Eine schicksalshafte Begegnung

18.08.2008
Es war eine große Liebe zwischen zwei großen Lyrikern: Ingeborg Bachmann und Paul Celan lernten sich 1948 in Wien kennen, doch Celan heiratete 1952 eine andere. Fünf Jahre später flammten ihre Gefühle bei der Begegnung auf einem Kongress wieder auf und doch scheiterte die Beziehung. Der nun im Suhrkamp-Verlag erschienene kommentierte Briefwechsel wirft ein neues Licht auf das Verhältnis der beiden.
Dieses Buch ist eine Sensation. Der letzte vergleichbare deutsche Text sind die Briefe Franz Kafkas an Felice. Man wusste schon länger, dass Ingeborg Bachmann und Paul Celan, zwei der bedeutendsten Lyriker des 20. Jahrhunderts, abseits aller literarischen Öffentlichkeit, abseits aller familiären Strukturen in einer Liebesbeziehung zueinander standen. Aber was es genauer damit auf sich hatte, war ein großes Geheimnis.

Man munkelte etwas vom Jahr 2023, in dem die Sperrfrist für den Briefwechsel zwischen den beiden enden würde. Die Familie Bachmanns wie die Witwe Celans legten großen Wert darauf, dass die privaten und die intimen Zeugnisse dieser beiden mittlerweile mythischen Figuren jeweils unter Verschluss blieben. In den letzten Jahren wurden die Nachlassbestimmungen jedoch zusehends gelockert, und jetzt liegt alles offen zutage.

Doch ist es wirklich alles? Bei näherem Hinsehen, bei der genauen Lektüre der Briefe zwischen Bachmann und Celan wird das Geheimnis, je mehr es sich zu lüften scheint, gleichzeitig umso größer.

Celan ist auf dem Weg nach Paris, als sich die beiden im Mai 1948 in Wien kennenlernen, Bachmann bereitet sich langsam auf ihre Dissertation über Martin Heidegger vor. Was aus heutiger Sicht, im Wissen um die literarische Bedeutung der beiden, fast unvorstellbar scheint: Bachmann ist 22, Celan 28 Jahre alt, und sie sind noch völlig unbekannt.

Was sich da im Nachkriegswien ereignet, ist eine verschwommene, schwarz-weiß verwischte Vorgeschichte der Literaturgeschichte, womöglich im Stil des berühmten Orson-Welles-Films "Der dritte Mann", der zur selben Zeit zum Klang der Zither vor allem im Wiener Untergrund spielt. Der dritte Mann: das ist hier jemand namens Hans Weigel. Die junge Bachmann hat ein Verhältnis mit diesem viel älteren Emigranten, der ein wichtiger Multiplikator im Literaturbetrieb ist, und sie behält dieses Verhältnis auch bei, als sie Celan kennenlernt.

Es sind nur wenige Wochen, die Bachmann und Celan in Wien gemeinsam verbringen, im Nachklang wird allerdings die Prägung immer deutlicher, die Bachmann erfahren hat - dass ihre berühmten Gedichte vom Anfang der fünfziger Jahre vor allem der Auseinandersetzung mit Celans dichterischer Sprache entspringen, ist schon längst festgestellt worden.

Der Briefwechsel umfasst mehrere Phasen: Bachmanns immer verzweifelter werdendes Werben um Celan in Paris, das abbricht, als sie von seiner Heirat Ende 1952 erfährt. Dann ein abrupter, unerwarteter Wendepunkt: Nachdem sie sich mehr als fünf Jahre nicht mehr gesehen haben, treffen die beiden - mehr oder weniger zufällig - bei einer Tagung in Wuppertal 1957 wieder aufeinander.

Sie verbringen danach eine Nacht in einem Kölner Hotel, mit der Adresse "Am Hof". Dass das enigmatische Gedicht Celans mit dem Titel "Köln, Am Hof" so eindeutig auf dieses Erlebnis rekurriert, wird erst jetzt in vollem Ausmaß deutlich. Und Celan scheint plötzlich wie ausgewechselt: In den nächsten Tagen und Wochen schickt er Bachmann ständig Gedichte und Briefe, er ist wie vom Blitz getroffen.

Dieser verliebte Celan entspricht kaum dem Bild, das sich die Lyrik-Exegeten von ihm gemacht haben. Dass er seine Ehe jedoch nicht aufgeben will, dass es eine berührende, solidarische Gemeinsamkeit zwischen Bachmann und Celans Ehefrau Gisèle gibt, dass sich Bachmann flugs in Max Frisch verliebt, als Celans Familien-Priorität auch atmosphärisch wieder Oberhand gewonnen hat - das sind alles Stationen eines Dramas, die künftig bestimmt durch etliche Dissertationen und Analysen aufgefächert werden.

Wie bei so vielen Freunden bricht der Kontakt auch zu Bachmann kurz danach ab, als Celan während der Verleumdungskampagne Claire Golls Beistand sucht und ihn nirgends zu finden glaubt.

Natürlich gibt diese Edition etliche Materialien an die Hand, das Werk Celans und Bachmanns vermehrt psychologisch und biografisch zu interpretieren. Darin liegt auch eine Gefahr. Die vier Herausgeber des Briefwechsels - je zwei aus der Celan- und der Bachmann-Philologie, der Bedeutung dieses Jahrhundertbriefwechsels und der betreffenden germanistischen Positionierung angemessen - können sich auch nicht immer entscheiden, ob sie privaten Einblicken oder literaturwissenschaftlichen Einlassungen den Vorzug geben sollen, ihr Kommentar schwankt da manchmal in recht charakteristischer Weise.

Eines ist jedoch klar: Für Bachmann wie für Celan war der andere eine schicksalshafte Gestalt, die das jeweilige Leben überschattende, unerfüllbare Liebe. Dazu wird noch viel zu sagen sein.

Rezensiert von Helmut Böttiger

Ingeborg Bachmann/Paul Celan: Herzzeit. Briefwechsel. Mit den Briefwechseln zwischen Paul Celan und Max Frisch sowie zwischen Ingeborg Bachmann und Gisèle Celan-Lestrange
Herausgegeben und kommentiert von Bertrand Badiou, Hans Höller, Andrea Stoll und Barbara Wiedemann
Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main
399 Seiten, 24, 80 Euro
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