Eine Pionierin
750.000 Schülerinnen und Schüler zählen in Deutschland zum Islam, doch im Gegensatz zum katholischen oder evangelischen Religionsunterricht erhalten die muslimischen Schüler keinen regulären Unterricht in ihrer Religion. Bislang gibt es lediglich – wie in Nordrhein-Westfalen oder Niedersachsen – Modellprojekte. Eine der Pionierinnen in Sachen islamischer Religionsunterricht ist Lamya Kaddor.
Pause an der Glückauf-Hauptschule in Dinslaken-Lohberg. Lamya Kaddor ist bei den Schülerinnen und Schülern beliebt. Sie redet mit ihnen über deren Liebeskummer und über Lästereien. Sie sucht den Kontakt zu den Jugendlichen.
Lamya Kaddor ist vor 30 Jahren im westfälischen Ahlen zur Welt gekommen. Ihre Eltern stammen aus Syrien. Nach dem Studium der Islam- und Erziehungswissenschaften hat Lamya Kaddor – neben einem Job an der Uni - mit 25 den Sprung ins kalte Wasser gewagt und als islamische Religionslehrerin in Dinslaken begonnen. Der Anfang:
"Sehr gewöhnungsbedürftig. Ich hatte mir das Klientel nicht so vorgestellt; ich habe vorher nie eine Hauptschule besucht, vorher wenig mit dieser Schulform zu tun gehabt, weil ich ja auch nicht Lehramt studiert habe, (…) und es war so, dass ich in einer 9. Klasse unterrichten sollte, und die Kollegin, es war also die Klassenlehrerin, die stellte mich mit den Worten vor: und achtet mal darauf, liebe Kinder, wie gut die Frau Kaddor deutsch sprechen kann, da habe ich mir auch gedacht: ist das jetzt eine Beleidigung oder ist das ein Kompliment."
Dinslaken-Lohberg: Mehr als zwei Drittel der Familien haben einen Migrationshintergrund, die meisten in dem alten Bergbauviertel stammen aus der Türkei. Hier sind es die Lehrer nicht gewohnt, dass eine Frau, die Lamya Kaddor heißt, so gut deutsch spricht. Auch die Schülerinnen und Schüler waren überrascht, als die neue Religionslehrerin sich vorstellte:
"Einerseits fand man das natürlich gut: oh, eine junge Frau, ist immer gut, wenn man jemand Junges da stehen hat als Lehrer; andererseits: ach so, die sollen uns jetzt Islam unterrichten, das ist eine Sache, die passte erst einmal aus ihrem Verständnis heraus offensichtlich nicht. Die hatten wohl überlegt: eine neue Islamlehrerin, die wird wahrscheinlich Mitte 50 sein, ein Kopftuch tragen und wahrscheinlich nicht der deutschen Sprache so mächtig. Und das hat die erstmals erstaunt."
Ihre Schüler wie Mustafa und Gülcün sind begeistert vom islamischen Religionsunterricht.
"Man kann sich in der Schule über alles informieren; in der Moschee ist das anders, da lernt man nur Koran, muss die Suren auswendig lernen, und nicht über andere Dinge zu reden.
Wir lesen das einfach auf Arabisch, aber verstehen das nicht, und hier bei Frau Kaddor, sie erklärt das, was das alles zu bedeuten hat. In der Schule können wir über private Dinge mit Frau Kaddor reden, über andere Religionen, über alles. Ich wusste gar nichts über andere Religionen, ich dachte, es gibt nur den Islam.
Wir haben schon über alles geredet, sie ist wie unsere große Schwestern, sie ist eine Vertrauensperson. Judentum – Islam… denkt mal an die Jungens? Beschneiden, könnt ihr euch an eure Beschneidung erinnern?""
Zum Ende der Unterrichtseinheit wiederholt Lamya Kaddor mit den Schülern der 10c noch einmal einige Aspekte der Weltreligionen. Und zum Schluss der Stunde geht es um das Thema Christentum und Islam:
"Am Ostermontag ist er wieder auferstanden? Wie sehen das die Muslime? Er ist weder getötet noch gekreuzigt worden …"
Lamya Kaddor ist mit einem deutschen Konvertiten verheiratet; sie arbeitet nur einige Stunden pro Woche als Lehrerin. Bis vor kurzem hat sie an der Universität Münster künftige muslimische Religionslehrer ausgebildet. Sie war die erste Sprecherin, die im vergangenen Jahr in der neuen ZDF-Reihe "Forum am Freitag" – sozusagen das Pendant zum "Wort zum Sonntag" – ihren Glauben darlegte. Sie hat in einem Buch den Koran für Kinder erklärt, und demnächst erscheint das deutschlandweit erste Schulbuch für islamischen Religionsunterricht - Autorin: Lamya Kaddor. Die liberale Muslimin eckt mit ihrer Arbeit bei konservativen Imamen und Hodschas an. Dass in ihrem Kinderkoran zum Beispiel Abbildungen des Propheten Mohammed zu finden sind, fanden einige islamische Geistliche gar nicht gut:
"Mit dem Erscheinen des Kinderkorans, mit dem Abbilden der Miniaturen, da weiß ich, dass der Hodscha zähneknirschend gesagt hat: Ja, man kann es machen, aber muss ja nicht sein, sie muss doch unsere Gemeinde nicht vor den Kopf stoßen, ja andererseits ist es so, dass ich denke, dass man das manchmal genau tun muss, Leute vor den Kopf stoßen."
Misstrauen kommt aber auch von ganz anderer Seite. So kritisiert der Oldenburger Religionspädagoge Jürgen Heumann grundsätzlich das Angebot eines islamischen Religionsunterrichts. Es fehle im Islam die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Gottesbild sowie mit den Glaubenstraditionen.
Lamya Kaddor: "Ich kann dem nichts abgewinnen, denn die kritische Distanz, die kann ich mir sehr wohl leisten, denn warum soll ich nicht kritisch mit meinem eigenen Glauben umgehen können. Wer sagt, dass ich es nicht kann, vor allem das ist echt interessant, dass ein Nicht-Muslim über Muslime sagt, sie könnten es nicht, ich denke, es gibt besonders im Islam eine Minderheit - wobei: Ich weiß gar nicht, ob das nur eine Minderheit ist, die sich sehr stark bemüht, den Islam in Deutschland in ihr Leben so zu integrieren, dass sie nicht ständig zwischen Demokratie, Grundordnung und Scharia wählen müssen und sich eigentlich ganz wohl fühlen, mit dieses Art des Islams zu leben."
Gerade um den liberalen Islam zu stärken, sei es eminent wichtig, Islamunterricht möglichst flächendeckend anzubieten. Lamya Kaddor nennt drei Gründe:
"Dieser Unterricht fördert auf jeden Fall die Deutschsprachigkeit – vor allem im Fach Religion; die Eltern und Schülern haben es vor fünf Jahren, als ich anfing, nicht für nötig befunden, sich in deutscher Sprache mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen. Sondern man hat gedacht: der Islam funktioniert nur auf Türkisch oder Arabisch. Deutsch geht ja gar nicht, denn Deutsch bedeutet christlich - das war die Vorstellung."
Der zweite Grund: wenn es nicht nur evangelischen oder katholischen Religionsunterricht, sondern auch islamischen gebe, dann mache das den Schülern deutlich, dass sie eine Stufe der Gleichberechtigung erreicht haben. Und der dritte Grund:
"Seit dem 11. September gibt es natürlich Radikalisierungsprozesse innerhalb der Gruppe der Muslime, und ich glaube, dass der islamische Religionsunterricht definitiv dazu beitragen kann, wenn nicht sogar der Schlüssel dazu ist, diesem Radikalisierungsprozess entgegen zu wirken."
Doch noch steckt der islamische Religionsunterricht in den Kinderschuhen. Lamya Kaddor bleibt noch viel zu tun.
Lamya Kaddor ist vor 30 Jahren im westfälischen Ahlen zur Welt gekommen. Ihre Eltern stammen aus Syrien. Nach dem Studium der Islam- und Erziehungswissenschaften hat Lamya Kaddor – neben einem Job an der Uni - mit 25 den Sprung ins kalte Wasser gewagt und als islamische Religionslehrerin in Dinslaken begonnen. Der Anfang:
"Sehr gewöhnungsbedürftig. Ich hatte mir das Klientel nicht so vorgestellt; ich habe vorher nie eine Hauptschule besucht, vorher wenig mit dieser Schulform zu tun gehabt, weil ich ja auch nicht Lehramt studiert habe, (…) und es war so, dass ich in einer 9. Klasse unterrichten sollte, und die Kollegin, es war also die Klassenlehrerin, die stellte mich mit den Worten vor: und achtet mal darauf, liebe Kinder, wie gut die Frau Kaddor deutsch sprechen kann, da habe ich mir auch gedacht: ist das jetzt eine Beleidigung oder ist das ein Kompliment."
Dinslaken-Lohberg: Mehr als zwei Drittel der Familien haben einen Migrationshintergrund, die meisten in dem alten Bergbauviertel stammen aus der Türkei. Hier sind es die Lehrer nicht gewohnt, dass eine Frau, die Lamya Kaddor heißt, so gut deutsch spricht. Auch die Schülerinnen und Schüler waren überrascht, als die neue Religionslehrerin sich vorstellte:
"Einerseits fand man das natürlich gut: oh, eine junge Frau, ist immer gut, wenn man jemand Junges da stehen hat als Lehrer; andererseits: ach so, die sollen uns jetzt Islam unterrichten, das ist eine Sache, die passte erst einmal aus ihrem Verständnis heraus offensichtlich nicht. Die hatten wohl überlegt: eine neue Islamlehrerin, die wird wahrscheinlich Mitte 50 sein, ein Kopftuch tragen und wahrscheinlich nicht der deutschen Sprache so mächtig. Und das hat die erstmals erstaunt."
Ihre Schüler wie Mustafa und Gülcün sind begeistert vom islamischen Religionsunterricht.
"Man kann sich in der Schule über alles informieren; in der Moschee ist das anders, da lernt man nur Koran, muss die Suren auswendig lernen, und nicht über andere Dinge zu reden.
Wir lesen das einfach auf Arabisch, aber verstehen das nicht, und hier bei Frau Kaddor, sie erklärt das, was das alles zu bedeuten hat. In der Schule können wir über private Dinge mit Frau Kaddor reden, über andere Religionen, über alles. Ich wusste gar nichts über andere Religionen, ich dachte, es gibt nur den Islam.
Wir haben schon über alles geredet, sie ist wie unsere große Schwestern, sie ist eine Vertrauensperson. Judentum – Islam… denkt mal an die Jungens? Beschneiden, könnt ihr euch an eure Beschneidung erinnern?""
Zum Ende der Unterrichtseinheit wiederholt Lamya Kaddor mit den Schülern der 10c noch einmal einige Aspekte der Weltreligionen. Und zum Schluss der Stunde geht es um das Thema Christentum und Islam:
"Am Ostermontag ist er wieder auferstanden? Wie sehen das die Muslime? Er ist weder getötet noch gekreuzigt worden …"
Lamya Kaddor ist mit einem deutschen Konvertiten verheiratet; sie arbeitet nur einige Stunden pro Woche als Lehrerin. Bis vor kurzem hat sie an der Universität Münster künftige muslimische Religionslehrer ausgebildet. Sie war die erste Sprecherin, die im vergangenen Jahr in der neuen ZDF-Reihe "Forum am Freitag" – sozusagen das Pendant zum "Wort zum Sonntag" – ihren Glauben darlegte. Sie hat in einem Buch den Koran für Kinder erklärt, und demnächst erscheint das deutschlandweit erste Schulbuch für islamischen Religionsunterricht - Autorin: Lamya Kaddor. Die liberale Muslimin eckt mit ihrer Arbeit bei konservativen Imamen und Hodschas an. Dass in ihrem Kinderkoran zum Beispiel Abbildungen des Propheten Mohammed zu finden sind, fanden einige islamische Geistliche gar nicht gut:
"Mit dem Erscheinen des Kinderkorans, mit dem Abbilden der Miniaturen, da weiß ich, dass der Hodscha zähneknirschend gesagt hat: Ja, man kann es machen, aber muss ja nicht sein, sie muss doch unsere Gemeinde nicht vor den Kopf stoßen, ja andererseits ist es so, dass ich denke, dass man das manchmal genau tun muss, Leute vor den Kopf stoßen."
Misstrauen kommt aber auch von ganz anderer Seite. So kritisiert der Oldenburger Religionspädagoge Jürgen Heumann grundsätzlich das Angebot eines islamischen Religionsunterrichts. Es fehle im Islam die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Gottesbild sowie mit den Glaubenstraditionen.
Lamya Kaddor: "Ich kann dem nichts abgewinnen, denn die kritische Distanz, die kann ich mir sehr wohl leisten, denn warum soll ich nicht kritisch mit meinem eigenen Glauben umgehen können. Wer sagt, dass ich es nicht kann, vor allem das ist echt interessant, dass ein Nicht-Muslim über Muslime sagt, sie könnten es nicht, ich denke, es gibt besonders im Islam eine Minderheit - wobei: Ich weiß gar nicht, ob das nur eine Minderheit ist, die sich sehr stark bemüht, den Islam in Deutschland in ihr Leben so zu integrieren, dass sie nicht ständig zwischen Demokratie, Grundordnung und Scharia wählen müssen und sich eigentlich ganz wohl fühlen, mit dieses Art des Islams zu leben."
Gerade um den liberalen Islam zu stärken, sei es eminent wichtig, Islamunterricht möglichst flächendeckend anzubieten. Lamya Kaddor nennt drei Gründe:
"Dieser Unterricht fördert auf jeden Fall die Deutschsprachigkeit – vor allem im Fach Religion; die Eltern und Schülern haben es vor fünf Jahren, als ich anfing, nicht für nötig befunden, sich in deutscher Sprache mit ihrem Glauben auseinanderzusetzen. Sondern man hat gedacht: der Islam funktioniert nur auf Türkisch oder Arabisch. Deutsch geht ja gar nicht, denn Deutsch bedeutet christlich - das war die Vorstellung."
Der zweite Grund: wenn es nicht nur evangelischen oder katholischen Religionsunterricht, sondern auch islamischen gebe, dann mache das den Schülern deutlich, dass sie eine Stufe der Gleichberechtigung erreicht haben. Und der dritte Grund:
"Seit dem 11. September gibt es natürlich Radikalisierungsprozesse innerhalb der Gruppe der Muslime, und ich glaube, dass der islamische Religionsunterricht definitiv dazu beitragen kann, wenn nicht sogar der Schlüssel dazu ist, diesem Radikalisierungsprozess entgegen zu wirken."
Doch noch steckt der islamische Religionsunterricht in den Kinderschuhen. Lamya Kaddor bleibt noch viel zu tun.