Eine Ohrfeige für die Obama-Regierung

Von Marcus Pindur, Washington-Korrespondent · 11.01.2013
Barack Obama hat ihn einmal den notwendigen Krieg genannt, den Einsatz in Afghanistan. Davon ist er jetzt weit entfernt. So weit, dass ein Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrates ohne Tadel aus dem Weißen Haus sagen durfte: Er könne sich auch einen Komplettabzug aus Afghanistan nach 2014 vorstellen.
Einiges deutet darauf hin, dass man so den afghanischen Präsidenten Karsai im Verhandlungspoker unter Druck setzen wollte. Ein untauglicher und schlimmer noch, ein unverantwortlicher Versuch.

Obama hat sich immer mehr vom ursprünglichen Ziel einer langfristigen Stabilisierung Afghanistans entfernt. Der Abzugstermin war zwar notwendig, um die afghanische Regierung zu zwingen, endlich mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Für einen Komplettabzug ist es jedoch viel zu früh. Er würde das an Aufbauarbeit und Stabilisierung gefährden, was bisher geleistet worden ist. Und, schlimmer noch: Er würde den Kampf gegen den Terror langfristig unterlaufen.

Mehrere Ziele müssen weiter verfolgt werden: Der zivile Aufbau muss weitergehen. Dafür bedarf es der Aufstandsbekämpfung, die zunehmend in die Hände der Afghanen übergehen muss. Eine substanzielle Zahl ausländischer Soldaten muss die Afghanen jedoch auch nach 2014 im Kampf und beim Aufbau militärischer Logistik unterstützen. Das Training der afghanischen Armee ist noch lange nicht zu Ende. Und der Kampf gegen Al Kaida muss weiter geführt werden. Dafür braucht es mindestens 10.000, wenn nicht 15.000 US-Soldaten im Land, plus einen weiteren Beitrag der anderen Isaf-Länder.

Aber es sieht so aus, als würde sich Obama auf eine kleine Präsenz von Militärberatern und den Anti-Terrorkampf zurückziehen wollen. Das käme der öffentlichen Stimmung und der Kassenlage in den USA entgegen.

Tut er dies, und reduziert die amerikanische Truppenpräsenz auf 3000 bis 6000 Soldaten, wie jetzt oft zu hören ist, dann stellt sich für Karsai die Frage, warum er überhaupt einer amerikanischen Truppenpräsenz zustimmen soll.

Ja, es ist richtig, dass es viele Auseinandersetzungen mit Karsai gegeben hat. Sein notorischer Unwille zur Korruptionsbekämpfung. Seine Sprunghaftigkeit. Sein Beharren auf nicht einlösbaren Sicherheitsgarantien bei gleichzeitiger Dauerkritik am Einsatz der westlichen Truppen. Und: die Selbstbezogenheit der afghanischen Regierung, die ihren tatsächlichen politischen Spielraum weit überschätzt.

Es ist jedoch eine Ohrfeige für die Obama-Regierung, dass nur ein ehemaliger General, Stanley McChrystal, die langfristige politische Dynamik klar benennt. Wenn die USA zu abrupt die zivile und militärische Hilfe beschnitten, dann würden sie auch die Unterstützung der Afghanen bei der Terrorbekämpfung verlieren. Es wird Zeit, dass Obama aufhört, zu pokern, und seine außenpolitischen Prioritäten ehrlich benennt.
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