Eine Ost-West-Geschichte

Von Elske Brault |
Eine Spionagestory dient dem 83-jährigen Regisseur Ottokar Runze dazu, mit seinem Stück "Der andere Mann" die Stimmung vor und nach der Wende zu erforschen. Im Mittelpunkt steht ein politferner Ostberliner Buchhändler, der mit einer West-Journalistin anbändelt und gleichzeitig als IM für die Stasi arbeitet.
Wie viele Filme, wie viele Theaterstücke beschäftigen sich mit der jüngsten Vergangenheit, mit dem Mauerfall und dem Untergang der DDR? Außer den poetischen autobiographischen Theaterreflexionen von Armin Petras/Fritz Kater fällt einem nur unser internationales filmisches Aushängeschild ein: "Das Leben der anderen". Bereits im Titel knüpft "Der andere Mann" an diesen Film an, auch inhaltlich wagt der 83-jährige Ottokar Runze mit seinem ersten Theaterstück Ähnliches: Eine nicht allzu glaubwürdige Spionagegeschichte dient ihm dazu, die Stimmung vor und nach der Wende zu erforschen, den Einfluss des Politischen auf das Private.

1994: Die Journalistin Elisabeth besucht eine Frau im Gefängnis, an deren Verurteilung sie mittelbar beteiligt war: Sie hat kurz nach der Wende über eine undichte Stelle im Ministerium für innerdeutsche Angelegenheiten berichtet. Die Ermittlungen überführten die nunmehr verurteilte Corinna Heinrich, geheime Gesprächsprotokolle des Ministerialdirektors an DDR-Agenten weitergegeben zu haben. Doch der entscheidende Hinweis kam damals von Elisabeths Mann Johannes, angeblich nur ein unbescholtener Ostberliner Buchhändler, der nach der Wende Karriere gemacht hat in der Politik. Seltsam: Johannes sieht genau so aus wie jener polnische Dolmetscher Jan Wischnewski, der seinerzeit Corinna Heinrich dazu verführt hat, die geheimen Akten zu kopieren.

Ottokar Runze konzentriert sich bei dieser Uraufführung seines eigenen Stücks auf die Schauspieler, das Bühnenbild von Stephan Mannteuffel hält sich entsprechend zurück: Ein Tisch, ein paar Stühle, eine Gefängnispritsche unter einem halbrunden Eisengerüst, irgendetwas zwischen Karussellhimmel und modernem Kunstwerk. Leider wird allzu schnell klar, dass Elisabeths Ehemann Johannes und Corinnas große Liebe Jan ein und derselbe sind.

Johannes verweigert sich einer Gegenüberstellung mit Corinna im Gefängnis, er behauptet stattdessen, dank seiner guten Kontakte zu ehemaligen Ost-Agenten ein Telefongespräch mit jenem Jan Wischnewski arrangieren zu können, der sich während der vier Jahre ihrer Haft kein einziges Mal gemeldet hat. Elisabeth nimmt der bei diesem Telefongespräch zusammenbrechenden Corinna den Hörer aus der Hand – und hört ihren eigenen Mann säuseln: "Corinna, ich liebe dich." An diesem Punkt kippt das Stück in die Boulevardklamotte, allzu melodramatisch wirkt die Auflösung des Doppelspiels.

Doch dann entwickelt sich eine recht achtbare Polit-Parabel – dank des großartigen Götz Schubert als Johannes/Jan. Ihm nimmt man, trotz Glatze und Brille, sofort ab, dass er Frauen im Sturm erobert. Für diesen Johannes ist die Welt eine Bühne. Von Anfang an kommentiert er das Stück mit kurzen Monologen, deren Sprache bewusst an klassische Dramen oder Shakespeare erinnert.

Was das Stück über die zweite Hälfte rettet, ist die Frage: Wie konnte dieser Mann so etwas tun? Wie konnte er in der DDR gleichzeitig der wichtigste Informant des Ministeriums für Staatssicherheit sein und als politferner Buchhändler in Ostberlin mit einer Journalistin aus dem Westen anbändeln? Die Antwort lautet: Der Mann glaubt sich seine eigenen Lügen, er berauscht sich an seinen Phantasiekonstrukten.

Karoline Eichhorn spielt mit der altjüngferlichen, fanatischen Corinna Heinrich eine Rolle, die ihr auf den schmalen Leib geschneidert ist: Viel Moralinsäure scheint in beiden zu stecken, der Figur wie der Schauspielerin. Doch erst Götz Schubert macht diesen Abend zum Erlebnis. Als aalglatter und doch so glaubwürdiger, so integer wirkender Politiker lässt er beispielsweise an Gerhard Schröder denken: Sein Charme macht ihn unwiderstehlich – sein absoluter Wille zur Macht gefährlich.

Und so wie Gerhard Schröder es geschafft hat, die Bundesrepublik an Gazprom zu verkaufen und trotzdem als bester Kanzler, als gütige Führungsfigur dazustehen, so gelingt es auch diesem Johannes Hellweg, all seine Winkelzüge, sein Frauenopfer ganz menschlich und nachvollziehbar erscheinen zu lassen. Am Ende steht er allein im Scheinwerferlicht und sagt: "Mein Gewissen ist so rein, wie ich es will." Tosender Applaus des Premierenpublikums für ein Stück, das zwar Dialogschwächen aufweist, aber für ein kleines Privattheater eine ganz erstaunliche Leistung darstellt.