"Eine Politik des Ressentiments"

Herfried Münkler im Gespräch mit Nana Brink · 04.04.2013
Kanzlerin Merkel mit Hitlerbart auf antideutschen Plakaten: "In dem Zeigen dieser Symbole stecken auch politische Kalküle, die die deutsche Position schwächen sollen", glaubt der Historiker Herfried Münkler. Die Empörung werde inszeniert, um z.B. Bedingungen für Finanzhilfen diktieren zu können.
Nana Brink: Kürzlich wurde Bundeskanzlerin Angela Merkel von einer großen deutschen Zeitung gefragt, was sie denn empfinde, wenn sie Bilder von sich mit dem Hitlerbärtchen sieht, wie jetzt wieder auf Plakaten in Zypern, und man kann sich vorstellen, dass die Kanzlerin solche persönlichen Fragen eher ungern beantwortet, aber sie gestand schon ehrlich ein, dass sie es doch bewege, aber dass sie es schon einzuschätzen wisse. Ein echter Merkel-Satz also, und diese Aussage trifft ziemlich gut die Stimmung hierzulande, zumindest im politischen Berlin angesichts der wachsenden Kritik, die Deutschland seit Beginn der Eurokrise entgegenschallt.
Und am Telefon ist jetzt der Politikwissenschaftler Professor Herfried Münkler. Schönen guten Morgen, Herr Münkler!

Herfried Münkler: Guten Morgen!

Brink: Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn musste belehren, Deutschland, vergesst nicht, wie sehr ihr von der EU profitiert habt, und ein zyprischer Diplomat erklärte, wir hätten mehr Solidarität von euch erwartet. Sind wir die Sündenböcke?

Münkler: Na ja, wir werden jedenfalls dazu gemacht. Die Rolle, die lange Zeit in Anführungszeichen "Brüssel", also die EU, die Kommission innegehabt hat, wird zunehmend auf Deutschland übertragen, und diese eigentümliche Kombination aus korrupten Eliten in anderen Ländern und populistischen Akteuren, die sucht einen Sündenbock, also jemanden, auf den sie alles abladen kann, dem sie die Schuld an Problemen, Fehlern und so weiter zuschieben kann, und dafür bietet sich natürlich Deutschland infolge seiner Geschichte an.

Brink: Aber in den meisten Fällen ist ja an Kritik auch ein Körnchen Wahrheit.

Münkler: Nun ja, das Körnchen mag darin bestehen, dass die Bundesrepublik, die heute auf die Einhaltung der Verträge drängt, in der Anfangsphase, also im ersten Kabinett Schröder, sie selber einmal gerissen hat, und sich heute gewissermaßen umso härter und konsequenter als der Wahrer der Verträge darstellt. Das ist vielleicht das Körnchen, um das es geht.

Brink: Was passiert denn da in Europa, gerade in den südlichen Ländern? Ist das so eine Art Projektion? Oder wie würden Sie das beschreiben?

Münkler: Nein, ich würde es zunächst einmal beschreiben als einen Vorgang des politischen Unterdrucksetzens, oder man könnte fast sagen, auch der Erpressung, denn in gewisser Hinsicht läuft das Ganze so, dass erklärt wird, wir brauchen Hilfe, wir wollen Hilfe, aber wir wollen Hilfe zu unseren Bedingungen, nicht zu euren deutschen Bedingungen, und wenn ihr nicht bereits seid, zu unseren Bedingungen Hilfe zu geben, dann zeigen wir euch die Symbole eurer Schande und versuchen darüber gewissermaßen, innerhalb der EU-Koalition gegen euch zu mobilisieren.

Also, es ist eine Politik des Ressentiments, von der man ja eigentlich angenommen hat, dass sie durch die Formierung der Europäischen Union überwunden worden seien. Nun zeigt sich aber, dass die peripheren Akteure und die Fliehkräfte innerhalb der EU doch größer sind, und Deutschland die Rolle sozusagen der zentripetalen Macht spielen muss, damit in eine Position hineingerät, in der sie immer wieder angreifbar ist.

Brink: Interessant ist ja – Sie haben das eben erwähnt, dass immer wieder die Symbole des Dritten Reiches benutzt werden, also wie man auf den Plakaten sieht, dass Frau Merkel dieses Hitlerbärtchen hat. Das kann man ja – in Griechenland wurden ja auch deutsche Fahnen verbrannt, und dann kann man sich ja noch an die Verbrechen der Deutschen im Dritten Reich erinnern, in Zypern geht diese Rechnung aber nicht auf, und trotzdem ist man empört und benutzt diese Symbole.

Münkler: Ja, ich weiß nicht, ob man empört wirklich ist, jedenfalls inszeniert man Empörung, und das ist im Falle der Zyprer halt auch besonders frivol, denn Zypern ist vom deutschen Militär nie besetzt gewesen, die Deutschen haben dort auch keine militärischen oder politischen Verbrechen begangen, aber da kann man sehen, wie gewissermaßen in einer Zeit der globalen Vernetzung auch die Symbole gewissermaßen beliebig zirkulieren, und nachdem man in der Betrachtung der Griechen den Eindruck hatte, dass man darüber jedenfalls kurzfristig so etwas wie eine Koalition der Südländer organisieren kann, hat man es halt wieder versucht.

Das ist, denke ich, eben nicht nur die Empörung des sogenannten kleinen Mannes oder der kleinen Frau von der Straße, sondern in dem Zeigen dieser Symbole stecken auch politische Kalküle, die die deutsche Position schwächen sollen, und deswegen ist es richtig, dass Frau Merkel in dieser Frage eben stur bleibt, oder jedenfalls die Nerven behält.

Brink: Oder zumindest sehr gelassen bleibt. Immer wieder taucht ja im Rahmen dieser Kritik auch das Wort auf, Deutschland ist der ungeliebte Hegemon, also eine europäische Großmacht. Ja, wider Willen doch eigentlich!

Münkler: Ja, wider Willen, nicht? Ich meine, die Funktion eines Hegemon ist, wenn man das genauer betrachtet, ja eigentlich nicht, dass er da von selber große Vorzüge hat, sondern dass er gleichsam kollektive Güter für den Gesamtverband bereitstellt, das sind in diesem Falle Stabilität und Nachhaltigkeit und vielleicht auch so etwas wie korruptionsresistente Eliten.

Und das ist natürlich nicht immer angenehm, weil man das gegenüber anderen durchsetzen muss, zumal man obendrein auch noch die materiellen Kosten dessen hat, und von daher ist natürlich auch klar, dass relativ leicht sich emotionale, aber auch sachlich begründete antihegemoniale Koalitionen organisieren lassen, mit denen wir es hier zu tun haben.

Brink: Müsste nicht dann von anderen europäischen Staaten mehr Solidarität kommen, also zum Beispiel von Frankreich oder Spanien?

Münkler: Müsste, müsste, ja, auch von Italien als dem Mitgründungsmitglied der EWG als Ursprungsort, aber damit ist vorerst nicht zu rechnen. Also sozusagen, man kann sehen, die deutsche Politik ist hochgradig verletzlich aufgrund ihrer Geschichte, sie muss eine hegemoniale Rolle spielen, das hat vor einiger Zeit keiner schöner gesagt als der polnische Außenminister Sikorski, und wenn sie die nicht spielt, dann käme zumindest die Europäische Union in eine Unwucht hinein oder fliegt auseinander, aber sobald sie sie spielt, ist sie in einer dramatischen Weise angreifbar.

Und in der Geschichte der Europäischen Union und ihrer Vorgängerorganisationen war es eigentlich immer so, dass man relativ viele deutsche Vorschläge über Paris in die europäischen Mechanismen hineinlanciert hat. Das war im Prinzip das, was man die Achse Bonn-Paris/Berlin-Paris genannt hat. Die funktioniert nicht mehr, Deutschland ist in einer dramatischen Weise sichtbar geworden, und die anderen stehen dabei und beobachten das mit einer gewissen Schadenfreude.

Brink: Also ein Dilemma, aus dem man wahrscheinlich auch nicht rauskommt. Der Politikwissenschaftler Professor Herfried Münkler, schönen Dank für das Gespräch!

Münkler: Bitte schön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema