Eine Risikotechnologie auf dem Prüfstand

Die Atomkraft schütze das Klima, beteuern Vertreter der Energielobby gebetsmühlenartig. Stimmt nicht, sagt dagegen Gerd Rosenkranz. In seinem neuen Buch rechnet er faktenreich und überzeugend ab mit diesem und anderen "Mythen der Atomkraft".
Angeblich erlebt die Atomenergie derzeit weltweit eine Renaissance. Merkwürdig: Nach den derzeitigen Plänen wird sich die Zahl der global betriebenen Atomkraftwerke bis 2020 nicht etwa vervielfachen, sondern um fast ein Viertel abnehmen. Zwar wird nach gut 25 Jahren Stillstand nun doch die eine oder andere neue Anlage gebaut, aber gleichzeitig werden viele Reaktoren wegen Altersschwäche außer Dienst gehen. Die Neubauten können die Abgänge mitnichten kompensieren.

Die Mär von der Renaissance ist nur eine von vielen Halbwahrheiten, die die Atomindustrie derzeit mit großem Werbeaufwand und auch Medien-Echo in die Welt setzt. Gerd Rosenkranz, der aus seiner Ablehnung der Atomenergie nie einen Hehl gemacht hat, hat sie jetzt in einem kleinen Band unter dem durchaus zutreffenden Titel "Mythen der Atomkraft" zusammengetragen. Es ist informativ, gut strukturiert, leicht verständlich und ohne Polemik, faktenreich. Gerd Rosenkranz greift dabei stets die Argumente der Gegenseite auf, um sie dann anhand von Tatsachen zu widerlegen.

Jüngstes Beispiel: Die Atomkraft schütze das Klima. Der Autor bestreitet keineswegs, dass Atomkraftwerke im Betrieb praktisch kein Kohlendioxid erzeugen. Er fragt nur, wie viel die bestehenden Anlagen denn zur weltweiten Reduktion beitragen können. Da sieht es schon weit weniger günstig aus. Ihr Anteil am Weltstrombedarf wird von 2006 bis 2020 von fast 15 Prozent auf nur noch 7 Prozent schrumpfen.

Tausende neue Reaktoren müssten weltweit gebaut werden, um die CO2-Emissionen bis zur Jahrtausendhälfte um mindestens 80 Prozent zu senken. Einmal abgesehen von der Verbreitung von Atombombentechnologie, siehe Iran, ist das eine Illusion. Schlussfolgerung des Autors: "Atomenergie kann … schon mangels Masse kein Teil der Lösung des Klimaproblems sein."

Es ist auch kein Zufall, dass sich Investoren bei der Finanzierung neuer Anlagen auffällig zurückhalten. Sie rechnen sich nicht, außer der Staat übernimmt die meisten Risiken, wie das in den USA, Frankreich oder China der Fall ist. Schließlich laufen die Kosten für neue Reaktortypen aus dem Ruder. Während die Preise für die Erneuerbaren Energien stetig sinken, steigen die Aufwendungen für Atomenergie ständig - ein Novum der Technikgeschichte.

Auf die Zurückhaltung der Kapitalgeber reagiert die Atomindustrie wie in Deutschland mit dem Vorschlag, die Laufzeiten zu verlängern. Dass man damit wortbrüchig wird, scheint angesichts der winkenden Milliardengewinne nebensächlich. Bewusst übersieht man, dass die technischen Probleme bei Altanlagen logischerweise mit Betriebsdauer zunehmen.

Umso erstaunlicher die Aussage des RWE-Chefs Großmann, dass eine Laufzeit von 50 bis 60 Jahren international üblich sei. Nur war bislang kein einziges AKW weltweit so lange in Betrieb. Ungelöst ist auch bis heute der Schutz vor terroristischen Anschlägen oder das Endlagerproblem. Auf überzeugende Antworten der Atomindustrie wartet man bislang vergeblich. Umso überzeugender ist Gerd Rosenkranz’ Abrechnung mit den Mythen der Branche.

Besprochen von Johannes Kaiser

Gerd Rosenkranz: Mythen der Atomkraft - Wie uns die Energielobby hinters Licht führt, mit Bildern von Olaf Schulz
oekom Verlag, München 2010
109 Seiten, 8,95 Euro
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