit dürfte es eines der ersten im Raum Berlin-Brandenburg gewesen sein. Derzeit gibt es einen regelrechten Gründungsboom. Die Schulradios heißen Hörsturz, Radioflow oder Radioaktiv.
"In der Planung sind jetzt momentan so 15, 20, die jetzt im Moment dabei sind eins aufzubauen und on Air sind vielleicht 55."
Sagt Michael Schulz, der im Auftrag der Medienanstalt Berlin-Brandenburg das "Schulradio-Network" betreut. Gerade Radio eignet sich besonders gut für die aktive Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen, so Schulz. Weil moderne Radio-Technik einfach in der Handhabung ist und wenig kostspielig in der Anschaffung. Mikrofon, Mischpult, ein bis zwei CD-Player oder ein Computer, ein paar Boxen – und schon kann gesendet werden.
"Die meisten machen schon ein richtiges Programm, das heißt, die überlegen sich vor der Sendung, was sie spielen wollen an Musik, natürlich, und müssen sich dann auch überlegen, was kommt in der Sendung vor? Sage ich einen Vertretungsplan durch oder gibt’s irgendwelche Schüler, die haben Geburtstag, dann gibt es Geburtstagsgrüße mit nem Musikwunsch dazu oder schulinterne News werden durchgesagt, manche schreiben jeden Tag selbstausgedacht n Horoskop, also das ist total unterschiedlich."
Der ehemalige Moderator des Jugendsenders Fritz berät Berliner und Brandenburger Schulen beim Aufbau eines Schulradios. Bietet Workshops in Sachen Moderation, Interview oder Umfrage an, berät aber auch in technischen Dingen.
"Zu den Workshops komme ich ungefähr zehn Wochen lang wöchentlich in die Schule. Dann läuft das eigentlich. Dann gibt es ganz viele Schulradios, die so nach einem Jahr oder so noch mal kommen und sagen: Ja, wir haben jetzt Nachwuchs, kannst du nicht noch mal den und den Workshop machen, so geht."
Besonders die Themenfindung bereitet vielen Schul-Radiomacher Schwierigkeiten, sagt Michael Schulz:
"Ich glaube, dass viele also nicht wissen, was soll ich denn sagen in der Moderation, worüber kann ich denn erzählen. Ich sag zu den Schülern immer: Das, worüber ihr euch heute morgens auf dem Weg zur Schule unterhalten habt, mit eurer Freundin oder eurem Freund, das kann ein Thema sein um halb zehn in der Schülerradio-Sendung. Warum soll das nicht auch andere interessieren, wenn’s euch interessiert?"
In den Ferien bietet das Schulradio-Network Workshops, bei denen die jungen Radio-Macher eine ganze Woche lang an Beiträgen oder Features basteln.
"Die Ergebnisse erstaunen mich immer wieder. Weil das sind dann wirklich alles Sachen, die sind sendbar, die könnte man zum Radio geben und die könnten man senden."
"Schulradio-Network" will aber nicht nur, Radio-Nachwuchs ausbilden. Die aktive Radioarbeit soll vor allem dazu führen, dass sich die Schüler und Schülerinnen kritischer mit Medien auseinandersetzen. Stichwort: Medienkompetenz:
"Ja, wie funktioniert Radio. Was sind vielleicht auch Tricks im Radio? Was senden manche Radios, wie senden die das? Jetzt nicht, dass die uns veräppeln wollen, aber es gibt natürlich auch Tricks im Radio, dass bestimmte Telefonate einfach aufgezeichnet werden vorher. Das weiß man alles nicht, man denkt immer, das ist alles live – als normaler Hörer. (...) Das ist für mich Medienkompetenz. Eben auch zu sehen oder versuchen dahinter zu kommen, eben nicht alles zu konsumieren, ohne das zu reflektieren."
Zurück an der Potsdamer Peter Joseph Lenne-Gesamtschule. In der letzten großen Pause sitzen Ina, 18, und Lisa, 14 Jahre, an den Mikrofonen von Schulradio 38. Die Radioarbeit macht nicht nur großen Spaß, findet Ina, man lernt auch eine Menge dabei:
"Ich denke mal so auf jeden Fall, dass man auch gut mit anderen Leuten reden kann. Wenn man total schüchtern ist und hierher kommt und moderiert, so dass man auf jeden Fall offener ist. Man lernt auch auf den Fall dazu, wie man mit anderen Menschen umgeht und ich denke auf jeden Fall, dass man seinen Ausdruck verbessern kann."
Ina, die sich – wie sie selbst sagt – anfänglich ein bisschen geziert hat, zu moderieren, ist jetzt Feuer und Flamme. Und könnte sich gar vorstellen, nach der Schule weiter zu machen:
"Ich hab schon überlegt. Ich würde gerne Radiomoderatorin machen (...) ich meine, das macht mir total Spaß und bevor ich was mache, was mir keinen Spaß macht, wo ich jeden Tag mich wirklich hinzwingen muss."
Für die 14-jährige Lisa dagegen soll Radiomachen Hobby bleiben.
"Hauptberuflich nicht, eher so nebenberuflich, auch für die Freizeit."
Ina blickt auf die Uhr, Lisa greift zum Regler: Die Sendezeit von Schulradio 38 nähert sich dem Ende:
"Das war leider schon unser letztes Lied. Michale Jackson mit ... Und nun hiermit verabschieden sich Ina und Lisa. By, by. Wir wünschen euch noch viel, viel Spaß beim Unterricht."
Verbraucherbildung als Schulfach
Von Matthias Günther
In der Lehrküche der Gemeinschaftsschule in Süderbrarup sind in dieser Stunde Fünftklässler am Werk:
"Wir schlagen jetzt hier die Eier auf. Und dann rühren wir den Teig an."
Die Schüler machen Eierkuchen. Aber nicht etwa Kochen steht auf dem Stundenplan, sondern das neue Schulfach Verbraucherbildung. Lehrerin Claudia Wenzel erklärt, was sie den Schülern vermittelt:
"Sie lernen, Entscheidungen zu treffen. Wir haben zum Beispiel die Milch untersucht, wir haben Geschmacksproben gemacht, uns die Verpackung angeguckt, wir haben uns die neuen Haltbarkeitsverfahren angeguckt, und was muss denn da drauf stehen, wenn eine Milch homogenisiert ist, pasteurisiert ist, was heißt das denn überhaupt, was steckt dahinter. Und bei Eiern haben wir das auch gemacht und haben zum Beispiel geguckt, wie ist das mit den Hühnern, wie werden die gehalten, will ich das, dass mein Huhn da im Käfig sitzt, oder bin ich bereit, dann auch vielleicht einen Cent mehr auszugeben, wenn ich ein freilaufendes Huhn habe."
Claudia Wenzel hat zuvor Haushaltslehre unterrichtet. In anderen Bundesländern heißt das Fach Hauswirtschaft. Kritische Informationen über den Bereich Ernährung und Gesundheit hätten auch dort vermittelt werden sollen, sagt die Lehrerin:
"Das haben wir schon immer im Lehrplan gehabt. Nur ist es ja überall so abgeschafft worden, fachfremd unterrichtet worden, ach wir kochen hier mal so ein bisschen, und die eigentlichen Inhalte, die wir da immer gehabt haben, diesen Lebenspraxisbezug, den wir hatten, reell das umsetzen, das ist so verloren gegangen. Und wir hoffen, dass das jetzt mit diesem neuen Fach wieder aufersteht."
Die Lehrerin hält es für richtig, schon in der fünften Klasse mit der Erziehung zu einem mündigen Verbraucher zu beginnen:
"Man kann ja nur seine Entscheidung als Verbraucher fällen, wenn jemand Hintergrundinformationen hat. Natürlich muss man in der fünften Klasse gucken, wo stehen sie jetzt, wo holen wir sie ab. Da haben wir uns orientiert an den Grundnahrungsmitteln, Eier, Milch, Mehl, Getreide, solche Dinge. Und den Spaß natürlich: die Zubereitung, wie man sieht, die macht ihnen besonders viel Freude."
Für das neue Fach Verbraucherbildung hat Claudia Wenzel eine Fortbildung gemacht. Neben Ernährung und Gesundheit steht später – ab der siebten Klasse – auch der Bereich Konsum und Lebensstil auf dem Lehrplan. Dort lernen die Schüler unter anderem, Versprechungen aus der Werbung zu hinterfragen, sie lernen auch, mit ihrem Taschengeld umzugehen oder wie sie ein Auto oder Moped kaufen, eine Wohnung einrichten oder einen Handy-Vertrag abschließen, ohne in der Schuldenfalle zu landen:
"Das ist ja das, was im Moment auch die Schuldnerberatungsstellen so einfordern. Sie sagen ja, das muss in der Schule passieren. Da müssen Kompetenzen geschult werden, wie Kinder mit ihren Finanzen umgehen müssen."
Den Lehrplan hat Ines Heindl, Direktorin des Instituts für Ernährungs- und Verbraucherbildung an der Universität Flensburg entwickelt – gemeinsam mit Wissenschaftlern aus anderen Ländern:
"Das, was wir jetzt hier in Schleswig-Holstein umsetzen dürfen, ist aus einem länderübergreifenden Projekt zwischen Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Schleswig-Holstein entstanden. Es begann so 2000/2001, und nun ist Schleswig-Holstein halt das erste Land, das das umsetzen kann, weil wir durch die Bildungsreform, durch veränderte Strukturen, eine Chance hatten, jetzt damit einzusteigen. Aber wir profitieren alle von diesen gemeinsamen Entwicklungen verschiedener Länder auf Bundesebene."
Die Einführung des neuen Schulfaches ist für Ines Heindl ein überfälliger Schritt, weil das Leben kompliziert geworden sei. Früher habe jeder Mensch einen Lebensstil gehabt, heute pflege jeder verschiedene Lebensstile:
"Heute gehe ich und suche etwas, was man unter Fastfood rechnet, morgen koche ich vielleicht mit Freunden sehr aufwändig und suche mir dann von gehobenen Produkten etwas aus, immer wenn ich es mir leisten kann. Und so findet man in jedem Menschen verschiedene Lebensstile. Oder aber nehmen wir mal Konsumstile. Ich orientiere mich vielleicht bei Elektro-Geräten auf einem gewissen Niveau, und bei anderen Produkten, die ich so im Alltag brauche, da habe ich ein völlig anderes Niveau im Rahmen meines Lebensstils. Und das findet man heute in einem Menschen im Unterschied zu früher."
Man könne nicht erwarten, dass die Eltern ihre Kinder auf diese komplizierte Welt vorbereiten könnten, meint Ines Heindl. Auch Erwachsene hätten manchmal Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden:
"Man braucht ja nur in einem Supermarkt zu stehen, in einem einigermaßen ausgestatteten Supermarkt. Wenn ich vorne reinkomme und habe jetzt nicht meinen Einkaufszettel und weiß genau, was ich will, dann laufen viele Verbraucher erst einmal orientierungslos durch diese Märkte. Sie brauchen Informationen. Aber die im Einzelnen zu bekommen, dann mache ich den ganzen Tag nichts Anderes mehr als mich damit zu beschäftigen. Es geht um die Strategien. Die Strategien, Verflechtungen zu durchschauen, schneller zu erkennen, wer hat hier jetzt welche Interessen, wie werde ich manipuliert, über Medien, über Werbung usw., um diese Strategien geht es ganz zentral, mehr als um tausendfache Einzelinformationen."
Der Schulunterricht soll auch dazu beitragen, einem immer größer werdenden Problem beizukommen:
"Ganz sichtbare und augenscheinliche Probleme, auf die ja vieles zurückgeführt wird, ist die Übergewichtsproblematik, die immer früher beginnt bei Kindern und Jugendlichen. Das belegen jetzt auch genügend Studien, hat mit Ernährung und Bewegung zu tun, es ist nicht nur alleine die Ernährung, aber leider besteht eben auch der Zusammenhang, dass in so genannten bildungsfernen Schichten dieses Problem größer ist. Früher sind arme Menschen, wenn ich das mal so sagen darf, eben eher untergewichtig und schlank gewesen. Und das hat sich völlig umgedreht. Hat natürlich so verschiedene Gründe. Nahrung ist so billig wie nie zuvor. Auch bei einem geringen Nahrungsbudget kann man davon leider auch noch dick werden. Das sind ganz verdrehte Welten, mit denen wir das zu tun haben."
Die Gemeinschaftsschule in Süderbrarup hat die Themen Gesundheit und Ernährung aus diesem Grunde schon vor Jahren in das Schulprogramm aufgenommen. In der offenen Ganztagsschule kochen Schüler für Schüler und Lehrer. Die Eltern haben das von Anfang an unterstützt, sagt Schulleiterin Jutta Mroczkowski.
"Eltern haben oft gesagt, dass es dazu gehört, dass Schüler das lernen. Und wir haben sehr viele Schüler, die sich dafür melden. Wir haben auch in der Cafeteria sehr viele Jungen, die da mitmachen, weil die Schüler fürs Leben lernen wollen. Das sagen sie selber. Sie wollen unabhängig werden von Fastfood. Und das ist hier so gewachsen, weil die Schüler hier ja auch essen. Wir haben sie daran gewöhnt, auch frische Sachen zu essen. Wir kochen ohne Convenience-Produkte, und früher mochten sie gar keinen Salat, dann haben wir den einfach als Vorspeise angeboten, und jetzt essen alle hier auch Salat und frische Sachen."
Die Schule war deshalb prädestiniert, das Fach Verbraucherbildung schon im vergangenen Schuljahr einzuführen - als Modellprojekt. Jetzt ist es reguläres Schulfach:
"Das können die Schüler wählen. Sie haben Projektkurse, können wählen zwischen Kunst, Musik, textilem Werken und Verbraucherbildung. Jeder Schüler muss das einmal gewählt haben. Entweder in Klasse Fünf oder Klasse Sechs, um sich da einzufinden und zu wissen, was da eben passiert. Denn wir bieten dieses Fach ab Klasse Sieben vierstündig an, alternativ zur Sprache."
Verbraucherbildung ist seit diesem Schuljahr Wahlpflichtfach für die Klassen 5 bis 10 an allen Gemeinschafts-, Regional- und Förderschulen in Schleswig-Holstein. Nicht jedoch an Gymnasien. Ines Heindl von der Universität Flensburg, die den Lehrplan entwickelt hat, hält es aber für durchaus möglich, dass Gymnasien zumindest Teile des Lehrplans übernehmen:
"Wenn ich mal an Wirtschaft/Politik denke an Gymnasien, Sekundarstufe II, dann kann ich mir wunderbar Anknüpfungspunkte vorstellen, weil wir uns auch bei diesem neuen Lehrplan darum bemüht haben, Synergieeffekte herzustellen – in welchen anderen Fächern finden sich auch Anteile, da haben wir uns sehr um Synergie-Effekte bemüht."
Beim Eierkuchen-Backen der Fünftklässler in Süderbrarup geht es voran:
"Also wir sind jetzt beim Pfanne-Anstellen, wir müssen jetzt das Fett in die Pfanne tun, ich rühr noch ein bisschen den Teig, weil das ein bisschen klumpig war, und jetzt ist es auch schon besser. Aber der Teig schmeckt nicht. Bei uns zu Hause schmeckt er besser – ich weiß auch nicht."
Eine andere Gruppe möchte noch eine Anleitung:
"Sollen wir das ganze Fett da rein tun? Ich meine jetzt die Butter."
Lehrerin Claudia Wenzel überlässt das den Schülern und erklärt:
"Man muss aufpassen, dass man nicht alle Fragen beantwortet. Sie sollen natürlich auch selber ein bisschen gucken, wie erreiche ich was, wie bekomme ich was. Ich habe auch schon nur Zutaten hingestellt, und dann haben sie selber geguckt, was machen wir denn jetzt daraus. Und sie arbeiten die Rezepte auch zu Hause nach. Sie probieren sich dann in der Küche und kochen es nach und erzählen mir dann hinterher, ob es gut geklappt hat oder nicht gut geklappt hat. Und sind ganz stolz auf ihre Leistungen. Und gerade auch die ganz schwachen Kinder, die profitieren dann natürlich hier von der Praxis. Wenn sie dann kognitiv das hier nicht leisten können, aber in der Praxis sind sie oft sehr verantwortungsbewusst und können manchmal mehr als die kognitiv Leistungsfähigeren."
Nicht nur das Kochen gefällt den Schülern an ihrem Unterrichtsfach:
"Ich finde das cool. Mir gefällt eigentlich alles außer das Abwaschen danach." "Ich finde, das ist sehr interessant, und man lernt auch viel: wie man fettarm kocht", "dass man viel trinken muss und wenig Naschis essen soll und so", "dass man nicht so viel Zucker zu sich nehmen soll, sondern eigentlich nährreiche Sachen wie Äpfel, Bananen"," man sollte nur einmal Süßes essen." "Zweimal in der Woche sollte man Fleisch essen und nicht jeden Tag. Das machen manche Eltern, die machen jeden Tag Fleisch – wie meine Oma."
Schulradio als Pausenknüller
Von Anja Schrum
"Einige meinen, die Schulklingel sei die Ablösung vom Schulunterricht, andere finden sie einfach nur nervig – Bei uns heißt es Pause, wenn in den Fluren Musik dröhnt. Schulradio 38. Achtung …"
Die Pausenklingel ist an der Peter Joseph Lenne-Gesamtschule längst abgeschafft. Stattdessen geht Schulradio 38 auf Sendung. Oder auch "Achtung Dreistig" wie die jungen Radiomacher witzeln.
"Einen wunderschönen guten Morgen, hier ist wieder euer Schulradio 38. Heute mit Lisa und Robert. Ja, wir sind leider nur als Vertretung hier, weil die Neuntklässler haben ihr Praktikum angefangen – und deshalb machen wir jetzt heute für euch Musik. Natürlich super Musik. Hier jetzte von Liquido ..."
Lautsprecherboxen hängen von der Decke. Beschallen den Eingangsbereich und die Flure der Potsdamer Gesamtschule mit dem schuleigenen Radioprogramm. 38 heißt das Radio übrigens, weil es Schule Nr. 38 in Potsdam ist.
Das "Sendestudio" von Radio 38 liegt gleich um die Ecke von der Eingangshalle. "Achtung Aufnahme" leuchtet es rot über Raum R5, dem ehemaligen Lehrer-Raucherzimmer:
"Was warn da so lustig? Hab ich das falsch ausgesprochen?"
Robert blickt fragend. Lisa zuckt mit den Schultern. Die beiden sitzen hinter Mikrofon, Mischpult und Computer. Besprechen schnell noch ihre nächste Moderation. Robert geht in die 13., Lisa in die neunte Klasse:
"Du kannst ja den Vornamen sagen und dann sag ich wieder das Lied. Weil ich kann Alexander Rybier – ich krieg das nicht hin mit dem Namen ... Genau, er ist Gewinner des Eurovisionen Songcontest, nicht?"
Die beiden Moderatoren, 14 und 18 Jahre alt, einigen sich, wer was sagt. Und welche Musik sie alles nächstes spielen wollen.
"Manchmal machen wir uns auch vorher Playlisten fertig, aber meistens machen wir das spontan, manche Schüler kommen ja auch hier rein und fragen uns, ob wir noch ein Lied für die spielen können, dass es dann auch mit reinpasst."
16 Jungen und Mädchen zählt die Schülerradio-Crew. Drei Mal pro Tag gehen die jungen Radiomacher auf Sendung.
"Einmal vor der Schule von 7.30 bis acht Uhr. Und dann halt die erste Pause und die zweite Pause auch jeweils eine halbe Stunde und alle zwei Wochen haben wir eine Radio-Versammlung und dort wird der Sendeplan besprochen, wer wann Radio macht."
Moderiert wird in zweier Teams. Fast jeder Song wird angesagt, mit Titel und Interpret. Damit die Schüler wissen, was läuft. Die Sendungen heißen "Pee Break" oder "Radio Brennt",.
"Viele haben so ihre feste Sendung, ich z.B. hab Montag vor der Schule, da machen wir halt Neueinsteiger, die aktuell gerade in den Charts eingestiegen sind. Am Mittwoch spielen wir die Lenne-Charts, da können unsere Schüler auf unserer Homepage voten für die Musik und die Musik wird halt dann gespielt, einmal im Monat muss ich dazu sagen, ansonsten machen wir mittwochs Themen-Sendungen, also Musik-Richtungen oder bekannte Werbehits oder solche Sachen."
Auch Hitzefrei, Kuchenbasar oder Fundsachen werden über das Schulradio angesagt. Demnächst soll es noch mehr Wort-Beiträge geben, sagt Robert.
"Ich versuche jetzt, dass das Radio wieder besser rüberkommt mit Beiträgen, weil die meisten spielen einfach eine Playliste und davon will ich wirklich wegkommen, dass wir wirklich tatsächlich als Radio so ein bisschen arbeiten. Da versuchen wir jetzt hinzukommen, dass auch das Radio mit Informationen gefüllt wird."
Die Schulradio-Crew hat eine eigene Webseite aufgebaut und beschallt auch Veranstaltungen wie zum Beispiel das Schulfest. In einer Kiste in der Ecke liegen Funkmikrophone und Lautsprecher-Boxen.
"Die Technik können auch andere Schulen von uns ausleihen. Mit Betreuung, dass wir bei denen so ein Fest begeleiten, die Technik halt stellen, ja."
Die Technik war auch das, was den 13-jährigen Fabian zum Schulradio gelockt hat.
"Ich find's halt einfach lustig mit der Technik rumzuspielen und, ja, mach einfach Spaß zu moderieren. Am Anfang hatte ich auch erst Schiss, ja, man gewöhnt sich dranne."
Lisa blickt auf den Count-Down-Zähler. Stupst Robert an. Setzt den Kopfhörer auf. Noch eine halbe Minute, dann sind die beiden wieder auf Sendung:
"Michael Jackson mit Thriller.
Und nun kommt …
Alexander Rybak, ich hoffe, ich hab's richtig ausgesprochen, der Eurovision-Songcontest-Gewinner aus ...
Norwegen.
Genau, mit seinem Song Fairytale"
Lisa spielt am liebsten die Charts. Ina mag vor allem deutschsprachigen Pop und Rock:
"Ich sag mal so, Juli, Silbermond und halt so die rockigeren: Revolverheld und so ..."
Doch nicht alles ist erlaubt bei Schulradio 38.
"Sone S C H- Wörter-Texte dürfen wir z.B. gar nicht spielen oder auch so Sachen wie von Sido damals, die alten Lieder, dürfen wir gar nicht spielen und wollen wir auch gar nicht. Ich persönlich jedenfalls nicht."
Die jungen Radiomacher arbeiten weitgehend selbstständig, haben aber einen Ansprechpartner an ihrer Seite, den Informatik-Lehrer Thomas Jandt:
"Musikstilistisch bin ich da eher der Tiefflieger. Ich höre gern Musik, die Musik, die die Kinder hier machen ist schön. Aber ich verstehe mich eigentlich als Unterstützer, ich möchte, dass die Kinder jeden Tag funktionierende Technik haben, ich möchte, dass die auf Workshops, die auch Brandenburg-übergreifend angeboten werden, ihre Fähigkeiten austesten und erweitern können."
Vor den Sommerferien waren vier Schüler und Schülerinnen der Radio-Crew beim zweiten School-Radio-Day in Frankfurt am Main. Haben dort Workshops zum Thema "Podcasting" oder "Moderation" besucht.
"Wie die sich mittlerweile gegenseitig im Griff haben, wie die sich die Aufgaben verteilen und da sind ja wirklich Siebentklässler dabei, das müssen sie sich an der Stelle auch auf der Zunge zergehen lassen, die sind ganz neu bei uns an der Schule, und die haben von der Thematik eigentlich ja gar keine Ahnung. Die wissen nicht, was ein Regler ist, die wissen nicht, was ein Mischpult ist, die wissen nicht, was ein Schnittprogramm ist. Und an alle Dinge werden sie durch die älteren Schüler herangeführt. Die sitzen hier zusammen, die kennen sich gar nicht, die haben keine Berührungsängste, die arbeiten miteinander, das ist wirklich schön."
Im Dezember 1996 ging das Schulradio an der Lenne-Gesamtschule "OnAir". Damit dürfte es eines der ersten im Raum Berlin-Brandenburg gewesen sein. Derzeit gibt es einen regelrechten Gründungsboom. Die Schulradios heißen Hörsturz, Radioflow oder Radioaktiv.
"In der Planung sind jetzt momentan so 15, 20, die jetzt im Moment dabei sind eins aufzubauen und on Air sind vielleicht 55."
Sagt Michael Schulz, der im Auftrag der Medienanstalt Berlin-Brandenburg das "Schulradio-Network" betreut. Gerade Radio eignet sich besonders gut für die aktive Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen, so Schulz. Weil moderne Radio-Technik einfach in der Handhabung ist und wenig kostspielig in der Anschaffung. Mikrofon, Mischpult, ein bis zwei CD-Player oder ein Computer, ein paar Boxen – und schon kann gesendet werden.
"Die meisten machen schon ein richtiges Programm, das heißt, die überlegen sich vor der Sendung, was sie spielen wollen an Musik, natürlich, und müssen sich dann auch überlegen, was kommt in der Sendung vor? Sage ich einen Vertretungsplan durch oder gibt’s irgendwelche Schüler, die haben Geburtstag, dann gibt es Geburtstagsgrüße mit nem Musikwunsch dazu oder schulinterne News werden durchgesagt, manche schreiben jeden Tag selbstausgedacht n Horoskop, also das ist total unterschiedlich."
Der ehemalige Moderator des Jugendsenders Fritz berät Berliner und Brandenburger Schulen beim Aufbau eines Schulradios. Bietet Workshops in Sachen Moderation, Interview oder Umfrage an, berät aber auch in technischen Dingen.
"Zu den Workshops komme ich ungefähr zehn Wochen lang wöchentlich in die Schule. Dann läuft das eigentlich. Dann gibt es ganz viele Schulradios, die so nach einem Jahr oder so noch mal kommen und sagen: Ja, wir haben jetzt Nachwuchs, kannst du nicht noch mal den und den Workshop machen, so geht."
Besonders die Themenfindung bereitet vielen Schul-Radiomacher Schwierigkeiten, sagt Michael Schulz:
"Ich glaube, dass viele also nicht wissen, was soll ich denn sagen in der Moderation, worüber kann ich denn erzählen. Ich sag zu den Schülern immer: Das, worüber ihr euch heute morgens auf dem Weg zur Schule unterhalten habt, mit eurer Freundin oder eurem Freund, das kann ein Thema sein um halb zehn in der Schülerradio-Sendung. Warum soll das nicht auch andere interessieren, wenn’s euch interessiert?"
In den Ferien bietet das Schulradio-Network Workshops, bei denen die jungen Radio-Macher eine ganze Woche lang an Beiträgen oder Features basteln.
"Die Ergebnisse erstaunen mich immer wieder. Weil das sind dann wirklich alles Sachen, die sind sendbar, die könnte man zum Radio geben und die könnten man senden."
"Schulradio-Network" will aber nicht nur, Radio-Nachwuchs ausbilden. Die aktive Radioarbeit soll vor allem dazu führen, dass sich die Schüler und Schülerinnen kritischer mit Medien auseinandersetzen. Stichwort: Medienkompetenz:
"Ja, wie funktioniert Radio. Was sind vielleicht auch Tricks im Radio? Was senden manche Radios, wie senden die das? Jetzt nicht, dass die uns veräppeln wollen, aber es gibt natürlich auch Tricks im Radio, dass bestimmte Telefonate einfach aufgezeichnet werden vorher. Das weiß man alles nicht, man denkt immer, das ist alles live – als normaler Hörer. (...) Das ist für mich Medienkompetenz. Eben auch zu sehen oder versuchen dahinter zu kommen, eben nicht alles zu konsumieren, ohne das zu reflektieren."
Zurück an der Potsdamer Peter Joseph Lenne-Gesamtschule. In der letzten großen Pause sitzen Ina, 18, und Lisa, 14 Jahre, an den Mikrofonen von Schulradio 38. Die Radioarbeit macht nicht nur großen Spaß, findet Ina, man lernt auch eine Menge dabei:
"Ich denke mal so auf jeden Fall, dass man auch gut mit anderen Leuten reden kann. Wenn man total schüchtern ist und hierher kommt und moderiert, so dass man auf jeden Fall offener ist. Man lernt auch auf den Fall dazu, wie man mit anderen Menschen umgeht und ich denke auf jeden Fall, dass man seinen Ausdruck verbessern kann."
Ina, die sich – wie sie selbst sagt – anfänglich ein bisschen geziert hat, zu moderieren, ist jetzt Feuer und Flamme. Und könnte sich gar vorstellen, nach der Schule weiter zu machen:
"Ich hab schon überlegt. Ich würde gerne Radiomoderatorin machen (...) ich meine, das macht mir total Spaß und bevor ich was mache, was mir keinen Spaß macht, wo ich jeden Tag mich wirklich hinzwingen muss."
Für die 14-jährige Lisa dagegen soll Radiomachen Hobby bleiben.
"Hauptberuflich nicht, eher so nebenberuflich, auch für die Freizeit."
Ina blickt auf die Uhr, Lisa greift zum Regler: Die Sendezeit von Schulradio 38 nähert sich dem Ende:
"Das war leider schon unser letztes Lied. Michale Jackson mit ... Und nun hiermit verabschieden sich Ina und Lisa. By, by. Wir wünschen euch noch viel, viel Spaß beim Unterricht."