Eine prekäre Auferstehung
Die Geschichte des Lazarus - seinen Tod und seine Auferstehung - hat Alexander Schulin in Kiel auf die Bühne gebracht. Der spanische Komponist Cristóbal Halffter lieferte eine Vorlage aus dem Geist der Moderne und gleichzeitig vom guten alten Schlag. Der Regisseur nutzte sie geschickt, und das Publikum dankte mit einhelligem Applaus.
Die Religion ist mit musikalischer Macht nach Kiel zurückgekehrt. Mit der zwischen Himmelfahrt und Pfingsten uraufgeführten späten Oper von Cristóbal Halffter geht es an einem für Christen entscheidenden Punkt um die Frage, was geglaubt werden soll und kann. Zwar war das "Höhlengleichnis" von Platon der Ausgangspunkt für die Erwägungen, die zum Libretto des Dichters Juan Carlos Marset führten, doch avancierte dann Lazarus zur Schlüsselfigur des von Halffter komponierten (und mit ausladenden, musikalisch wirkungsmächtigen Zwischenspielen versehen) Textes.
Zweimal taucht ein Mann dieses Namens im Neuen Testament auf - beide Male geht es um die "Auferstehung" von den Toten. Das eine Mal (in Lukas 16, 19ff.) wird der Fall des "armen Lazarus" verhandelt. Der Text zur Oper von Cristóbal Halffter stützt sich auf den "anderen" Lazarus - jenen, mit dem (ohne seine vorherige Einverständniserklärung) ein weitreichender Menschenversuch veranstaltet wird.
Marset bringt die von Johannes kolportierte Legende, nach der Lazarus vier Tage tot in einer Grabhöhle lag, bis ihn der Wanderprediger herausgerufen, ihm die Binden lösen und ihn weggehen lassen habe in Verbindung mit der von allen vier Evangelien berichteten Leidens- und Kreuzigungsgeschichte.
Denn der Wiederauftritt des Lazarus war wohl der Höhepunkt der ihm zugeschriebenen Wundertätigkeit und provozierte, dass Jesu Feinde seinen Tod beschlossen. Schon von daher erscheint es konsequent, die Lazarus-Überlieferung auf Gethsemane und Golgatha zu beziehen - aus höheren theologischen Gründen ohnedies.
Der Librettist spinnt den Lehrtext fort, den der Evangelist Johannes zur Reanimation des Bruders von Maria und Martha, die "Jesus lieb hatte" (11, 5), entwickelte. Der auferstandene Lazarus gerät in die Hände von Malchus & Co.; er kann den Sicherheitskräfte noch einmal entkommenen – halb nackt und verletzt; findet vorübergehend Zuflucht zuhause in Bethanien bei seinen Schwestern. Und endgültig in der Höhle, in der er bereits einmal beigesetzt wurde und in der er träumt.
Im Traum aber spaltet er sich in verschiedene Persönlichkeiten auf, die sich auf unterschiedlichen Wirklichkeits- beziehungsweise Unwirklichkeitsebenen bewegen. So müht sich das Werk wohl, "letzte Dinge" zu ergründen - nicht zuletzt die Fragen der Feindesliebe, des Verrats und der wahren religiösen Nachfolge: wie sich denn, wenn die Kräfte der "alten Gesellschaf" sich wechselseitig zugrunde richteten, ein "neues Jerusalem" bilden könne.
So entsteht der Eindruck, dass diese späte Oper von Cristóbal Halffter die Geschichte des Lazarus als einer Generalprobe interpretiere und mit ihr selbst Vorgeschmack auf das ewige Leben biete, an das die Christen glauben. Das Projekt, das ebensogut erkenntniskritische Züge hätte hervorkehren können, nimmt am Ende die Züge eines Bekenntniswerks an.
Die Musik dazu basiert auf einer elaborierten Partitur, die das Schlagwerk gebührend berücksichtigt, mit Sekundreibungen nicht geizt, Erregungs- und Schreckmomente ausspielt. Halffter lieferte für Kiel eine Arbeit aus dem Geist der Moderne vom guten alten Schlag.
Postmoderne Zitatenfreudigkeit ist seine Sache nicht. Dennoch wirken zwei glaubensintensive Textstellen so, als habe der Komponist für sie Passagen aus dem 17. Jahrhundert "überschrieben" - also eine Brise des Geistes älterer Kirchenmusik seinem Werk beigegeben.
Die spanisch gesungenen Vokalpartien des Lazarus und des verratenen Verräters Judas werden von Jörg Sabrowski und Friedemann Kunder ebenso nachdrücklich in die Welt gesetzt wie die der Maria und Martha von Julia Henning und Claudia Iten mit der Inbrunst der überzeugten Gläubigen. Georg Fritzsch hat sich als Dirigent hörbar für die Reflexionen über zweites Erwachen und den zweiten Tod des Lazarus engagiert, Alexander Schulin die religiöse Handlung mit genauen Gesten ohne ausschweifende Assoziationen in Szene gesetzt: Einhelliger Beifall.
"Lazarus"
Von Cristóbal Halffter
Inszenierung: Alexander Schulin
Opernhaus Kiel
Zweimal taucht ein Mann dieses Namens im Neuen Testament auf - beide Male geht es um die "Auferstehung" von den Toten. Das eine Mal (in Lukas 16, 19ff.) wird der Fall des "armen Lazarus" verhandelt. Der Text zur Oper von Cristóbal Halffter stützt sich auf den "anderen" Lazarus - jenen, mit dem (ohne seine vorherige Einverständniserklärung) ein weitreichender Menschenversuch veranstaltet wird.
Marset bringt die von Johannes kolportierte Legende, nach der Lazarus vier Tage tot in einer Grabhöhle lag, bis ihn der Wanderprediger herausgerufen, ihm die Binden lösen und ihn weggehen lassen habe in Verbindung mit der von allen vier Evangelien berichteten Leidens- und Kreuzigungsgeschichte.
Denn der Wiederauftritt des Lazarus war wohl der Höhepunkt der ihm zugeschriebenen Wundertätigkeit und provozierte, dass Jesu Feinde seinen Tod beschlossen. Schon von daher erscheint es konsequent, die Lazarus-Überlieferung auf Gethsemane und Golgatha zu beziehen - aus höheren theologischen Gründen ohnedies.
Der Librettist spinnt den Lehrtext fort, den der Evangelist Johannes zur Reanimation des Bruders von Maria und Martha, die "Jesus lieb hatte" (11, 5), entwickelte. Der auferstandene Lazarus gerät in die Hände von Malchus & Co.; er kann den Sicherheitskräfte noch einmal entkommenen – halb nackt und verletzt; findet vorübergehend Zuflucht zuhause in Bethanien bei seinen Schwestern. Und endgültig in der Höhle, in der er bereits einmal beigesetzt wurde und in der er träumt.
Im Traum aber spaltet er sich in verschiedene Persönlichkeiten auf, die sich auf unterschiedlichen Wirklichkeits- beziehungsweise Unwirklichkeitsebenen bewegen. So müht sich das Werk wohl, "letzte Dinge" zu ergründen - nicht zuletzt die Fragen der Feindesliebe, des Verrats und der wahren religiösen Nachfolge: wie sich denn, wenn die Kräfte der "alten Gesellschaf" sich wechselseitig zugrunde richteten, ein "neues Jerusalem" bilden könne.
So entsteht der Eindruck, dass diese späte Oper von Cristóbal Halffter die Geschichte des Lazarus als einer Generalprobe interpretiere und mit ihr selbst Vorgeschmack auf das ewige Leben biete, an das die Christen glauben. Das Projekt, das ebensogut erkenntniskritische Züge hätte hervorkehren können, nimmt am Ende die Züge eines Bekenntniswerks an.
Die Musik dazu basiert auf einer elaborierten Partitur, die das Schlagwerk gebührend berücksichtigt, mit Sekundreibungen nicht geizt, Erregungs- und Schreckmomente ausspielt. Halffter lieferte für Kiel eine Arbeit aus dem Geist der Moderne vom guten alten Schlag.
Postmoderne Zitatenfreudigkeit ist seine Sache nicht. Dennoch wirken zwei glaubensintensive Textstellen so, als habe der Komponist für sie Passagen aus dem 17. Jahrhundert "überschrieben" - also eine Brise des Geistes älterer Kirchenmusik seinem Werk beigegeben.
Die spanisch gesungenen Vokalpartien des Lazarus und des verratenen Verräters Judas werden von Jörg Sabrowski und Friedemann Kunder ebenso nachdrücklich in die Welt gesetzt wie die der Maria und Martha von Julia Henning und Claudia Iten mit der Inbrunst der überzeugten Gläubigen. Georg Fritzsch hat sich als Dirigent hörbar für die Reflexionen über zweites Erwachen und den zweiten Tod des Lazarus engagiert, Alexander Schulin die religiöse Handlung mit genauen Gesten ohne ausschweifende Assoziationen in Szene gesetzt: Einhelliger Beifall.
"Lazarus"
Von Cristóbal Halffter
Inszenierung: Alexander Schulin
Opernhaus Kiel