Eine prominente Zeitzeugin

28.01.2011
Es ist schon eine Weile her, dass der Film "Der Pianist" von Roman Polanski einen jüdischen Musiker und Komponisten weltberühmt machte: Wladyslaw Szpilman überlebte das Warschauer Ghetto kraft seiner Musik und starb 88-jährig im Jahr 2000.
Seine Witwe, Halina Szpilman, ist heute prominente Zeitzeugin. Sie bereist Schulen, um der jungen Generation die Geschichte ihrer Familie zu erzählen - kürzlich war sie in Berlin an der deutsch-polnischen Europaschule.
Ob der Film über ihren Mann denn gelungen sei, wollen Schüler der Robert-Jungk-Oberschule wissen.
Und: Ob sie sich in Deutschland nicht schlecht fühle, nach allem, was passiert sei ... Die Oberstufenschüler der deutsch-polnischen Robert-Jungk-Europaschule in Berlin nutzen die Gelegenheit, eine ganz besondere Zeitzeugin zu befragen: Halina Szpilman, die Witwe des Pianisten Wladyslaw Szpilman, der mit Hilfe von Chopins Nocturne in cis-Moll das Warschauer Ghetto überlebte und dessen Schicksal erst Jahrzehnte Später durch Roman Polanskis Film weltbekannt wurde. Halina Szpilman ist aus Warschau gekommen, um erlebte Geschichte weiterzugeben.

Sie erzählt den Schülern wie sich ihr Mann in verlassenen Wohnungen in Warschau versteckte - immer auf der Suche nach zurückgelassenen Lebensmitteln und Wasser, wie er versehentlich ins Lager der Feinde geriet, den deutschen Offizier Wilhelm Hosenfeld aber so mit seinem Klavierspiel beeindruckte, dass der ihn versteckte und damit sein Leben rettete.

Natalia: "Das Thema beschäftigt uns schon seit Längerem, schon unsere ganze Schullaufbahn. Und als ich den Film gesehen habe, da war die Szene besonders schlimm, als die Juden in zwei Reihen aufgestellt wurden, und dann hat ein Nazi sich immer einen ausgesucht und auf den Boden gelegt und dann umgebracht, nacheinander."

Erzählt die 18-jährige Natalia. Wie viele andere Schüler hier hat sie deutsch-polnische Wurzeln. Das Thema "Zweiter Weltkrieg" und "Nationalsozialismus" ist deshalb an dieser Schule besonders präsent.

Natalia: "Das ist halt unsere Geschichte, wir müssen viel darüber lernen, wir müssen wissen, was passiert war, mich interessiert auch die Frage, wie das Leben danach war, ob man das alles vergessen konnte."

Halina Szpilman: "Die Reaktion der Schüler ist unterschiedlich. Einmal - nach einer Veranstaltung mit 13- bis 14-Jährigen in Warschau, sagte ein Schüler: Grüßen Sie ihren Mann schön. Ich erwiderte: Das geht nicht, mein Mann ist schon verstorben.

Ein anderer Schüler dagegen war sehr nachdenklich und sagte: Ihr Mann hat sehr schlimme Dinge erlebt. Was denkst Du, war am schlimmsten?, fragte ich ihn. Die Antwort war: Die Trennung von seiner Familie am Umschlagplatz.
Für einige Schüler der Robert-Jungk-Oberschule ist die Begegnung mit Halina Szpilman aber nicht nur wegen des berührenden Schicksals ihres Mannes wichtig. Max aus der 12.Klasse sieht diese Geschichte in einem größeren Kontext - besonders ein Aspekt beschäftigt ihn.

Max: "Wie man damit umgegangen ist, ist der zentrale Kern ... wie hat der Krieg jemanden beeinträchtigt, vor allem durch die Teilung dann der Welt in Kapitalismus und Sozialismus war das ja noch ganz extrem - und wie man damit umgegangen ist, dass man nicht frei war, sondern von einem Unglück ins andere gestürzt ist und seine Meinung immer noch aufgezwungen bekommen hat, obwohl man es eigentlich gar nicht wollte."

Ich finde das interessant deswegen, weil ich Familie sowohl in Polen habe, als auch in Deutschland, ich habe von beiden Seiten gehört, was während des Zweiten Weltkrieges passiert ist, und es gibt von der einen oder anderen Seite interessante, aber auch traurige Geschichten ...

Der Besuch von Halina Szpilman ist für die Schüler mehr als die Begegnung mit einer Zeitzeugin, die "erzählt wie es damals war" – zumal es, so Max, viele jüngere Leute gebe, die glaubten, das sei doch alles längst passé:

"Dieses Thema langweilt halt viele Jugendliche heutzutage, weil sie noch nicht so ein weltoffenes Bild haben, sondern sich eher mit ihrem eigenen Kram beschäftigen und nicht wissen was in der Welt so los ist - oder war ..."

Genau dagegen möchte die heute über 80-Jährige Halina Szpilman mit ihren Besuchen an Schulen in Warschau und Berlin ankämpfen. Die studierte Ärztin, deren Vater das KZ Sachsenhausen nur knapp überlebte, erzählt die Geschichte ihrer Familie aber nicht nur als Warnung vor einer schrecklichen Vergangenheit, sondern auch als Plädoyer für Toleranz in Gegenwart und Zukunft. Dafür ist der heute über 80-Jährigen kein Weg zu weit.

Szpilman: "Ich finde, es ist wichtig, dass die Schüler jemanden sehen, der das alles wirklich erlebt hat - nicht nur aus einem Buch, nicht nur aus einem Film, sondern die Person kennenzulernen, die das wirklich gesehen hat. Dafür nimmt man die Beschwerlichkeiten einer Reise gerne auf sich."

Für Halina Szpilman lohnt sich diese Mühe vor allem, wenn sie merkt, dass ihre Botschaft ankommt. An der Robert-Jungk-Oberschule hat sie einen bleibenden Eindruck hinterlassen:

"Sie hat uns viele wichtige Dinge für’s Leben mitgegeben, zum Beispiel, dass man nicht gleich das ganze Volk verantwortlich macht, so wie Frau Szpilman gesagt hat. Sie macht nicht eine Nation dafür verantwortlich, sondern die einzelne Person, und ich finde, das ist sehr wichtig."