"Eine Reform des Wahlgesetzes ist in Italien dringend notwendig"

Laura Garavini im Gespräch mit Christopher Ricke · 03.04.2013
Wenn es in Italien keine Reform des Wahlrechts gibt, werden auch Neuwahlen das derzeitige politische Patt nicht auflösen. Davon ist die Abgeordnete Laura Garavini von der Demokratischen Partei überzeugt. Ein neues Wahlsystem könnte für stabile Mehrheiten sorgen.
Christopher Ricke: Wir sind wieder mittendrin in der Euro-Krise. In Italien haben es die Politiker nicht geschafft, eine Regierung zu bilden, der Staatspräsident Giorgio Napolitano hat Arbeitsgruppen für politische Reformen eingesetzt, also Fachleute statt Politiker. Die sogenannten Weisen sollen nach einem Ausweg aus der aktuellen politischen Krise suchen und es gibt zwei Gruppen, die sich da kümmern werden: eine für politisch institutionelle Reformen und eine für wirtschaftliche und soziale Maßnahmen.

Ich spreche jetzt mit Laura Garavini, sie ist Abgeordnete im italienischen Parlament, sie gehört der Demokratischen Partei an, also dem Mitte-Links-Bündnis. Guten Morgen, Frau Garavini!

Laura Garavini: Schönen guten Morgen!

Ricke: Die Finanzmärkte haben ja erst gestern einmal nicht reagiert auf diese Entscheidung, das kann man schon als gutes Zeichen werten. Die Expertengruppen kommen offenbar international gut an. Wie werden sie denn in Italien aufgenommen?

Garavini: Sie werden eher mit Skepsis beobachtet. Jeder weiß, sie werden nur ungefähr zehn Tage im Amt bleiben, mit dem Ziel, Vorschläge zu machen dem Staatspräsidenten, die Napolitano wiederum dem Parlament vorlegen will. Also, es ist der Versuch, diese Zeit bis zur Neuwahl des Staatspräsidenten, das ist erst in zehn Wochen, es ist ein Versuch der Experten, der Politik Vorschläge zu machen, zum Beispiel für ein neues Wahlsystem oder eben für die Wirtschaft. Aber man hält nicht viel davon, weil sie nicht demokratisch legitimiert sind.

Also, auf der einen Seite steht in der italienischen Verfassung, dass der Staatspräsident Vorschläge machen kann, aber auf der anderen Seite ist es eher unlegitimiert. Und ich finde, und auch die Bürger finden, die Diskussion muss schon dort geführt werden, wo sie hingehört, nämlich im Parlament.

Ricke: Was ist denn die größere Blamage für die Demokratie: dass der Staatspräsident Experten einsetzt oder dass sich demokratisch gewählte Abgeordnete in der Krise nicht zusammenraufen können, um wenigstens eine Regierung zu bilden?

Garavini: Na ja, man darf nicht alles in einen Topf werfen. Man muss genau hingucken, wer Veränderungen will und wer sie verhindert und überhaupt, warum wir zu so einer Blockade gekommen sind. Wir als Demokratische Partei, wir sagen schon seit der Wahlkampagne, wir brauchen eine Regierung der Reformen, Reformen für mehr Wachstum, für mehr Demokratie, für einen Abbau der Privilegien beispielsweise der Politik. Auf der anderen Seite verweigert sich die Protestpartei von Grillo total, sie sagt, sie will mit niemandem zusammenarbeiten.

Auf der anderen Seite bliebe Berlusconi, aber wir wollen eben Veränderungen, wir wollen ein ehrliches Italien. Und das ist mit Berlusconi nicht möglich. Also, es geht nicht um irgendein Chaos, wie in Deutschland leider viele schreiben. Es geht darum, auf der einen Seite eine starke Verweigerung von Grillos Protestpartei und auf der anderen Seite die Tatsache, dass die Rechte in Italien immer noch von Berlusconi geführt wird. Und damit kann man keine Erneuerungsregierung schaffen.

Ricke: Wäre denn eine Wahlrechtsreform – es gibt ja diese Gruppe für politisch-institutionelle Reformen –, wäre denn eine Wahlrechtsreform ein Ausweg, zum Beispiel in Richtung Mehrheitswahlrecht? The winner takes it all, dann hätte man immer eine regierungsfähige Mehrheit. Allerdings wären dann auch alle kleinen Parteien raus. Wäre das der richtige Weg?

Garavini: Also, eine Reform des Wahlgesetzes ist in Italien dringend notwendig. Genau das ist auch einer der wichtigsten Gründe, warum die jetzige Blockade überhaupt zustande gekommen ist. Es ist eben ein Wahlsystem, das schon vor einigen Jahren von Berlusconi eingeführt wurde, genau um eine stabile Mehrheit beispielsweise für ein Mitte-Links-Bündnis zu verhindern. Gerade deswegen ist es jetzt notwendig, die Wahlgesetzreform zu initiieren. Ob es nun ein Mehrheitswahlrecht ist wie in Frankreich oder eher ein Wahlrecht wie in Deutschland, das ist eigentlich egal.

Wichtig ist, dass auf der einen Seite die Wähler endlich wieder direkt ihre Abgeordneten bestimmen können und dass auf der anderen Seite das Wahlsystem auch eine klare Mehrheit schaffen kann, zum Beispiel durch eine Mehrheitsprämie für die stärkste Partei oder für die stärkste Koalition.

Ricke: Angesichts der aktuellen Verhältnisse könnten natürlich auch Neuwahlen anstehen. Was müsste denn zuerst passieren, erst mal Neuwahlen oder erst mal Wahlrechtsreform?

Garavini: Ich denke, die Gefahr ist groß, dass, wenn man wieder wählt, mit diesem Wahlgesetz eben ähnliche Bedingungen herrschen. Also wieder so eine Blockade steht. Deswegen ist es sinnvoll, dass wir versuchen, eben wenigstens eine Wahlreform zu schaffen. Mal sehen, aber trotzdem, wenn die Lage sich nicht bald entspannt, müssen wir natürlich schon an Neuwahlen denken. Nichtsdestotrotz werden wir alles mögliche unternehmen, um eine Regierung der Erneuerung zu schaffen.

Ricke: Es gibt sehr große Probleme in Italien, insbesondere im Bereich Jugendarbeitslosigkeit. Dort brennt es. Es gibt ja auch die Expertengruppe, die sich mit Wirtschaft und Sozialem beschäftigt. Wie kann man denn den jungen Menschen in Italien helfen, ohne parallel dazu gleich wieder neue Schulden zu machen?

Garavini: Wir müssen insgesamt sehen, dass wir die Wirtschaft wieder in Gang bringen. Und das wird dann wiederum eben auch für Jugendliche positive Folgen haben. Wir wollen das durch eine Bekämpfung der Steuerhinterziehung finanzieren, wir wollen es durch eine Reduzierung der unproduktiven Ausgaben schaffen. Aber wir müssen auch für eine kurze Zeit das Defizit leicht erhöhen, das hat man in Deutschland auch vor fünf, sechs Jahren gehabt, um die Wirtschaftskrise zu überwinden.

Da darf man aber nicht denken, dass wir keine solide Haushaltspolitik fortsetzen wollen, das wollen wir ganz massiv. Wir wollen nicht mit weiteren Schulden die Zukunft unserer Kinder kaputtmachen, und nichtsdestotrotz, um die schlimme Krise zu bewältigen, müssen wir das auch für eine kurze Zeit in Anspruch nehmen.

Ricke: Laura Garavini, sie ist Abgeordnete im italienischen Parlament. Sie gehört der Demokratischen Partei an, also dem Mitte-Links-Bündnis. Vielen Dank, Frau Garavini, und einen guten Tag!

Garavini: Schönen Tag!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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