Eine NS-Widerstandgruppe
Die frühere Kriegskorrespondentin Anne Nelson hat ein Buch über die NS-Widerstandsgruppe "Die Rote Kapelle" vorgelegt und die Geschichte aus amerikanischer Sicht erzählt. Die Gestapo hatte die Gruppe zunächst als kommunistische Agentenschmiede diffamiert.
Ein Buch hat Anne Nelson geschrieben, das man sich in Hollywood genau durchlesen sollte: ein Buch, aus dem ein Script für einen Politthriller gemacht werden könnte. Weit über einhundert Rollen für Widerständler im Berlin der Nazizeit müssten besetzt werden; und natürlich einige Schurkenrollen: vor allem Hitler, der am Ende persönlich für insgesamt 45 Todesurteile sorgte – aber auch Stalin, dessen Geheimdienst mit dilettantisch-offenen Funksprüchen die deutschen Sicherheitsdienste auf die leichte Spur der Widerstandskämpfer brachte.
Für die führenden Köpfe der "Roten Kapelle" wurden das erste Mal in der Berliner Hinrichtungsstätte Plötzensee Fleischerhaken aufgehängt, um sie möglichst qualvoll sterben zu lassen. Die Nazis fühlten sich ins Mark getroffen; hier hatten Angehörige der Elite, der, wie Anne Nelson schreibt, "jeunesse dorée des Reichs", in Flugblättern das Morden der Einsatzkommandos an der Ostfront öffentlich gemacht, hatten verfolgten Juden zur Flucht verholfen, hatten militärische und wirtschaftliche Geheimnisse erst (mit wenig Resonanz) an die westlichen Feinde, dann an die Sowjetunion verraten.
Ein Großneffe des kaiserlichen Admirals von Tirpitz, der Luftwaffenleutnant Harro Schulze-Boysen, lieferte die militärischen Daten - und warnte auch, was Stalin nicht glauben wollte, vor dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion im Juni 1941. "Schicken Sie Ihren Informanten aus dem Stab der deutschen Luftwaffe zu seiner Hurenmutter zurück.
Das ist kein Informant, sondern ein Desinformator", wies Stalin seinen Staatssicherheitschef an. Tage später wurde mit dem "Unternehmen Barbarossa" der Krieg gegen die Sowjetunion begonnen, und der Informant Schulze-Boysen aus der deutschen Luftwaffe wurde eine wichtige Quelle.
Anne Nelson hat eine faszinierende, romanhafte Geschichte um die wichtigsten Ehepaare der "Roten Kapelle" geschrieben - nach siebenjährigem gründlichen Quellenstudium und Gesprächen mit Kindern der Widerständler. Da ist der Admiralsneffe Schulze-Boysen, der mit seiner schillernden Gattin Libertas, einer Enkelin des berühmten Fürsten Eulenburg, eine "offene Ehe" führte.
Da ist der Wirtschaftswissenschaftler Arvid Harnack aus einer angesehenen preußischen Beamtensippe mit seiner amerikanischen Frau Mildred. Da ist die Soziologin Greta Kuckhoff, die überlebte und nach dem Krieg eine Bankdirektorenkarriere in der DDR machte – und ihr Mann, der hingerichtete Schriftsteller Adam Kuckhoff, der seine Kontakte zu den Kommunisten in den losen Haufen der bürgerlichen und großbürgerlichen Antifaschisten, der Wissenschaftler, Künstler und Beamten einbrachte.
Den Begriff "Rote Kapelle" für sie alle hatten die Nazis erfunden. Mit Erfolg bis heute. Auch, wenn die Kommunisten unter ihnen in der Minderheit waren: Die DDR vereinnahmte sie alle für ihre "antifaschistische" Selbstdarstellung. In der alten Bundesrepublik wurde dieses Bild gerne akzeptiert - und hat sich erst in den letzten Jahren unter Historikern langsam aufgelöst. Anne Nelson rehabilitiert diese anständigen, widerständigen Bürger – die ihre Informationen an die Sowjets lieferten, nachdem sich die USA oder Großbritannien nur mäßig dafür interessiert hatten. Jetzt fehlt nur noch der Hollywoodfilm.
Besprochen von Klaus Pokatzky
Anne Nelson: Die Rote Kapelle - Die Geschichte der legendären Widerstandsgruppe
Aus dem Amerikanischen von Michael Müller
Verlag C. Bertelsmann, 512 Seiten, 24,95 Euro
Für die führenden Köpfe der "Roten Kapelle" wurden das erste Mal in der Berliner Hinrichtungsstätte Plötzensee Fleischerhaken aufgehängt, um sie möglichst qualvoll sterben zu lassen. Die Nazis fühlten sich ins Mark getroffen; hier hatten Angehörige der Elite, der, wie Anne Nelson schreibt, "jeunesse dorée des Reichs", in Flugblättern das Morden der Einsatzkommandos an der Ostfront öffentlich gemacht, hatten verfolgten Juden zur Flucht verholfen, hatten militärische und wirtschaftliche Geheimnisse erst (mit wenig Resonanz) an die westlichen Feinde, dann an die Sowjetunion verraten.
Ein Großneffe des kaiserlichen Admirals von Tirpitz, der Luftwaffenleutnant Harro Schulze-Boysen, lieferte die militärischen Daten - und warnte auch, was Stalin nicht glauben wollte, vor dem Überfall der Deutschen auf die Sowjetunion im Juni 1941. "Schicken Sie Ihren Informanten aus dem Stab der deutschen Luftwaffe zu seiner Hurenmutter zurück.
Das ist kein Informant, sondern ein Desinformator", wies Stalin seinen Staatssicherheitschef an. Tage später wurde mit dem "Unternehmen Barbarossa" der Krieg gegen die Sowjetunion begonnen, und der Informant Schulze-Boysen aus der deutschen Luftwaffe wurde eine wichtige Quelle.
Anne Nelson hat eine faszinierende, romanhafte Geschichte um die wichtigsten Ehepaare der "Roten Kapelle" geschrieben - nach siebenjährigem gründlichen Quellenstudium und Gesprächen mit Kindern der Widerständler. Da ist der Admiralsneffe Schulze-Boysen, der mit seiner schillernden Gattin Libertas, einer Enkelin des berühmten Fürsten Eulenburg, eine "offene Ehe" führte.
Da ist der Wirtschaftswissenschaftler Arvid Harnack aus einer angesehenen preußischen Beamtensippe mit seiner amerikanischen Frau Mildred. Da ist die Soziologin Greta Kuckhoff, die überlebte und nach dem Krieg eine Bankdirektorenkarriere in der DDR machte – und ihr Mann, der hingerichtete Schriftsteller Adam Kuckhoff, der seine Kontakte zu den Kommunisten in den losen Haufen der bürgerlichen und großbürgerlichen Antifaschisten, der Wissenschaftler, Künstler und Beamten einbrachte.
Den Begriff "Rote Kapelle" für sie alle hatten die Nazis erfunden. Mit Erfolg bis heute. Auch, wenn die Kommunisten unter ihnen in der Minderheit waren: Die DDR vereinnahmte sie alle für ihre "antifaschistische" Selbstdarstellung. In der alten Bundesrepublik wurde dieses Bild gerne akzeptiert - und hat sich erst in den letzten Jahren unter Historikern langsam aufgelöst. Anne Nelson rehabilitiert diese anständigen, widerständigen Bürger – die ihre Informationen an die Sowjets lieferten, nachdem sich die USA oder Großbritannien nur mäßig dafür interessiert hatten. Jetzt fehlt nur noch der Hollywoodfilm.
Besprochen von Klaus Pokatzky
Anne Nelson: Die Rote Kapelle - Die Geschichte der legendären Widerstandsgruppe
Aus dem Amerikanischen von Michael Müller
Verlag C. Bertelsmann, 512 Seiten, 24,95 Euro